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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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ZVohm geht Rußland?

Weltreligion ist. so ist insonderheit nicht der Osten, sondern der Westen
religiös.

Eine psychologische Unkenntnis zeigt Gorki. wenn er die Religion, als
absolute Beschaulichkeit, der Wissenschaft, als absolute Tätigkeit, gegenüberstellt.
Die Religion ist entweder ein Nichts, "ein Betrug der Einbildung", oder die
größte Kundgebung des menschlichen Willens, und der Wille ist die einzige
Quelle der Tätigkeit. Der Verstand beleuchtet und gibt die Richtung, der
Wille entscheidet und vollbringt die Tätigkeit. Deshalb ist eine willenlose,
untadige Religion einem nichtbrennenden Feuer gleich: das Feuer hört auf zu
brennen, wenn es verlöscht, und die Religion wird untätig, wenn sie aufhört
Religion zu fein. Umgekehrt wird die Wissenschaft tätig, nur wenn sie aufhört,
Wissenschaft zu sein und Religion wird, indem sie sich vom Verstände zum
Willen, wenn auch nur bewußtlos, hinwendet. Um tätig zu sein, muß man
das Pflichtgemäße entweder wollen oder wissen: und für die Wissenschaft gibt
es weder Gewolltes, noch Pflichtgemäßes, sondern nur Daten.

Die Religion knechtet nach Ansicht Gorkis die Persönlichkeit, die Wissen¬
schaft befreit sie. Aber schon der Begriff "der Persönlichkeit" ist unzertrennbar
verbunden mit dem Begriff der "Freiheit", und für die Wissenschaft gibt es
keine Freiheit: das Gesetz der Notwendigkeit, der Determinismus, ist das
Grundgesetz des wissenschaftlichen Denkens. Deshalb kennt die Wissenschaft
keine "Persönlichkeiten" sondern nur "unzerteilbare" Einzelwesen, unpersönliche
"Geschlechter und Gestalten". Der Begriff der "Persönlichkeit" ist ebenso wie
der Begriff der "Freiheit" keineswegs ein wissenschaftlicher, sondern ein religiöser.
Um die Persönlichkeit zu bestätigen, muß die Freiheit bestätigt, das Gesetz der
Notwendigkeit im äußersten Punkte, im Tode, überwunden werden. Das tut
auch das Christentum -- die Religion der absoluten Freiheit, der absoluten
Persönlichkeit.

Aus allem, was Gorki von der Religion sagt, ist nur eins wahr, nämlich,
daß die Religion "gefährlich" sei. Aber es ist doch wohl im allgemeinen jede
Kraft gefährlich; je größer die Kraft, desto gefährlicher. Die Religion ist die
größte Kraft, die größte Gefahr. Wenn aber aus dem Feuer Feuersbrünste
entstehen, so folgt daraus nicht, daß man ohne Feuer leben müsse.


V.

Ja, indem Gorki von der Religion spricht, weiß er nicht, wovon er redet.
Es ist aber nicht wichtig, was er weiß und nicht weiß, sondern was er will
und nicht will.

Er will nicht Religion, weil er die Welt lieben will, und jede Religion
ist Unliebe zur Welt. Wie verhält es sich nun mit der Religion der Gro߬
mutter: Liebe zur Welt und zu Gott zusammen? Diese, ihre uneigennützige
Liebe zur Welt hat mich bereichert, indem sie mich mit fester Kraft "zum Kampf
des Lebens" erfüllte --.


ZVohm geht Rußland?

Weltreligion ist. so ist insonderheit nicht der Osten, sondern der Westen
religiös.

Eine psychologische Unkenntnis zeigt Gorki. wenn er die Religion, als
absolute Beschaulichkeit, der Wissenschaft, als absolute Tätigkeit, gegenüberstellt.
Die Religion ist entweder ein Nichts, „ein Betrug der Einbildung", oder die
größte Kundgebung des menschlichen Willens, und der Wille ist die einzige
Quelle der Tätigkeit. Der Verstand beleuchtet und gibt die Richtung, der
Wille entscheidet und vollbringt die Tätigkeit. Deshalb ist eine willenlose,
untadige Religion einem nichtbrennenden Feuer gleich: das Feuer hört auf zu
brennen, wenn es verlöscht, und die Religion wird untätig, wenn sie aufhört
Religion zu fein. Umgekehrt wird die Wissenschaft tätig, nur wenn sie aufhört,
Wissenschaft zu sein und Religion wird, indem sie sich vom Verstände zum
Willen, wenn auch nur bewußtlos, hinwendet. Um tätig zu sein, muß man
das Pflichtgemäße entweder wollen oder wissen: und für die Wissenschaft gibt
es weder Gewolltes, noch Pflichtgemäßes, sondern nur Daten.

