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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Briefwechsel von Gustav Freytag mit Graf und Gräfin Baudissin

mir eine vortreffliche Rede die Prof. Jahr in Bonn gehalten hat, in welcher
folgender hübscher Passus vorkommt: "ein 11 jähriger Knabe in Kiel fragte vor
wenigen Tagen seine Mutter: "Wird der Vater den Eid leisten?" Was geht
Dich das an. erwiederte die Mutter. - "Ich muß es wissen, denn wenn der
Vater den Eid leistet, werde ich morgen in der Schule durchgeprügelt; heute
haben wir N. N. geprügelt, weil sein Vater geschworen hat."

Eine englische Familie (Holland) die Brüder u. Vettern im Parlament
hat. haben wir nach besten Kräften über Schleswig-Holstein aufgeklärt.


Freytag an Gräfin Baudissin.

Meine verehrte liebe Freundin!

Jeden Tag gehe ich jetzt am frühen Morgen nach der Stadt Gotha, und
an jedem Morgen, so oft ich den weichen Schaal im Winde um meinen Hals
fühle, denke ich Ihrer mit herzlicher Freude. Bei sämtlichen Eindrücken des
Tages, die oft nicht erfreulicher Natur sind, habe ich, wenn ich sie Abends
summire, den Wunsch mich mit Ihnen darüber zu unterhalten. -- Lotte?
Du lieber Gott! Meine liebe Freundin Lotte sieht die Welt zuweilen durch
wunderliche Augengläser an, aber wenn sie auch jetzt geneigt ist, mich als
einen verzweifelten Democraten zu behandeln, so vertraue ich doch, daß sie,
wenn ihr Gelegenheit geboten würde, mir zu schaden oder zu nützen, aus un¬
zerstörbarer Herzensgüte das Letztere vorziehen würde. Und daß Sie meine
armen Worte nicht mit gebundenen Händen an Rhadamanth Lotte ausliefern
würden, davon bin ich so selbstverständlich durchdrungen, daß es mir ordentlich
weh thut, mich nach dieser Beziehung zu rechtfertigen. Nein, liebe Freundin,
es ist nichts. Wenn ich zwei Menschen auf der Welt habe, deren Verhältniß
zu mir ich als fest und unzerstörbar betrachte, so sind Sie diese beiden. Es
:se ein mildes, freundliches, wohltuendes Licht, das in Ihnen auch zu meinen
Gunsten brennt, und es erschreckt mich ordentlich, daß Ihr Brief annimmt, es
könnte ein Schatten zwischen uns fallen. Nun giebt es für mein nicht Schreiben
keine Entschuldigung. Und ich mache keine. Die Langmuth die Sie mir
früher bewiesen, habe ich diesmal unbillig in Anspruch genommen. Es ist mir
mit allen meinen Lieben so gegangen. Seit länger als einem Jahr, seit 2
Sommern, existiere ich wie eine Raupe, die sich vollgeschmaust hat. und jetzt
ehren trägen Puppenzustand durchmacht. Was an Gespinst herauskommen
wird, weiß man nicht, es mag nicht viel Gutes werden, aber das Geschöpf selbst
wird freier, u. ich hoffe ein wenig stärker und besser mit neuen Flügelchen aus
diesem Traumleben herausschlüpfen.

Unterdeß ist mir die Arbeitzeit durch die Politik sehr zerbrochen worden.
Und seit vier Wochen so sehr, daß ich in meinen eigenen Geschäften keine Zeile
geschrieben habe. Ob dieses Kümmern um Dinge, die nicht meines Handwerks
sind, von meinen Freunden als ein Fehler betrachtet wird, darüber bin ich


Grenzboten III 1916 4
Briefwechsel von Gustav Freytag mit Graf und Gräfin Baudissin

mir eine vortreffliche Rede die Prof. Jahr in Bonn gehalten hat, in welcher
folgender hübscher Passus vorkommt: „ein 11 jähriger Knabe in Kiel fragte vor
wenigen Tagen seine Mutter: „Wird der Vater den Eid leisten?" Was geht
Dich das an. erwiederte die Mutter. - „Ich muß es wissen, denn wenn der
Vater den Eid leistet, werde ich morgen in der Schule durchgeprügelt; heute
haben wir N. N. geprügelt, weil sein Vater geschworen hat."

Eine englische Familie (Holland) die Brüder u. Vettern im Parlament
hat. haben wir nach besten Kräften über Schleswig-Holstein aufgeklärt.


Freytag an Gräfin Baudissin.

Meine verehrte liebe Freundin!

