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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Aritisches zur Ariegskriminalität der Jugendlichen
von Amtsrichter Dr. Albert Hellwig

n den Tageszeitungen der letzten Monate, aber auch in pädagogi¬
schen Fachzeitschriften, in Zeitschriften für Jugendfürsorge und
dergleichen findet man kurze Angaben oder laute Klagen über die
zunehmende Verwahrlosung der Jugend während des Krieges.
Auch manche Erlasse von Polizeibehörden und Verbote von
Generalkommandos, die in der Öffentlichkeit bekannt geworden und teilweise eifrig
erörtert worden sind, nehmen aus die zunehmende Verwahrlosung der Jugend¬
lichen Bezug.

Ich weiß nicht, ob schon die Presse des Vierverbandes aus derartigen
Nachrichten Kapital geschlagen und eifrig darauf hingewiesen hat, daß ganz
Jungdeutschland nach den eigenen Angaben führender Blätter im Begriff sei,
völlig zu verwahrlosen. Da die feindliche Presse bei der Verwertung und Um-
deutung auch der geringsten tatsächlichen Anhaltspunkte zum scheinbaren Beweise
ihr erfreulicher Behauptungen außerordentlich geschickt ist, sollte es mich aber
wundern, wenn dies nicht schon geschehen sein sollte.

Und in der Tat, wenn man manche überschwenglichen Preßäußerunzen
über die Verwilderung der Jugend, über die zunehmende Kriminalität liest, so
würde man es fast verstehen können, wenn sogar gutgläubig ein mit den ein¬
schlägigen Verhältnissen nicht hinreichend vertrauter Ausländer annehmen würde,
daß in der Tat an einer allgemeinen Verwahrlosung weitester Kreise unserer
Jugend unter dem Einfluß des Krieges nicht gezweifelt werden könne.

Diese Klagen stehen in einem seltsamen Widerspruch mit den in den ersten
Kriegsmonaten veröffentlichten zahlreichen Stimmen, welche in gleich über¬
schwenglicher Weise eine sittliche Besserung des ganzen deutschen Volkes, einen
erstaunlichen Rückgang der Kriminalität, eine allgemeine vaterländische Be¬
geisterung der Jugend, die sie von dummen Streichen und schlimmeren abhalte,
glaubten feststellen zu können, die sich nicht genug tun konnten, den versitt-
lichenden Einfluß des Krieges selbst auf die Fürsorgezöglinge und auf die
Insassen unserer Gefängnisse und Zuchthäuser zu preisen.

Geht man nun aber an eine vorsichtige, vorurteilsfreie Prüfung der
Materialien heran, aus denen man irgendwelche Schlüsse aus eine die Ver¬
wahrlosung und Kriminalität der Jugend hemmende oder aber begünstigende
Einwirkung des Krieges ziehen kann, so wird man zu dem Ergebnis gelangen,




Aritisches zur Ariegskriminalität der Jugendlichen
von Amtsrichter Dr. Albert Hellwig

n den Tageszeitungen der letzten Monate, aber auch in pädagogi¬
schen Fachzeitschriften, in Zeitschriften für Jugendfürsorge und
dergleichen findet man kurze Angaben oder laute Klagen über die
zunehmende Verwahrlosung der Jugend während des Krieges.
Auch manche Erlasse von Polizeibehörden und Verbote von
Generalkommandos, die in der Öffentlichkeit bekannt geworden und teilweise eifrig
erörtert worden sind, nehmen aus die zunehmende Verwahrlosung der Jugend¬
lichen Bezug.

Ich weiß nicht, ob schon die Presse des Vierverbandes aus derartigen
Nachrichten Kapital geschlagen und eifrig darauf hingewiesen hat, daß ganz
Jungdeutschland nach den eigenen Angaben führender Blätter im Begriff sei,
völlig zu verwahrlosen. Da die feindliche Presse bei der Verwertung und Um-
deutung auch der geringsten tatsächlichen Anhaltspunkte zum scheinbaren Beweise
ihr erfreulicher Behauptungen außerordentlich geschickt ist, sollte es mich aber
wundern, wenn dies nicht schon geschehen sein sollte.

