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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Vom Mordrecht der Obrigkeit
von H. von puttkamer

s ist nicht ohne einen gewissen düsteren Reiz, einmal der Ent¬
wicklung des Gedankens nachzugehen, ob überhaupt jemals und
in irgend einer Form eine Befugnis, ein Recht irgend einer
Obrigkeit zu begründen ist, mit dem sie über die Vernichtung
eines Menschen verfügen kann, ohne daß diese als der juristisch

festgelegte Vollzug einer Sühnungsstrafe für begangenes Unrecht dasteht. Das
krasse Beispiel englischer Morallostgkeit, wie es die Zeitungen von Englands Ge¬
sandten in Norwegen, Findlay. berichteten, der 100 000 Mark (5000 Pfund)
bot, um den Iren Sir Roger Casement ermorden zu lassen, der seiner Regierung
unbequem war, zeigt uns, daß der Glaube an solches Mordrecht auch heute
noch in den Köpfen unserer Feinde lebendig ist.

In seiner Französischen Geschichte spricht Ranke davon, daß die Mordtaten
des sechzehnten Jahrhunderts geradezu "eine Theorie voraussetzen lassen, nach
der souveränen Häuptern Dinge dieser Art erlaubt waren". Das Mittelalter
hatte zwei Grundsätze. nach denen es sich in seinen Handlungen richtete: Macht
ist Recht! Und: Der Zweck heiligt die Mittel. Grundsätze, die, vielleicht ohne
daß man sich so unumwunden offen zu ihnen bekannte, schon bis in die ältesten
Perioden der Völkergeschichte zurück den gleichen Einfluß hatten, wie im
Mittelalter, und die die Rechtfertigung für politische und religiöse Morde ent¬
halten sollten.

Der Wille zur Macht, der zu jener Zeit jedermanns Hand wider jedermann
hob und den eine eitle und machtgierige Geistlichkeit ebenso stark in sich brennen
fühlte, wie die herrschsüchtige weltliche Fürstenschar, solch Wille zur Macht ist
sicher eine der Kräfte, die das Rad der Weltgeschichte am häufigsten ins Rollen
bringt und auch darin erhält. Wir erleben es ja täglich noch heute so, wie es
vor 400 Jahren wohl gewesen sein mag, daß solch rücksichtsloser Wille sich nicht
mit den Waffen begnügt, die ihm aus dem Vorrat seiner Rechtsmittel zur Ver¬
fügung stehen, sondern daß er sich nicht scheut, seine Macht als sein Recht zu
erklären und zur Erreichung seines Zwecks nicht vor dem niedrigsten, gemeinsten
Mittel zurückzuweichen gewillt ist. Nur mit dem Unterschied, daß die Zeit der
Renaissance, die an sich schon ein fortgesetzter Kampf gegen die Gebundenheit
des Mittelalters war, Gewaltmenschen züchtete, die das Böse ihrer Taten ganz
freimütig zugaben. Goethes Wort, der Handelnde erscheine gewissenlos, nur




Vom Mordrecht der Obrigkeit
von H. von puttkamer

s ist nicht ohne einen gewissen düsteren Reiz, einmal der Ent¬
wicklung des Gedankens nachzugehen, ob überhaupt jemals und
in irgend einer Form eine Befugnis, ein Recht irgend einer
Obrigkeit zu begründen ist, mit dem sie über die Vernichtung
eines Menschen verfügen kann, ohne daß diese als der juristisch

festgelegte Vollzug einer Sühnungsstrafe für begangenes Unrecht dasteht. Das
krasse Beispiel englischer Morallostgkeit, wie es die Zeitungen von Englands Ge¬
sandten in Norwegen, Findlay. berichteten, der 100 000 Mark (5000 Pfund)
bot, um den Iren Sir Roger Casement ermorden zu lassen, der seiner Regierung
unbequem war, zeigt uns, daß der Glaube an solches Mordrecht auch heute
noch in den Köpfen unserer Feinde lebendig ist.

In seiner Französischen Geschichte spricht Ranke davon, daß die Mordtaten
des sechzehnten Jahrhunderts geradezu „eine Theorie voraussetzen lassen, nach
der souveränen Häuptern Dinge dieser Art erlaubt waren". Das Mittelalter
hatte zwei Grundsätze. nach denen es sich in seinen Handlungen richtete: Macht
ist Recht! Und: Der Zweck heiligt die Mittel. Grundsätze, die, vielleicht ohne
daß man sich so unumwunden offen zu ihnen bekannte, schon bis in die ältesten
Perioden der Völkergeschichte zurück den gleichen Einfluß hatten, wie im
Mittelalter, und die die Rechtfertigung für politische und religiöse Morde ent¬
halten sollten.