Die Religion knechtet nach Ansicht Gorkis die Persönlichkeit, die Wissen¬
schaft befreit sie. Aber schon der Begriff „der Persönlichkeit" ist unzertrennbar
verbunden mit dem Begriff der „Freiheit", und für die Wissenschaft gibt es
keine Freiheit: das Gesetz der Notwendigkeit, der Determinismus, ist das
Grundgesetz des wissenschaftlichen Denkens. Deshalb kennt die Wissenschaft
keine „Persönlichkeiten" sondern nur „unzerteilbare" Einzelwesen, unpersönliche
„Geschlechter und Gestalten". Der Begriff der „Persönlichkeit" ist ebenso wie
der Begriff der „Freiheit" keineswegs ein wissenschaftlicher, sondern ein religiöser.
Um die Persönlichkeit zu bestätigen, muß die Freiheit bestätigt, das Gesetz der
Notwendigkeit im äußersten Punkte, im Tode, überwunden werden. Das tut
auch das Christentum — die Religion der absoluten Freiheit, der absoluten
Persönlichkeit.

Aus allem, was Gorki von der Religion sagt, ist nur eins wahr, nämlich,
daß die Religion „gefährlich" sei. Aber es ist doch wohl im allgemeinen jede
Kraft gefährlich; je größer die Kraft, desto gefährlicher. Die Religion ist die
größte Kraft, die größte Gefahr. Wenn aber aus dem Feuer Feuersbrünste
entstehen, so folgt daraus nicht, daß man ohne Feuer leben müsse.


V.

Ja, indem Gorki von der Religion spricht, weiß er nicht, wovon er redet.
Es ist aber nicht wichtig, was er weiß und nicht weiß, sondern was er will
und nicht will.

Er will nicht Religion, weil er die Welt lieben will, und jede Religion
ist Unliebe zur Welt. Wie verhält es sich nun mit der Religion der Gro߬
mutter: Liebe zur Welt und zu Gott zusammen? Diese, ihre uneigennützige
Liebe zur Welt hat mich bereichert, indem sie mich mit fester Kraft „zum Kampf
des Lebens" erfüllte —.


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[0130] ZVohm geht Rußland? Weltreligion ist. so ist insonderheit nicht der Osten, sondern der Westen religiös. Eine psychologische Unkenntnis zeigt Gorki. wenn er die Religion, als absolute Beschaulichkeit, der Wissenschaft, als absolute Tätigkeit, gegenüberstellt. Die Religion ist entweder ein Nichts, „ein Betrug der Einbildung", oder die größte Kundgebung des menschlichen Willens, und der Wille ist die einzige Quelle der Tätigkeit. Der Verstand beleuchtet und gibt die Richtung, der Wille entscheidet und vollbringt die Tätigkeit. Deshalb ist eine willenlose, untadige Religion einem nichtbrennenden Feuer gleich: das Feuer hört auf zu brennen, wenn es verlöscht, und die Religion wird untätig, wenn sie aufhört Religion zu fein. Umgekehrt wird die Wissenschaft tätig, nur wenn sie aufhört, Wissenschaft zu sein und Religion wird, indem sie sich vom Verstände zum Willen, wenn auch nur bewußtlos, hinwendet. Um tätig zu sein, muß man das Pflichtgemäße entweder wollen oder wissen: und für die Wissenschaft gibt es weder Gewolltes, noch Pflichtgemäßes, sondern nur Daten. Die Religion knechtet nach Ansicht Gorkis die Persönlichkeit, die Wissen¬ schaft befreit sie. Aber schon der Begriff „der Persönlichkeit" ist unzertrennbar verbunden mit dem Begriff der „Freiheit", und für die Wissenschaft gibt es keine Freiheit: das Gesetz der Notwendigkeit, der Determinismus, ist das Grundgesetz des wissenschaftlichen Denkens. Deshalb kennt die Wissenschaft keine „Persönlichkeiten" sondern nur „unzerteilbare" Einzelwesen, unpersönliche „Geschlechter und Gestalten". Der Begriff der „Persönlichkeit" ist ebenso wie der Begriff der „Freiheit" keineswegs ein wissenschaftlicher, sondern ein religiöser. Um die Persönlichkeit zu bestätigen, muß die Freiheit bestätigt, das Gesetz der Notwendigkeit im äußersten Punkte, im Tode, überwunden werden. Das tut auch das Christentum — die Religion der absoluten Freiheit, der absoluten Persönlichkeit. Aus allem, was Gorki von der Religion sagt, ist nur eins wahr, nämlich, daß die Religion „gefährlich" sei. Aber es ist doch wohl im allgemeinen jede Kraft gefährlich; je größer die Kraft, desto gefährlicher. Die Religion ist die größte Kraft, die größte Gefahr. Wenn aber aus dem Feuer Feuersbrünste entstehen, so folgt daraus nicht, daß man ohne Feuer leben müsse. V. Ja, indem Gorki von der Religion spricht, weiß er nicht, wovon er redet. Es ist aber nicht wichtig, was er weiß und nicht weiß, sondern was er will und nicht will. Er will nicht Religion, weil er die Welt lieben will, und jede Religion ist Unliebe zur Welt. Wie verhält es sich nun mit der Religion der Gro߬ mutter: Liebe zur Welt und zu Gott zusammen? Diese, ihre uneigennützige Liebe zur Welt hat mich bereichert, indem sie mich mit fester Kraft „zum Kampf des Lebens" erfüllte —.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/130>, abgerufen am 27.04.2024.