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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Die Orientpolitik Friedrichs des Großen
von Dr. Scina Stern

le Persönlichkeit des großen Königs, der einsam, nur seinem Genius
vertrauend, mutig einer Welt von Feinden trotzte, der lieber zu¬
grunde gehen als die Ehre seines kleinen Staates opfern wollte,
ist uns heute vertrauter denn je geworden. Wie einst den Ameri¬
kanern zur Zeit ihrer großen Kriege und Nöte Friedrichs Vorbild
Mut und Glut einflößte, so ist auch unseren Helden heute die Erinnerung an
den siebenjährigen Krieg das Zeichen geworden, in dem sie zu siegen oder zu
sterben wissen. Aber auch im einzelnen hat uns Friedrich als kühner Pionier
Wege gebahnt, die wir heute beschreiten, nachdem sie lange vom Dickicht über¬
wachsen gewesen waren. Schon sein Urteil über England berührt sich haarscharf
mit dem unseren. Hat er doch wiederholt seine Umgebung vor der hinter¬
hältigen, verräterischen Politik Albions gewarnt, hat ihn doch nach 1761 keine
Macht der Erde mehr bewegen können, mit diesem Lande in eine Verbindung
zu treten, "die ihn nur vor ganz Europa prostituieren würde".

Weniger bekannt aber ist es, daß Friedrich fast während seiner ganzen
Regierung den Plan verfolgte, durch ein Bündnis mit der Türkei seine Stellung
in Europa zu befestigen. "Ich bin genötigt gewesen", so schrieb er darüber
einmal an den Marquis d'Argens, "meine Zuflucht zu Treu und Glauben und
zu der Menschlichkeit der Muselmänner zu nehmen, weil solche bei den Christen
nicht mehr zu finden ist." Natürlich aber war es keine romantische Sentimentalität
und keine aufwallende Gefühlspolitik, die ihn zu seinem Schritte bestimmten.
Er hat lange mit seinem Entschlüsse gerungen, er hat ihn dann nur nach¬
denklich, wagend, umsichtig und einzig und allein das Interesse Preußens im
Auge, zur Ausführung zu bringen gesucht.

Es war die Konstellation der europäischen Mächte, die Friedrich den Ge¬
danken an ein Bündnis mit den Türken nahe legte. Der große Gegensatz zu
Österreich und bis 1762 der zu Rußland beherrschte seine ganze äußere Politik.
Gleicherweise beherrschte auch der große Gegensatz zu Österreich und Rußland,
die seit Jahren alles aufboten, das osmanische Reich zu vernichten, die seit
Jahren das Fell des türkischen Löwen unter sich zu teilen suchten, die Politik
am goldenen Horn. Diese Interessengemeinschaft hat Friedrich frühe klar und
scharf erkannt und hat deshalb nicht Mittel und Wege gescheut, um ihr über
alle Interessengegensätze, die den festgefügten, aufwärtsstrebenden, jungen Preußen-




Die Orientpolitik Friedrichs des Großen
von Dr. Scina Stern

le Persönlichkeit des großen Königs, der einsam, nur seinem Genius
vertrauend, mutig einer Welt von Feinden trotzte, der lieber zu¬
grunde gehen als die Ehre seines kleinen Staates opfern wollte,
ist uns heute vertrauter denn je geworden. Wie einst den Ameri¬
kanern zur Zeit ihrer großen Kriege und Nöte Friedrichs Vorbild
Mut und Glut einflößte, so ist auch unseren Helden heute die Erinnerung an
den siebenjährigen Krieg das Zeichen geworden, in dem sie zu siegen oder zu
sterben wissen. Aber auch im einzelnen hat uns Friedrich als kühner Pionier
Wege gebahnt, die wir heute beschreiten, nachdem sie lange vom Dickicht über¬
wachsen gewesen waren. Schon sein Urteil über England berührt sich haarscharf
mit dem unseren. Hat er doch wiederholt seine Umgebung vor der hinter¬
hältigen, verräterischen Politik Albions gewarnt, hat ihn doch nach 1761 keine
Macht der Erde mehr bewegen können, mit diesem Lande in eine Verbindung
zu treten, „die ihn nur vor ganz Europa prostituieren würde".

