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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Der internationale Gedanke
von Dr. Rarl Buchheim

er internationale Gedanke ist eine Konsequenz der altruistischen
Strebungen des Menschenherzens. Es gibt Zusammengehörigkeits¬
gefühle, die über die nächstvertrauten sozialen Kreise, ja sogar
über die Gesamtheit der Volksgenossen hinausweisen. Diese Ge¬
fühle sind erst entstanden, als der geistige Horizont eine gewisse
Weite erreicht hatte. Wenigstens lehrt die Geistesgeschichte vieler alter Völker,
soweit sie für uns erkennbar ist, daß einstmals die sittlichen Bindungen an der
Grenze des Volkes aufhörten, daß es kaum Pflichten gegen Stammesfremde
und Nichtvolksgenossen gab. Wo es aber keine Pflichten gibt, da sind auch
keine Zusammengehörigkeitsgefühle da. Erst später tauchen Gedanken der Art
auf, daß es jenseits der Nationen eine weitere, vielleicht sogar höhere Gemein¬
schaft gäbe, nämlich die Gemeinschaft aller Menschen. Innerhalb der antiken
Kultur, die ja die maßgebende Voraussetzung unserer Kultur ist, finden wir diese
Gedanken zuerst in der griechischen Philosophie. Nachher hat sie das Christen¬
tum übernommen.

Freilich, wenn man sich eine wahre Vorstellung von diesem antiken Begriff
der menschlichen Gemeinschaft machen will, so muß man an die begrenzten
geographischen Vorstellungen des Altertums denken. Die schwarze und die gelbe
Rasse lagen außerhalb der Betrachtung, und selbst die Völker Mittelasiens
dürften kaum darin eine große Rolle gespielt haben. Man nannte "Menschheit"
das, was im lebendigen Verkehr jener Tage fühlbar in Wechselwirkung trat:
die Völker der Mittelmeerkultur, die ja bald im Römischen Reich auch zu einer
politischen Einheit wurden.

Das Römische Reich hat dem internationalen Gedanken sozusagen Hand
und Fuß gegeben. Die vielen Nationen, deren Sonderkulturen früher vielfach
in scharfem Gegensatz gestanden hatten: die Griechen, die Italer, Iberer und
Kelten, Punier und Syrer, Ägypter und Lyder, bekamen auf einmal Gemein¬
samkeiten die Fülle. Römische Herrschaft in Ost und West, die gleichen Ver¬
waltungsgrundsätze in Spanien und Asien, griechische Bildung in Syrien wie
in Gallien, freier sicherer Verkehr bis zu den Säulen des Herkules: kurz, die
?ax KomariÄ, der "Römische Friede" verbreitete seine Segnungen über alle
Nationen der antiken Kultur. Das war eine "Menschheit" in Fleisch und Blut.




Der internationale Gedanke
von Dr. Rarl Buchheim

er internationale Gedanke ist eine Konsequenz der altruistischen
Strebungen des Menschenherzens. Es gibt Zusammengehörigkeits¬
gefühle, die über die nächstvertrauten sozialen Kreise, ja sogar
über die Gesamtheit der Volksgenossen hinausweisen. Diese Ge¬
fühle sind erst entstanden, als der geistige Horizont eine gewisse
Weite erreicht hatte. Wenigstens lehrt die Geistesgeschichte vieler alter Völker,
soweit sie für uns erkennbar ist, daß einstmals die sittlichen Bindungen an der
Grenze des Volkes aufhörten, daß es kaum Pflichten gegen Stammesfremde
und Nichtvolksgenossen gab. Wo es aber keine Pflichten gibt, da sind auch
keine Zusammengehörigkeitsgefühle da. Erst später tauchen Gedanken der Art
auf, daß es jenseits der Nationen eine weitere, vielleicht sogar höhere Gemein¬
schaft gäbe, nämlich die Gemeinschaft aller Menschen. Innerhalb der antiken
Kultur, die ja die maßgebende Voraussetzung unserer Kultur ist, finden wir diese
Gedanken zuerst in der griechischen Philosophie. Nachher hat sie das Christen¬
tum übernommen.

