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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Im neuen Deutschland
von Professor Dr. Lonrad Bornhak

eilen prägt sich schon bei den Mitlebenden der Gedanke aus, daß
mit einem geschichtlichen Ereignisse ein neues Zeitalter beginnt.
Als Odoaker den letzten Kaiser des Weltreiches Romulus
Augustulus absetzte, um selbst als deutscher Heerkönig und Statt¬
halter des im Osten fortlebenden Römerreichs Italien zu be¬
herrschen, dachte kein Mensch: Jetzt ist das Altertum zu Ende, und das
Mittelalter beginnt. Und als Columbus, die westliche Durchfahrt nach Indien
suchend, auf eine amerikanische Insel stieß, oder Luther in einem Mönchsstreite
mit Tezel die fünfundneunzig Thesen an die Wittenberger Schloßkirche schlug,
lag beiden, tief in mittelalterlichen Anschauungen befangen, jeder Gedanke fern,
damit ein neues Zeitalter zu eröffnen. Doch mit Beginn des Weltkrieges
brach sich mit unwiderstehlicher Gewalt die Überzeugung Bahn: Alles, was
war, versinkt, eine neue Zeit bricht an. Glücklich werden spätere Geschlechter
die preisen, denen es vergönnt war. das Gewaltige selbst zu erleben und dabei
irgendwie mitzuwirken. Und in der Tat, von riesenhafter Größe müssen" Er¬
eignisse sein, die schon den Mitlebenden den Beginn eines neuen Zeitalters
ankündigen.

So wie es bisher war, kann es nicht bleiben, nach dem Kriege muß alles
anders werden. An dieser Tatsache ist nicht zu zweifeln, nur das Wie ruht
in der Zukunft Schoße und öffnet der Phantasie und der Prophetie weitesten
Spielraum. Auf dem Gebiete der auswärtigen Politik dürfen diese sich nicht
äußern. Denn eine hochweise Negierungspolitik verbietet jede Erörterung der
Kriegsziele, abgesehen von der, daß wir uneigennützig nichts haben wollen,
und das Weltringen auslaufen soll wie das Hornberger Schießen, was natür¬
lich kein Mensch glaubt. Um so mehr kann man den phantasievollen Geist auf
dem Gebiete der künftigen inneren Politik sich tummeln lassen.

Deutscher Idealismus treibt hier die seltsamsten Blüten. Der Geist von
1914 soll auch nach dem Kriege fortwirken und erbitterte Parteikämpfe ver¬
hüten, und dazu gründet man auch noch einen Verein. Demgegenüber hatte
schon unser deutscher Lehrer in der Ober-Prima, Professor Gätke, der Vater
des bekannten vormaligen Obersten a. D. Gätke, das treffende Wort: "Be¬
geisterung ist keine Heringsware, man kann sie nicht einpökeln". Und wenn
der Reichskanzler unter lebhaftem parlamentarischen Beifalle das Wort prägte:




Im neuen Deutschland
von Professor Dr. Lonrad Bornhak

eilen prägt sich schon bei den Mitlebenden der Gedanke aus, daß
mit einem geschichtlichen Ereignisse ein neues Zeitalter beginnt.
Als Odoaker den letzten Kaiser des Weltreiches Romulus
Augustulus absetzte, um selbst als deutscher Heerkönig und Statt¬
halter des im Osten fortlebenden Römerreichs Italien zu be¬
herrschen, dachte kein Mensch: Jetzt ist das Altertum zu Ende, und das
Mittelalter beginnt. Und als Columbus, die westliche Durchfahrt nach Indien
suchend, auf eine amerikanische Insel stieß, oder Luther in einem Mönchsstreite
mit Tezel die fünfundneunzig Thesen an die Wittenberger Schloßkirche schlug,
lag beiden, tief in mittelalterlichen Anschauungen befangen, jeder Gedanke fern,
damit ein neues Zeitalter zu eröffnen. Doch mit Beginn des Weltkrieges
brach sich mit unwiderstehlicher Gewalt die Überzeugung Bahn: Alles, was
war, versinkt, eine neue Zeit bricht an. Glücklich werden spätere Geschlechter
die preisen, denen es vergönnt war. das Gewaltige selbst zu erleben und dabei
irgendwie mitzuwirken. Und in der Tat, von riesenhafter Größe müssen" Er¬
eignisse sein, die schon den Mitlebenden den Beginn eines neuen Zeitalters
ankündigen.

So wie es bisher war, kann es nicht bleiben, nach dem Kriege muß alles
anders werden. An dieser Tatsache ist nicht zu zweifeln, nur das Wie ruht
in der Zukunft Schoße und öffnet der Phantasie und der Prophetie weitesten
Spielraum. Auf dem Gebiete der auswärtigen Politik dürfen diese sich nicht
äußern. Denn eine hochweise Negierungspolitik verbietet jede Erörterung der
Kriegsziele, abgesehen von der, daß wir uneigennützig nichts haben wollen,
und das Weltringen auslaufen soll wie das Hornberger Schießen, was natür¬
lich kein Mensch glaubt. Um so mehr kann man den phantasievollen Geist auf
dem Gebiete der künftigen inneren Politik sich tummeln lassen.

Deutscher Idealismus treibt hier die seltsamsten Blüten. Der Geist von
1914 soll auch nach dem Kriege fortwirken und erbitterte Parteikämpfe ver¬
hüten, und dazu gründet man auch noch einen Verein. Demgegenüber hatte
schon unser deutscher Lehrer in der Ober-Prima, Professor Gätke, der Vater
des bekannten vormaligen Obersten a. D. Gätke, das treffende Wort: „Be¬
geisterung ist keine Heringsware, man kann sie nicht einpökeln". Und wenn
der Reichskanzler unter lebhaftem parlamentarischen Beifalle das Wort prägte:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/190>, abgerufen am 27.04.2024.