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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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von der deutschen Schrift

wieder einmal ein "Neutraler", der zu einem objektiven Kritiker so gänzlich
ungeeignet, sich seiner Verantwortung vor der Wahrheit und der Geschichte so
wenig bewußt ist, sich zum Schiedsrichter aufzuwerfen wagt, und die absichtlich
verleumderische Literatur dieses Krieges um ein elendes Pamphlet bereichert.

Um so lieber stellen wir aber dafür fest, daß sich auch wieder ein Neu¬
traler und auch ein Däne fand, der der dereinstigen Geschichtsschreibung einen
höheren Dienst leistete und sich den Dank aller Freunde der Wahrheit und der
Vernunft erwarb.




Von der deutschen Schrift
von Dr. Gustav Ränder

ekanntlich gilt es in recht weiten Kreisen als höchst unwissen¬
schaftlich und rückständig, wenn der Deutsche seine Sprache mit
deutschen Buchstaben schreibt; daß man etwa so geschmacklos sein
könne, sogar für andere Sprachen deutsche Schrift zu benutzen,
erscheint vielen Leuten heutzutage als so unmöglich, daß sie diesen
Fall überhaupt nicht erst erörtern. Nun, wir können uns trösten; die deutsche
Schrift ist keineswegs so unzeitgemäß, wie man uns einreden möchte, und was
die Wissenschaft anbetrifft, fo hat diese auch ihre Moden. So dürfte in der
Aufklärungszeit kein Mensch es wagen, an Meteorsteinfälle zu glauben; denn
daß Steine vom Himmel fallen könnten, war durchaus in das Gebiet der Fabel
verwiesen. Ebenso gilt heute der Einfluß des Mondes auf das Wetter vielfach
nur als ein Bauernmärchen, so lange, bis eben einmal jemand das Gegenteil
beweist. Und das Gleiche ist auch mit der deutschen Schrift der Fall, nur daß
hier gar nicht abzusehen ist, was die Sache eigentlich mit Wissenschaft zu tun
haben soll. Denn ob ich deutsche oder lateinische Schrift verwende, ist lediglich
Sache des Geschmacks und der Zweckmäßigkeit, sozusagen der Ausdruckskultur,
hat aber mit Wissenschaft nichts zu tun.

Nun aber heißt es: ja, die Wissenschaft leidet darunter, wenn ich eine
Schrift gebrauche, die nicht in der ganzen gelehrten Welt von jedermann ge¬
läufig gelesen wird, und diese Forderung ist ja nur bei der lateinischen Schrift
erfüllt. Die Herren vergessen aber, daß derjenige, der kein Deutsch kann, mein
Deutsch auch mit lateinischen Buchstaben nicht versteht, und daß andererseits die
Anwendung der deutschen Schrift nicht allein auf die deutsche Sprache beschränkt
ist. In England findet sie als Zierschrift in recht weitem Umfange Verwendung,


von der deutschen Schrift

wieder einmal ein „Neutraler", der zu einem objektiven Kritiker so gänzlich
ungeeignet, sich seiner Verantwortung vor der Wahrheit und der Geschichte so
wenig bewußt ist, sich zum Schiedsrichter aufzuwerfen wagt, und die absichtlich
verleumderische Literatur dieses Krieges um ein elendes Pamphlet bereichert.

Um so lieber stellen wir aber dafür fest, daß sich auch wieder ein Neu¬
traler und auch ein Däne fand, der der dereinstigen Geschichtsschreibung einen
höheren Dienst leistete und sich den Dank aller Freunde der Wahrheit und der
Vernunft erwarb.




