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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Neue Bücher über Musik

Die orientalische Politik seiner Nachfolger hatte den zurückgetretenen Minister
mit Befremden erfüllt, denn er bekämpfte jede Politik Österreichs, die nicht
darauf ausging, der Monarchie im Oriente die Führerrolle zu bewahren und
zu sichern. Über die Orientpolitik seiner Nachfolger (Hanmerle, Kalnockn)
urteilte er: "Hat der Berliner Kongreß Rußland aus der Balkanhalbinsel
herausgeleitet, so haben meine Nachfolger es wieder dahin zurückgeführt."
Aufs höchste enttäuscht war Andrassy über die Verabredung Kalnockys mit
Rußland, jede im Orient neu auftauchende Frage einer Besprechung zwischen
Österreich-Ungarn und Rußland zu unterwerfen. Er erblickte in jeder Ab¬
machung solcher Art ein Aufgeben des Selbstbestimmungsrechts, eine Abweichung
von dem durch Jahre konsequent verfolgten Zielen und den Verlust der
wesentlichsten Erfolge, welche die Monarchie erreicht hatte. "Ich befürchte," --
so lauten seine prophetischen Worte -- "daß uns diese unnatürliche Kooperation
mit Nußland in ihren Konsequenzen früher oder später, aber sicher vor folgende
Jnititiave stellen wird: entweder Verzichtleistung auf unsere natürliche Macht¬
sphäre, oder Zweiteilung der Macht auf der Balkanhalbinsel und als Folge
davon -- Krieg."




Neue Bücher über Musik
von Ol-. Richard Hohenemser

s ist begreiflich, daß immer wieder der Versuch unternommen
wird, über die zunächst verwirrende Fülle der künstlerischen Er¬
scheinungen unserer Zeit eine ordnende Übersicht zu gewinnen.
Da man bei Behandlung der Zeit, in der man selbst steht, die
Aufgabe des Historikers, die geschichtlichen Voraussetzungen der
inzelnen Erscheinungen aufzudecken, in der Regel vernachlässigt, so laufen die
Darstellungen der Gegenwartskunst meist auf Klassifikationen, verbunden mit
mehr oder weniger subjektiven Bemerkungen verschiedenen Wertes hinaus.

So verhält es sich auch mit zwei einander nahe verwandten Büchern, von
welchen sich das eine auf die Nach-Wagnersche Oper in allen Ländern, das andere
auf alle Gattungen der deutschen Tonkunst beschränkt (Edgar Jstel, die moderne
Oper, vom Tode Wagners bis zum Weltkrieg, "Aus Natur und Geisteswelt",
B. G. Teubner, Leipzig, 1915; Rudolf Louis, die deutsche Musik der Neuzeit,
dritte vermehrte und verbesserte Auflage, Georg Müller, München). Louis,
der viel zu früh verstorbene Münchener Musikrezensent, gibt, wie mir scheint,
das Bedeutendste seines Buches mit dem einleitenden Kapitel "Vom musikalischen
Fortschritt". Die darin dargelegten Gedanken sind zwar nicht neu, aber gerade
für die Gegenwart, in welcher die Ausdrücke "Fortschritt" und "Reaktion" als
Schlagworte aus dem politischen in das künstlerische Gebiet übertragen wurden.


Neue Bücher über Musik

Die orientalische Politik seiner Nachfolger hatte den zurückgetretenen Minister
mit Befremden erfüllt, denn er bekämpfte jede Politik Österreichs, die nicht
darauf ausging, der Monarchie im Oriente die Führerrolle zu bewahren und
zu sichern. Über die Orientpolitik seiner Nachfolger (Hanmerle, Kalnockn)
urteilte er: „Hat der Berliner Kongreß Rußland aus der Balkanhalbinsel
herausgeleitet, so haben meine Nachfolger es wieder dahin zurückgeführt."
Aufs höchste enttäuscht war Andrassy über die Verabredung Kalnockys mit
Rußland, jede im Orient neu auftauchende Frage einer Besprechung zwischen
Österreich-Ungarn und Rußland zu unterwerfen. Er erblickte in jeder Ab¬
machung solcher Art ein Aufgeben des Selbstbestimmungsrechts, eine Abweichung
von dem durch Jahre konsequent verfolgten Zielen und den Verlust der
wesentlichsten Erfolge, welche die Monarchie erreicht hatte. „Ich befürchte," —
so lauten seine prophetischen Worte — „daß uns diese unnatürliche Kooperation
mit Nußland in ihren Konsequenzen früher oder später, aber sicher vor folgende
Jnititiave stellen wird: entweder Verzichtleistung auf unsere natürliche Macht¬
sphäre, oder Zweiteilung der Macht auf der Balkanhalbinsel und als Folge
davon — Krieg."