Der Wille zur Macht, der zu jener Zeit jedermanns Hand wider jedermann
hob und den eine eitle und machtgierige Geistlichkeit ebenso stark in sich brennen
fühlte, wie die herrschsüchtige weltliche Fürstenschar, solch Wille zur Macht ist
sicher eine der Kräfte, die das Rad der Weltgeschichte am häufigsten ins Rollen
bringt und auch darin erhält. Wir erleben es ja täglich noch heute so, wie es
vor 400 Jahren wohl gewesen sein mag, daß solch rücksichtsloser Wille sich nicht
mit den Waffen begnügt, die ihm aus dem Vorrat seiner Rechtsmittel zur Ver¬
fügung stehen, sondern daß er sich nicht scheut, seine Macht als sein Recht zu
erklären und zur Erreichung seines Zwecks nicht vor dem niedrigsten, gemeinsten
Mittel zurückzuweichen gewillt ist. Nur mit dem Unterschied, daß die Zeit der
Renaissance, die an sich schon ein fortgesetzter Kampf gegen die Gebundenheit
des Mittelalters war, Gewaltmenschen züchtete, die das Böse ihrer Taten ganz
freimütig zugaben. Goethes Wort, der Handelnde erscheine gewissenlos, nur


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[0416] [Abbildung] Vom Mordrecht der Obrigkeit von H. von puttkamer s ist nicht ohne einen gewissen düsteren Reiz, einmal der Ent¬ wicklung des Gedankens nachzugehen, ob überhaupt jemals und in irgend einer Form eine Befugnis, ein Recht irgend einer Obrigkeit zu begründen ist, mit dem sie über die Vernichtung eines Menschen verfügen kann, ohne daß diese als der juristisch festgelegte Vollzug einer Sühnungsstrafe für begangenes Unrecht dasteht. Das krasse Beispiel englischer Morallostgkeit, wie es die Zeitungen von Englands Ge¬ sandten in Norwegen, Findlay. berichteten, der 100 000 Mark (5000 Pfund) bot, um den Iren Sir Roger Casement ermorden zu lassen, der seiner Regierung unbequem war, zeigt uns, daß der Glaube an solches Mordrecht auch heute noch in den Köpfen unserer Feinde lebendig ist. In seiner Französischen Geschichte spricht Ranke davon, daß die Mordtaten des sechzehnten Jahrhunderts geradezu „eine Theorie voraussetzen lassen, nach der souveränen Häuptern Dinge dieser Art erlaubt waren". Das Mittelalter hatte zwei Grundsätze. nach denen es sich in seinen Handlungen richtete: Macht ist Recht! Und: Der Zweck heiligt die Mittel. Grundsätze, die, vielleicht ohne daß man sich so unumwunden offen zu ihnen bekannte, schon bis in die ältesten Perioden der Völkergeschichte zurück den gleichen Einfluß hatten, wie im Mittelalter, und die die Rechtfertigung für politische und religiöse Morde ent¬ halten sollten. Der Wille zur Macht, der zu jener Zeit jedermanns Hand wider jedermann hob und den eine eitle und machtgierige Geistlichkeit ebenso stark in sich brennen fühlte, wie die herrschsüchtige weltliche Fürstenschar, solch Wille zur Macht ist sicher eine der Kräfte, die das Rad der Weltgeschichte am häufigsten ins Rollen bringt und auch darin erhält. Wir erleben es ja täglich noch heute so, wie es vor 400 Jahren wohl gewesen sein mag, daß solch rücksichtsloser Wille sich nicht mit den Waffen begnügt, die ihm aus dem Vorrat seiner Rechtsmittel zur Ver¬ fügung stehen, sondern daß er sich nicht scheut, seine Macht als sein Recht zu erklären und zur Erreichung seines Zwecks nicht vor dem niedrigsten, gemeinsten Mittel zurückzuweichen gewillt ist. Nur mit dem Unterschied, daß die Zeit der Renaissance, die an sich schon ein fortgesetzter Kampf gegen die Gebundenheit des Mittelalters war, Gewaltmenschen züchtete, die das Böse ihrer Taten ganz freimütig zugaben. Goethes Wort, der Handelnde erscheine gewissenlos, nur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/416>, abgerufen am 30.04.2024.