Weniger bekannt aber ist es, daß Friedrich fast während seiner ganzen
Regierung den Plan verfolgte, durch ein Bündnis mit der Türkei seine Stellung
in Europa zu befestigen. „Ich bin genötigt gewesen", so schrieb er darüber
einmal an den Marquis d'Argens, „meine Zuflucht zu Treu und Glauben und
zu der Menschlichkeit der Muselmänner zu nehmen, weil solche bei den Christen
nicht mehr zu finden ist." Natürlich aber war es keine romantische Sentimentalität
und keine aufwallende Gefühlspolitik, die ihn zu seinem Schritte bestimmten.
Er hat lange mit seinem Entschlüsse gerungen, er hat ihn dann nur nach¬
denklich, wagend, umsichtig und einzig und allein das Interesse Preußens im
Auge, zur Ausführung zu bringen gesucht.

Es war die Konstellation der europäischen Mächte, die Friedrich den Ge¬
danken an ein Bündnis mit den Türken nahe legte. Der große Gegensatz zu
Österreich und bis 1762 der zu Rußland beherrschte seine ganze äußere Politik.
Gleicherweise beherrschte auch der große Gegensatz zu Österreich und Rußland,
die seit Jahren alles aufboten, das osmanische Reich zu vernichten, die seit
Jahren das Fell des türkischen Löwen unter sich zu teilen suchten, die Politik
am goldenen Horn. Diese Interessengemeinschaft hat Friedrich frühe klar und
scharf erkannt und hat deshalb nicht Mittel und Wege gescheut, um ihr über
alle Interessengegensätze, die den festgefügten, aufwärtsstrebenden, jungen Preußen-


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[0372] [Abbildung] Die Orientpolitik Friedrichs des Großen von Dr. Scina Stern le Persönlichkeit des großen Königs, der einsam, nur seinem Genius vertrauend, mutig einer Welt von Feinden trotzte, der lieber zu¬ grunde gehen als die Ehre seines kleinen Staates opfern wollte, ist uns heute vertrauter denn je geworden. Wie einst den Ameri¬ kanern zur Zeit ihrer großen Kriege und Nöte Friedrichs Vorbild Mut und Glut einflößte, so ist auch unseren Helden heute die Erinnerung an den siebenjährigen Krieg das Zeichen geworden, in dem sie zu siegen oder zu sterben wissen. Aber auch im einzelnen hat uns Friedrich als kühner Pionier Wege gebahnt, die wir heute beschreiten, nachdem sie lange vom Dickicht über¬ wachsen gewesen waren. Schon sein Urteil über England berührt sich haarscharf mit dem unseren. Hat er doch wiederholt seine Umgebung vor der hinter¬ hältigen, verräterischen Politik Albions gewarnt, hat ihn doch nach 1761 keine Macht der Erde mehr bewegen können, mit diesem Lande in eine Verbindung zu treten, „die ihn nur vor ganz Europa prostituieren würde". Weniger bekannt aber ist es, daß Friedrich fast während seiner ganzen Regierung den Plan verfolgte, durch ein Bündnis mit der Türkei seine Stellung in Europa zu befestigen. „Ich bin genötigt gewesen", so schrieb er darüber einmal an den Marquis d'Argens, „meine Zuflucht zu Treu und Glauben und zu der Menschlichkeit der Muselmänner zu nehmen, weil solche bei den Christen nicht mehr zu finden ist." Natürlich aber war es keine romantische Sentimentalität und keine aufwallende Gefühlspolitik, die ihn zu seinem Schritte bestimmten. Er hat lange mit seinem Entschlüsse gerungen, er hat ihn dann nur nach¬ denklich, wagend, umsichtig und einzig und allein das Interesse Preußens im Auge, zur Ausführung zu bringen gesucht. Es war die Konstellation der europäischen Mächte, die Friedrich den Ge¬ danken an ein Bündnis mit den Türken nahe legte. Der große Gegensatz zu Österreich und bis 1762 der zu Rußland beherrschte seine ganze äußere Politik. Gleicherweise beherrschte auch der große Gegensatz zu Österreich und Rußland, die seit Jahren alles aufboten, das osmanische Reich zu vernichten, die seit Jahren das Fell des türkischen Löwen unter sich zu teilen suchten, die Politik am goldenen Horn. Diese Interessengemeinschaft hat Friedrich frühe klar und scharf erkannt und hat deshalb nicht Mittel und Wege gescheut, um ihr über alle Interessengegensätze, die den festgefügten, aufwärtsstrebenden, jungen Preußen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/372>, abgerufen am 30.04.2024.