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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Die Stellung der neutralen Schweiz zu Deutschland
im Weltkriege
von Professor Dr. Johannes Wendland (Schluß)

Wie stark das Interesse der Schweiz an dem tragischen Schicksal Belgiens
ist, zeigt eine umfangreiche Hilfsaktion, die für Belgien ins Werk gesetzt wurde.
Es zeigt sich auch darin, daß Bücher und Broschüren über Belgien eines
weiten Absatzgebietes sicher sind. Das Beste, was von Schweizer Seite
auf Grund umfassender, schon vor dem Kriege betriebener Studien über Belgien
geschrieben ist, ist die in der 5. Auslage vor mir liegende Schrift von Eduard
Blonder. "Belgische Neutralität und Schweizerische Neutralität." Zürich 1915*)
Auch Blonder beginnt wie Wernle und wie überhaupt jeder Schweizer mit dem
Ausdruck des Bedauerns: "Die Überrumpelung des kleinen neutralen Staates
Belgien hat uns Schweizer alle schmerzlich berührt. Jeder von uns hat sich
sogleich gefragt: Könnte es uns nicht auch einmal so gehen? Springt man
so mit mit den kleinen Staaten um?" (Seite 3). Aber Blonder zeigt klar
den großen Unterschied zwischen der schweizerischen und belgischen Neutralität.
Sein Urteil gründet sich auf ein umfassendes Studium belgischer Publikationen
und Zettungen. Er stützt sich nicht auf die von deutscher Seite ausgegangenen
Veröffentlichungen. Seine Ausführungen gewinnen dadurch um so größere
Durchschlagskraft. Er kommt zu dem Ergebnis, "daß Belgien erstens erstaun¬
lich wenig Vaterlandsliebe kennt" (Seite 4). Angesehene wallonische Partei¬
führer haben es nicht einmal, sondern wiederholt erklärt: "Eine ungeheuere
Anzahl von Wallonen wäre sogleich froh zu Frankreich zu gehören". (Seite
10). "Wir lieben Frankreich als unser wahres Vaterland und wir werden bei
jeder Gelegenheit unsere französische Vaterlandsliebe beweisen und für unsere
französische Nationalität Zeugnis ablegen" (ebenda). Kurz Belgier konnten un¬
widersprochen erklären, es gebe kein belgisches Vaterland, die Annexion durch
Frankreich sei das erstrebenswerte Ziel. Den ungeheuren Unterschied von der



*) Erschienen in dem Verlag der "Stimmen im Sturm". Die Erscheinungen dieses
Verlages machen es sich zur Aufgabe, einer einseitigen Stellungnahme gegen Deutsch,
land entgegenzutreten. Es handelt sich hier nicht um eine reichsdeutsche Gründung, sondern
um ein von deutsch-schweizerischer Seite ausgegangenes Unternehmen.


Die Stellung der neutralen Schweiz zu Deutschland
im Weltkriege
von Professor Dr. Johannes Wendland (Schluß)

Wie stark das Interesse der Schweiz an dem tragischen Schicksal Belgiens
ist, zeigt eine umfangreiche Hilfsaktion, die für Belgien ins Werk gesetzt wurde.
Es zeigt sich auch darin, daß Bücher und Broschüren über Belgien eines
weiten Absatzgebietes sicher sind. Das Beste, was von Schweizer Seite
auf Grund umfassender, schon vor dem Kriege betriebener Studien über Belgien
geschrieben ist, ist die in der 5. Auslage vor mir liegende Schrift von Eduard
Blonder. „Belgische Neutralität und Schweizerische Neutralität." Zürich 1915*)
Auch Blonder beginnt wie Wernle und wie überhaupt jeder Schweizer mit dem
Ausdruck des Bedauerns: „Die Überrumpelung des kleinen neutralen Staates
Belgien hat uns Schweizer alle schmerzlich berührt. Jeder von uns hat sich
sogleich gefragt: Könnte es uns nicht auch einmal so gehen? Springt man
so mit mit den kleinen Staaten um?" (Seite 3). Aber Blonder zeigt klar
den großen Unterschied zwischen der schweizerischen und belgischen Neutralität.
Sein Urteil gründet sich auf ein umfassendes Studium belgischer Publikationen
und Zettungen. Er stützt sich nicht auf die von deutscher Seite ausgegangenen
Veröffentlichungen. Seine Ausführungen gewinnen dadurch um so größere
Durchschlagskraft. Er kommt zu dem Ergebnis, „daß Belgien erstens erstaun¬
lich wenig Vaterlandsliebe kennt" (Seite 4). Angesehene wallonische Partei¬
führer haben es nicht einmal, sondern wiederholt erklärt: „Eine ungeheuere
Anzahl von Wallonen wäre sogleich froh zu Frankreich zu gehören". (Seite
10). „Wir lieben Frankreich als unser wahres Vaterland und wir werden bei
jeder Gelegenheit unsere französische Vaterlandsliebe beweisen und für unsere
französische Nationalität Zeugnis ablegen" (ebenda). Kurz Belgier konnten un¬
widersprochen erklären, es gebe kein belgisches Vaterland, die Annexion durch
Frankreich sei das erstrebenswerte Ziel. Den ungeheuren Unterschied von der



*) Erschienen in dem Verlag der „Stimmen im Sturm". Die Erscheinungen dieses
Verlages machen es sich zur Aufgabe, einer einseitigen Stellungnahme gegen Deutsch,
land entgegenzutreten. Es handelt sich hier nicht um eine reichsdeutsche Gründung, sondern
um ein von deutsch-schweizerischer Seite ausgegangenes Unternehmen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/97>, abgerufen am 30.04.2024.