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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Sammlung und Nutzbarmachung der Zeitungen
von Dr, Ernst Götz

^
> as jedem Menschen wissenswert erscheint, sein eigenes Werden,
Wachsen und Gedeihen, die Erkenntnis seiner Stellung zur Außen-
weit mit dem Anspruch auf Gültigkeit, das ist für ein Volk, für
einen alten Zusammenhang von Volkstum oder Staatskörper, seine
Geschichte. Um ihrer selbst willen, im Interesse der gewordenen
Formen ihres eigenen Lebens, forschen die Völker nach ihrer Vergangenheit und
ziehen aus ihr Verständnis für das Bewußtsein gegenwärtiger Macht und Größe.
Das naive Bedürfnis nach Erkenntnis der Zusammenhänge des Geschehens, so¬
weit sie uns betreffen, zeigt sich unter dem Gesichtspunkte der Welt-, europäischen
oder Volksgeschichte in wesentlich verfeinerter Form, dadurch, daß an Stelle der
individuellen Beziehungen allgemeine treten, solche, die eine Vielheit durch Gleich¬
artigkeit des Stammes und der Entwicklung zusammengehöriger Menschen an¬
gehen. Für ein Volk, sür die Gesamtheit mehrerer Völker, wird die alte Frage
"Was ist Wahrheit?" zum Urgrund alles wissenschaftlichen Forschens und
Strebens; kein geringerer als Leopold von Ranke hat das im neunzehnten Jahr¬
hundert für die Geschichte erkannt und den Grund gelegt zu einer modernen
Geschichtsschreibung uni ihrer selbst willen.

Wenn wir nun untersuchen, welche Aufgaben geschichtswissenschaftlicher und
praktischer Art es für unser Geschlecht zu lösen gilt, so fällt vor allen Dingen
ein Gebiet in die Augen, dessen Bedeutung in den letzten hundert Jahren ebenso
gewachsen ist, wie das Bedürfnis nach seiner systematischen Ordnung und Ver¬
arbeitung vernachlässigt wurde. Es hat ja nicht an Stimmen von Klang gefehlt,
die zeitig auf die Wichtigkeit der Presse hinwiesen. Aber Anregungen wie die
Spcchns und anderer Gelehrten. Wünsche, die im deutschen Reichstage laut
wurden, vermochten nicht, ihrer Überzeugung zum Sieg, ihren Absichten zur
Durchführung zu verhelfen. Daß man sich nun gerade jetzt in Deutschland
mit den Erzeugnissen der "Presse" wissenschaftlich und praktisch mehr beschäftigt
als früher, ist zum guten Teil in den Verhältnissen der Gegenwart begründet.

Es ist zweifellos gerade im jetzigen Kriege sehr fühlbar geworden, daß
unsere Diplomatie im Auslande nicht über dasjenige publizistische und jour¬
nalistische Rüstzeug verfügte, das unseren Feinden in so reichem Maße zu
Gebote stand. Schon vor dem Kriege legten England und Frankreich große
Summen in dieser Agitation an. deren Wirkungen wir überall im Auslande




Sammlung und Nutzbarmachung der Zeitungen
von Dr, Ernst Götz

^
> as jedem Menschen wissenswert erscheint, sein eigenes Werden,
Wachsen und Gedeihen, die Erkenntnis seiner Stellung zur Außen-
weit mit dem Anspruch auf Gültigkeit, das ist für ein Volk, für
einen alten Zusammenhang von Volkstum oder Staatskörper, seine
Geschichte. Um ihrer selbst willen, im Interesse der gewordenen
Formen ihres eigenen Lebens, forschen die Völker nach ihrer Vergangenheit und
ziehen aus ihr Verständnis für das Bewußtsein gegenwärtiger Macht und Größe.
Das naive Bedürfnis nach Erkenntnis der Zusammenhänge des Geschehens, so¬
weit sie uns betreffen, zeigt sich unter dem Gesichtspunkte der Welt-, europäischen
oder Volksgeschichte in wesentlich verfeinerter Form, dadurch, daß an Stelle der
individuellen Beziehungen allgemeine treten, solche, die eine Vielheit durch Gleich¬
artigkeit des Stammes und der Entwicklung zusammengehöriger Menschen an¬
gehen. Für ein Volk, sür die Gesamtheit mehrerer Völker, wird die alte Frage
„Was ist Wahrheit?" zum Urgrund alles wissenschaftlichen Forschens und
Strebens; kein geringerer als Leopold von Ranke hat das im neunzehnten Jahr¬
hundert für die Geschichte erkannt und den Grund gelegt zu einer modernen
Geschichtsschreibung uni ihrer selbst willen.