Neue Bücher über Musik
von Ol-. Richard Hohenemser

s ist begreiflich, daß immer wieder der Versuch unternommen
wird, über die zunächst verwirrende Fülle der künstlerischen Er¬
scheinungen unserer Zeit eine ordnende Übersicht zu gewinnen.
Da man bei Behandlung der Zeit, in der man selbst steht, die
Aufgabe des Historikers, die geschichtlichen Voraussetzungen der
inzelnen Erscheinungen aufzudecken, in der Regel vernachlässigt, so laufen die
Darstellungen der Gegenwartskunst meist auf Klassifikationen, verbunden mit
mehr oder weniger subjektiven Bemerkungen verschiedenen Wertes hinaus.

So verhält es sich auch mit zwei einander nahe verwandten Büchern, von
welchen sich das eine auf die Nach-Wagnersche Oper in allen Ländern, das andere
auf alle Gattungen der deutschen Tonkunst beschränkt (Edgar Jstel, die moderne
Oper, vom Tode Wagners bis zum Weltkrieg, „Aus Natur und Geisteswelt",
B. G. Teubner, Leipzig, 1915; Rudolf Louis, die deutsche Musik der Neuzeit,
dritte vermehrte und verbesserte Auflage, Georg Müller, München). Louis,
der viel zu früh verstorbene Münchener Musikrezensent, gibt, wie mir scheint,
das Bedeutendste seines Buches mit dem einleitenden Kapitel „Vom musikalischen
Fortschritt". Die darin dargelegten Gedanken sind zwar nicht neu, aber gerade
für die Gegenwart, in welcher die Ausdrücke „Fortschritt" und „Reaktion" als
Schlagworte aus dem politischen in das künstlerische Gebiet übertragen wurden.


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[0290] Neue Bücher über Musik Die orientalische Politik seiner Nachfolger hatte den zurückgetretenen Minister mit Befremden erfüllt, denn er bekämpfte jede Politik Österreichs, die nicht darauf ausging, der Monarchie im Oriente die Führerrolle zu bewahren und zu sichern. Über die Orientpolitik seiner Nachfolger (Hanmerle, Kalnockn) urteilte er: „Hat der Berliner Kongreß Rußland aus der Balkanhalbinsel herausgeleitet, so haben meine Nachfolger es wieder dahin zurückgeführt." Aufs höchste enttäuscht war Andrassy über die Verabredung Kalnockys mit Rußland, jede im Orient neu auftauchende Frage einer Besprechung zwischen Österreich-Ungarn und Rußland zu unterwerfen. Er erblickte in jeder Ab¬ machung solcher Art ein Aufgeben des Selbstbestimmungsrechts, eine Abweichung von dem durch Jahre konsequent verfolgten Zielen und den Verlust der wesentlichsten Erfolge, welche die Monarchie erreicht hatte. „Ich befürchte," — so lauten seine prophetischen Worte — „daß uns diese unnatürliche Kooperation mit Nußland in ihren Konsequenzen früher oder später, aber sicher vor folgende Jnititiave stellen wird: entweder Verzichtleistung auf unsere natürliche Macht¬ sphäre, oder Zweiteilung der Macht auf der Balkanhalbinsel und als Folge davon — Krieg." Neue Bücher über Musik von Ol-. Richard Hohenemser s ist begreiflich, daß immer wieder der Versuch unternommen wird, über die zunächst verwirrende Fülle der künstlerischen Er¬ scheinungen unserer Zeit eine ordnende Übersicht zu gewinnen. Da man bei Behandlung der Zeit, in der man selbst steht, die Aufgabe des Historikers, die geschichtlichen Voraussetzungen der inzelnen Erscheinungen aufzudecken, in der Regel vernachlässigt, so laufen die Darstellungen der Gegenwartskunst meist auf Klassifikationen, verbunden mit mehr oder weniger subjektiven Bemerkungen verschiedenen Wertes hinaus. So verhält es sich auch mit zwei einander nahe verwandten Büchern, von welchen sich das eine auf die Nach-Wagnersche Oper in allen Ländern, das andere auf alle Gattungen der deutschen Tonkunst beschränkt (Edgar Jstel, die moderne Oper, vom Tode Wagners bis zum Weltkrieg, „Aus Natur und Geisteswelt", B. G. Teubner, Leipzig, 1915; Rudolf Louis, die deutsche Musik der Neuzeit, dritte vermehrte und verbesserte Auflage, Georg Müller, München). Louis, der viel zu früh verstorbene Münchener Musikrezensent, gibt, wie mir scheint, das Bedeutendste seines Buches mit dem einleitenden Kapitel „Vom musikalischen Fortschritt". Die darin dargelegten Gedanken sind zwar nicht neu, aber gerade für die Gegenwart, in welcher die Ausdrücke „Fortschritt" und „Reaktion" als Schlagworte aus dem politischen in das künstlerische Gebiet übertragen wurden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/290>, abgerufen am 30.04.2024.