Von der deutschen Schrift
von Dr. Gustav Ränder

ekanntlich gilt es in recht weiten Kreisen als höchst unwissen¬
schaftlich und rückständig, wenn der Deutsche seine Sprache mit
deutschen Buchstaben schreibt; daß man etwa so geschmacklos sein
könne, sogar für andere Sprachen deutsche Schrift zu benutzen,
erscheint vielen Leuten heutzutage als so unmöglich, daß sie diesen
Fall überhaupt nicht erst erörtern. Nun, wir können uns trösten; die deutsche
Schrift ist keineswegs so unzeitgemäß, wie man uns einreden möchte, und was
die Wissenschaft anbetrifft, fo hat diese auch ihre Moden. So dürfte in der
Aufklärungszeit kein Mensch es wagen, an Meteorsteinfälle zu glauben; denn
daß Steine vom Himmel fallen könnten, war durchaus in das Gebiet der Fabel
verwiesen. Ebenso gilt heute der Einfluß des Mondes auf das Wetter vielfach
nur als ein Bauernmärchen, so lange, bis eben einmal jemand das Gegenteil
beweist. Und das Gleiche ist auch mit der deutschen Schrift der Fall, nur daß
hier gar nicht abzusehen ist, was die Sache eigentlich mit Wissenschaft zu tun
haben soll. Denn ob ich deutsche oder lateinische Schrift verwende, ist lediglich
Sache des Geschmacks und der Zweckmäßigkeit, sozusagen der Ausdruckskultur,
hat aber mit Wissenschaft nichts zu tun.

Nun aber heißt es: ja, die Wissenschaft leidet darunter, wenn ich eine
Schrift gebrauche, die nicht in der ganzen gelehrten Welt von jedermann ge¬
läufig gelesen wird, und diese Forderung ist ja nur bei der lateinischen Schrift
erfüllt. Die Herren vergessen aber, daß derjenige, der kein Deutsch kann, mein
Deutsch auch mit lateinischen Buchstaben nicht versteht, und daß andererseits die
Anwendung der deutschen Schrift nicht allein auf die deutsche Sprache beschränkt
ist. In England findet sie als Zierschrift in recht weitem Umfange Verwendung,


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[0258] von der deutschen Schrift wieder einmal ein „Neutraler", der zu einem objektiven Kritiker so gänzlich ungeeignet, sich seiner Verantwortung vor der Wahrheit und der Geschichte so wenig bewußt ist, sich zum Schiedsrichter aufzuwerfen wagt, und die absichtlich verleumderische Literatur dieses Krieges um ein elendes Pamphlet bereichert. Um so lieber stellen wir aber dafür fest, daß sich auch wieder ein Neu¬ traler und auch ein Däne fand, der der dereinstigen Geschichtsschreibung einen höheren Dienst leistete und sich den Dank aller Freunde der Wahrheit und der Vernunft erwarb. Von der deutschen Schrift von Dr. Gustav Ränder ekanntlich gilt es in recht weiten Kreisen als höchst unwissen¬ schaftlich und rückständig, wenn der Deutsche seine Sprache mit deutschen Buchstaben schreibt; daß man etwa so geschmacklos sein könne, sogar für andere Sprachen deutsche Schrift zu benutzen, erscheint vielen Leuten heutzutage als so unmöglich, daß sie diesen Fall überhaupt nicht erst erörtern. Nun, wir können uns trösten; die deutsche Schrift ist keineswegs so unzeitgemäß, wie man uns einreden möchte, und was die Wissenschaft anbetrifft, fo hat diese auch ihre Moden. So dürfte in der Aufklärungszeit kein Mensch es wagen, an Meteorsteinfälle zu glauben; denn daß Steine vom Himmel fallen könnten, war durchaus in das Gebiet der Fabel verwiesen. Ebenso gilt heute der Einfluß des Mondes auf das Wetter vielfach nur als ein Bauernmärchen, so lange, bis eben einmal jemand das Gegenteil beweist. Und das Gleiche ist auch mit der deutschen Schrift der Fall, nur daß hier gar nicht abzusehen ist, was die Sache eigentlich mit Wissenschaft zu tun haben soll. Denn ob ich deutsche oder lateinische Schrift verwende, ist lediglich Sache des Geschmacks und der Zweckmäßigkeit, sozusagen der Ausdruckskultur, hat aber mit Wissenschaft nichts zu tun. Nun aber heißt es: ja, die Wissenschaft leidet darunter, wenn ich eine Schrift gebrauche, die nicht in der ganzen gelehrten Welt von jedermann ge¬ läufig gelesen wird, und diese Forderung ist ja nur bei der lateinischen Schrift erfüllt. Die Herren vergessen aber, daß derjenige, der kein Deutsch kann, mein Deutsch auch mit lateinischen Buchstaben nicht versteht, und daß andererseits die Anwendung der deutschen Schrift nicht allein auf die deutsche Sprache beschränkt ist. In England findet sie als Zierschrift in recht weitem Umfange Verwendung,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/258>, abgerufen am 30.04.2024.