Wenn wir nun untersuchen, welche Aufgaben geschichtswissenschaftlicher und
praktischer Art es für unser Geschlecht zu lösen gilt, so fällt vor allen Dingen
ein Gebiet in die Augen, dessen Bedeutung in den letzten hundert Jahren ebenso
gewachsen ist, wie das Bedürfnis nach seiner systematischen Ordnung und Ver¬
arbeitung vernachlässigt wurde. Es hat ja nicht an Stimmen von Klang gefehlt,
die zeitig auf die Wichtigkeit der Presse hinwiesen. Aber Anregungen wie die
Spcchns und anderer Gelehrten. Wünsche, die im deutschen Reichstage laut
wurden, vermochten nicht, ihrer Überzeugung zum Sieg, ihren Absichten zur
Durchführung zu verhelfen. Daß man sich nun gerade jetzt in Deutschland
mit den Erzeugnissen der „Presse" wissenschaftlich und praktisch mehr beschäftigt
als früher, ist zum guten Teil in den Verhältnissen der Gegenwart begründet.

Es ist zweifellos gerade im jetzigen Kriege sehr fühlbar geworden, daß
unsere Diplomatie im Auslande nicht über dasjenige publizistische und jour¬
nalistische Rüstzeug verfügte, das unseren Feinden in so reichem Maße zu
Gebote stand. Schon vor dem Kriege legten England und Frankreich große
Summen in dieser Agitation an. deren Wirkungen wir überall im Auslande


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[0134] [Abbildung] Sammlung und Nutzbarmachung der Zeitungen von Dr, Ernst Götz ^ > as jedem Menschen wissenswert erscheint, sein eigenes Werden, Wachsen und Gedeihen, die Erkenntnis seiner Stellung zur Außen- weit mit dem Anspruch auf Gültigkeit, das ist für ein Volk, für einen alten Zusammenhang von Volkstum oder Staatskörper, seine Geschichte. Um ihrer selbst willen, im Interesse der gewordenen Formen ihres eigenen Lebens, forschen die Völker nach ihrer Vergangenheit und ziehen aus ihr Verständnis für das Bewußtsein gegenwärtiger Macht und Größe. Das naive Bedürfnis nach Erkenntnis der Zusammenhänge des Geschehens, so¬ weit sie uns betreffen, zeigt sich unter dem Gesichtspunkte der Welt-, europäischen oder Volksgeschichte in wesentlich verfeinerter Form, dadurch, daß an Stelle der individuellen Beziehungen allgemeine treten, solche, die eine Vielheit durch Gleich¬ artigkeit des Stammes und der Entwicklung zusammengehöriger Menschen an¬ gehen. Für ein Volk, sür die Gesamtheit mehrerer Völker, wird die alte Frage „Was ist Wahrheit?" zum Urgrund alles wissenschaftlichen Forschens und Strebens; kein geringerer als Leopold von Ranke hat das im neunzehnten Jahr¬ hundert für die Geschichte erkannt und den Grund gelegt zu einer modernen Geschichtsschreibung uni ihrer selbst willen. Wenn wir nun untersuchen, welche Aufgaben geschichtswissenschaftlicher und praktischer Art es für unser Geschlecht zu lösen gilt, so fällt vor allen Dingen ein Gebiet in die Augen, dessen Bedeutung in den letzten hundert Jahren ebenso gewachsen ist, wie das Bedürfnis nach seiner systematischen Ordnung und Ver¬ arbeitung vernachlässigt wurde. Es hat ja nicht an Stimmen von Klang gefehlt, die zeitig auf die Wichtigkeit der Presse hinwiesen. Aber Anregungen wie die Spcchns und anderer Gelehrten. Wünsche, die im deutschen Reichstage laut wurden, vermochten nicht, ihrer Überzeugung zum Sieg, ihren Absichten zur Durchführung zu verhelfen. Daß man sich nun gerade jetzt in Deutschland mit den Erzeugnissen der „Presse" wissenschaftlich und praktisch mehr beschäftigt als früher, ist zum guten Teil in den Verhältnissen der Gegenwart begründet. Es ist zweifellos gerade im jetzigen Kriege sehr fühlbar geworden, daß unsere Diplomatie im Auslande nicht über dasjenige publizistische und jour¬ nalistische Rüstzeug verfügte, das unseren Feinden in so reichem Maße zu Gebote stand. Schon vor dem Kriege legten England und Frankreich große Summen in dieser Agitation an. deren Wirkungen wir überall im Auslande

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/134>, abgerufen am 28.04.2024.