Jeden Tag gehe ich jetzt am frühen Morgen nach der Stadt Gotha, und
an jedem Morgen, so oft ich den weichen Schaal im Winde um meinen Hals
fühle, denke ich Ihrer mit herzlicher Freude. Bei sämtlichen Eindrücken des
Tages, die oft nicht erfreulicher Natur sind, habe ich, wenn ich sie Abends
summire, den Wunsch mich mit Ihnen darüber zu unterhalten. — Lotte?
Du lieber Gott! Meine liebe Freundin Lotte sieht die Welt zuweilen durch
wunderliche Augengläser an, aber wenn sie auch jetzt geneigt ist, mich als
einen verzweifelten Democraten zu behandeln, so vertraue ich doch, daß sie,
wenn ihr Gelegenheit geboten würde, mir zu schaden oder zu nützen, aus un¬
zerstörbarer Herzensgüte das Letztere vorziehen würde. Und daß Sie meine
armen Worte nicht mit gebundenen Händen an Rhadamanth Lotte ausliefern
würden, davon bin ich so selbstverständlich durchdrungen, daß es mir ordentlich
weh thut, mich nach dieser Beziehung zu rechtfertigen. Nein, liebe Freundin,
es ist nichts. Wenn ich zwei Menschen auf der Welt habe, deren Verhältniß
zu mir ich als fest und unzerstörbar betrachte, so sind Sie diese beiden. Es
:se ein mildes, freundliches, wohltuendes Licht, das in Ihnen auch zu meinen
Gunsten brennt, und es erschreckt mich ordentlich, daß Ihr Brief annimmt, es
könnte ein Schatten zwischen uns fallen. Nun giebt es für mein nicht Schreiben
keine Entschuldigung. Und ich mache keine. Die Langmuth die Sie mir
früher bewiesen, habe ich diesmal unbillig in Anspruch genommen. Es ist mir
mit allen meinen Lieben so gegangen. Seit länger als einem Jahr, seit 2
Sommern, existiere ich wie eine Raupe, die sich vollgeschmaust hat. und jetzt
ehren trägen Puppenzustand durchmacht. Was an Gespinst herauskommen
wird, weiß man nicht, es mag nicht viel Gutes werden, aber das Geschöpf selbst
wird freier, u. ich hoffe ein wenig stärker und besser mit neuen Flügelchen aus
diesem Traumleben herausschlüpfen.

Unterdeß ist mir die Arbeitzeit durch die Politik sehr zerbrochen worden.
Und seit vier Wochen so sehr, daß ich in meinen eigenen Geschäften keine Zeile
geschrieben habe. Ob dieses Kümmern um Dinge, die nicht meines Handwerks
sind, von meinen Freunden als ein Fehler betrachtet wird, darüber bin ich


Grenzboten III 1916 4
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[0061] Briefwechsel von Gustav Freytag mit Graf und Gräfin Baudissin mir eine vortreffliche Rede die Prof. Jahr in Bonn gehalten hat, in welcher folgender hübscher Passus vorkommt: „ein 11 jähriger Knabe in Kiel fragte vor wenigen Tagen seine Mutter: „Wird der Vater den Eid leisten?" Was geht Dich das an. erwiederte die Mutter. - „Ich muß es wissen, denn wenn der Vater den Eid leistet, werde ich morgen in der Schule durchgeprügelt; heute haben wir N. N. geprügelt, weil sein Vater geschworen hat." Eine englische Familie (Holland) die Brüder u. Vettern im Parlament hat. haben wir nach besten Kräften über Schleswig-Holstein aufgeklärt. Freytag an Gräfin Baudissin. Meine verehrte liebe Freundin! Jeden Tag gehe ich jetzt am frühen Morgen nach der Stadt Gotha, und an jedem Morgen, so oft ich den weichen Schaal im Winde um meinen Hals fühle, denke ich Ihrer mit herzlicher Freude. Bei sämtlichen Eindrücken des Tages, die oft nicht erfreulicher Natur sind, habe ich, wenn ich sie Abends summire, den Wunsch mich mit Ihnen darüber zu unterhalten. — Lotte? Du lieber Gott! Meine liebe Freundin Lotte sieht die Welt zuweilen durch wunderliche Augengläser an, aber wenn sie auch jetzt geneigt ist, mich als einen verzweifelten Democraten zu behandeln, so vertraue ich doch, daß sie, wenn ihr Gelegenheit geboten würde, mir zu schaden oder zu nützen, aus un¬ zerstörbarer Herzensgüte das Letztere vorziehen würde. Und daß Sie meine armen Worte nicht mit gebundenen Händen an Rhadamanth Lotte ausliefern würden, davon bin ich so selbstverständlich durchdrungen, daß es mir ordentlich weh thut, mich nach dieser Beziehung zu rechtfertigen. Nein, liebe Freundin, es ist nichts. Wenn ich zwei Menschen auf der Welt habe, deren Verhältniß zu mir ich als fest und unzerstörbar betrachte, so sind Sie diese beiden. Es :se ein mildes, freundliches, wohltuendes Licht, das in Ihnen auch zu meinen Gunsten brennt, und es erschreckt mich ordentlich, daß Ihr Brief annimmt, es könnte ein Schatten zwischen uns fallen. Nun giebt es für mein nicht Schreiben keine Entschuldigung. Und ich mache keine. Die Langmuth die Sie mir früher bewiesen, habe ich diesmal unbillig in Anspruch genommen. Es ist mir mit allen meinen Lieben so gegangen. Seit länger als einem Jahr, seit 2 Sommern, existiere ich wie eine Raupe, die sich vollgeschmaust hat. und jetzt ehren trägen Puppenzustand durchmacht. Was an Gespinst herauskommen wird, weiß man nicht, es mag nicht viel Gutes werden, aber das Geschöpf selbst wird freier, u. ich hoffe ein wenig stärker und besser mit neuen Flügelchen aus diesem Traumleben herausschlüpfen. Unterdeß ist mir die Arbeitzeit durch die Politik sehr zerbrochen worden. Und seit vier Wochen so sehr, daß ich in meinen eigenen Geschäften keine Zeile geschrieben habe. Ob dieses Kümmern um Dinge, die nicht meines Handwerks sind, von meinen Freunden als ein Fehler betrachtet wird, darüber bin ich Grenzboten III 1916 4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/61>, abgerufen am 05.05.2024.