Und in der Tat, wenn man manche überschwenglichen Preßäußerunzen
über die Verwilderung der Jugend, über die zunehmende Kriminalität liest, so
würde man es fast verstehen können, wenn sogar gutgläubig ein mit den ein¬
schlägigen Verhältnissen nicht hinreichend vertrauter Ausländer annehmen würde,
daß in der Tat an einer allgemeinen Verwahrlosung weitester Kreise unserer
Jugend unter dem Einfluß des Krieges nicht gezweifelt werden könne.

Diese Klagen stehen in einem seltsamen Widerspruch mit den in den ersten
Kriegsmonaten veröffentlichten zahlreichen Stimmen, welche in gleich über¬
schwenglicher Weise eine sittliche Besserung des ganzen deutschen Volkes, einen
erstaunlichen Rückgang der Kriminalität, eine allgemeine vaterländische Be¬
geisterung der Jugend, die sie von dummen Streichen und schlimmeren abhalte,
glaubten feststellen zu können, die sich nicht genug tun konnten, den versitt-
lichenden Einfluß des Krieges selbst auf die Fürsorgezöglinge und auf die
Insassen unserer Gefängnisse und Zuchthäuser zu preisen.

Geht man nun aber an eine vorsichtige, vorurteilsfreie Prüfung der
Materialien heran, aus denen man irgendwelche Schlüsse aus eine die Ver¬
wahrlosung und Kriminalität der Jugend hemmende oder aber begünstigende
Einwirkung des Krieges ziehen kann, so wird man zu dem Ergebnis gelangen,


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[0350] [Abbildung] Aritisches zur Ariegskriminalität der Jugendlichen von Amtsrichter Dr. Albert Hellwig n den Tageszeitungen der letzten Monate, aber auch in pädagogi¬ schen Fachzeitschriften, in Zeitschriften für Jugendfürsorge und dergleichen findet man kurze Angaben oder laute Klagen über die zunehmende Verwahrlosung der Jugend während des Krieges. Auch manche Erlasse von Polizeibehörden und Verbote von Generalkommandos, die in der Öffentlichkeit bekannt geworden und teilweise eifrig erörtert worden sind, nehmen aus die zunehmende Verwahrlosung der Jugend¬ lichen Bezug. Ich weiß nicht, ob schon die Presse des Vierverbandes aus derartigen Nachrichten Kapital geschlagen und eifrig darauf hingewiesen hat, daß ganz Jungdeutschland nach den eigenen Angaben führender Blätter im Begriff sei, völlig zu verwahrlosen. Da die feindliche Presse bei der Verwertung und Um- deutung auch der geringsten tatsächlichen Anhaltspunkte zum scheinbaren Beweise ihr erfreulicher Behauptungen außerordentlich geschickt ist, sollte es mich aber wundern, wenn dies nicht schon geschehen sein sollte. Und in der Tat, wenn man manche überschwenglichen Preßäußerunzen über die Verwilderung der Jugend, über die zunehmende Kriminalität liest, so würde man es fast verstehen können, wenn sogar gutgläubig ein mit den ein¬ schlägigen Verhältnissen nicht hinreichend vertrauter Ausländer annehmen würde, daß in der Tat an einer allgemeinen Verwahrlosung weitester Kreise unserer Jugend unter dem Einfluß des Krieges nicht gezweifelt werden könne. Diese Klagen stehen in einem seltsamen Widerspruch mit den in den ersten Kriegsmonaten veröffentlichten zahlreichen Stimmen, welche in gleich über¬ schwenglicher Weise eine sittliche Besserung des ganzen deutschen Volkes, einen erstaunlichen Rückgang der Kriminalität, eine allgemeine vaterländische Be¬ geisterung der Jugend, die sie von dummen Streichen und schlimmeren abhalte, glaubten feststellen zu können, die sich nicht genug tun konnten, den versitt- lichenden Einfluß des Krieges selbst auf die Fürsorgezöglinge und auf die Insassen unserer Gefängnisse und Zuchthäuser zu preisen. Geht man nun aber an eine vorsichtige, vorurteilsfreie Prüfung der Materialien heran, aus denen man irgendwelche Schlüsse aus eine die Ver¬ wahrlosung und Kriminalität der Jugend hemmende oder aber begünstigende Einwirkung des Krieges ziehen kann, so wird man zu dem Ergebnis gelangen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/350>, abgerufen am 30.04.2024.