Freilich, wenn man sich eine wahre Vorstellung von diesem antiken Begriff
der menschlichen Gemeinschaft machen will, so muß man an die begrenzten
geographischen Vorstellungen des Altertums denken. Die schwarze und die gelbe
Rasse lagen außerhalb der Betrachtung, und selbst die Völker Mittelasiens
dürften kaum darin eine große Rolle gespielt haben. Man nannte „Menschheit"
das, was im lebendigen Verkehr jener Tage fühlbar in Wechselwirkung trat:
die Völker der Mittelmeerkultur, die ja bald im Römischen Reich auch zu einer
politischen Einheit wurden.

Das Römische Reich hat dem internationalen Gedanken sozusagen Hand
und Fuß gegeben. Die vielen Nationen, deren Sonderkulturen früher vielfach
in scharfem Gegensatz gestanden hatten: die Griechen, die Italer, Iberer und
Kelten, Punier und Syrer, Ägypter und Lyder, bekamen auf einmal Gemein¬
samkeiten die Fülle. Römische Herrschaft in Ost und West, die gleichen Ver¬
waltungsgrundsätze in Spanien und Asien, griechische Bildung in Syrien wie
in Gallien, freier sicherer Verkehr bis zu den Säulen des Herkules: kurz, die
?ax KomariÄ, der „Römische Friede" verbreitete seine Segnungen über alle
Nationen der antiken Kultur. Das war eine „Menschheit" in Fleisch und Blut.


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[0302] [Abbildung] Der internationale Gedanke von Dr. Rarl Buchheim er internationale Gedanke ist eine Konsequenz der altruistischen Strebungen des Menschenherzens. Es gibt Zusammengehörigkeits¬ gefühle, die über die nächstvertrauten sozialen Kreise, ja sogar über die Gesamtheit der Volksgenossen hinausweisen. Diese Ge¬ fühle sind erst entstanden, als der geistige Horizont eine gewisse Weite erreicht hatte. Wenigstens lehrt die Geistesgeschichte vieler alter Völker, soweit sie für uns erkennbar ist, daß einstmals die sittlichen Bindungen an der Grenze des Volkes aufhörten, daß es kaum Pflichten gegen Stammesfremde und Nichtvolksgenossen gab. Wo es aber keine Pflichten gibt, da sind auch keine Zusammengehörigkeitsgefühle da. Erst später tauchen Gedanken der Art auf, daß es jenseits der Nationen eine weitere, vielleicht sogar höhere Gemein¬ schaft gäbe, nämlich die Gemeinschaft aller Menschen. Innerhalb der antiken Kultur, die ja die maßgebende Voraussetzung unserer Kultur ist, finden wir diese Gedanken zuerst in der griechischen Philosophie. Nachher hat sie das Christen¬ tum übernommen. Freilich, wenn man sich eine wahre Vorstellung von diesem antiken Begriff der menschlichen Gemeinschaft machen will, so muß man an die begrenzten geographischen Vorstellungen des Altertums denken. Die schwarze und die gelbe Rasse lagen außerhalb der Betrachtung, und selbst die Völker Mittelasiens dürften kaum darin eine große Rolle gespielt haben. Man nannte „Menschheit" das, was im lebendigen Verkehr jener Tage fühlbar in Wechselwirkung trat: die Völker der Mittelmeerkultur, die ja bald im Römischen Reich auch zu einer politischen Einheit wurden. Das Römische Reich hat dem internationalen Gedanken sozusagen Hand und Fuß gegeben. Die vielen Nationen, deren Sonderkulturen früher vielfach in scharfem Gegensatz gestanden hatten: die Griechen, die Italer, Iberer und Kelten, Punier und Syrer, Ägypter und Lyder, bekamen auf einmal Gemein¬ samkeiten die Fülle. Römische Herrschaft in Ost und West, die gleichen Ver¬ waltungsgrundsätze in Spanien und Asien, griechische Bildung in Syrien wie in Gallien, freier sicherer Verkehr bis zu den Säulen des Herkules: kurz, die ?ax KomariÄ, der „Römische Friede" verbreitete seine Segnungen über alle Nationen der antiken Kultur. Das war eine „Menschheit" in Fleisch und Blut.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/302>, abgerufen am 30.04.2024.