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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Das polnische Problem
von Georg Lleinow

er es zu unternehmen wagt, ein Problem lösen zu wollen, be¬
darf, möge er ein Mann der GeisteswissensckMen sein, oder ein
Staatsmann. Publizist oder Naturforscher, vor allen Dingen
des Mutes zur Wahrheit. Denn nicht nach den guten oder
bösen Absichten eines noch so starken Willens können Probleme
gelöst werden, sondern nach der Tendenz der ihnen innewohnenden treibenden
Kräfte. Daher ist Voraussetzung jeder Lösung die Auflösung, die Analyse.
Erst wenn alle in einem Problem wirkenden Kräfte erkannt, in ihrem
Werte zueinander richtig abgeschätzt und in ihren möglichen Wirkungen
voll eingesetzt sind, dann kann damit gerechnet werden, daß eine Lösung ge¬
funden wird, die den wirklichen Kräfteverhältnissen entspricht. Dazu gehört Mut,
leidenschaftsloser, kühler Mut! Mag es sich um wissenschaftliche, oder soziale
oder wirtschaftliche handeln! erst recht, wenn es um politische geht, in denen
reine Geisteswissenschaft. Wirtschaft. Psychologie. Statistik, mit einem Worte alles
Menschliche in eins zusammenfließen! Der Lenker eines Staates müßte der
mutigste Mann seines Volkes sein, seine Diplomaten Wahrheitssucher von der
Unerschütterlichkeit der Apostel. Was sie, die Politiker, von den wissenschaft¬
lichen Forschern allein unterscheiden sollte, ist der Gebrauch, den sie von den
erkannten Wahrheiten machen. Aber niemals dürfen sie die Unwahrheit
sagen, oder sie verdienten die Bezeichnung Staatsmann überhaupt
nicht. Meist werden sie über das Ergebnis ihrer Forschungen schweigen müssen,
wo der Wissenschaftler z. B. der Naturforscher im Gegenteil um der Menschheit
willen gezwungen ist. seine Wahrheiten laut und aller Welt zu verkünden. Eine
vermittelnde Stellung nimmt der verantwortungsfreudige Publizist ein. der. selbst
wissenschaftlicher Forscher auf historisch-politischem Gebiet sein muß und meist
gezwungen wird. Kritiker der leitenden Männer im Staate zu sein. Nicht alle
seine Forschungsergebnisse oder zufälligen Entdeckungen darf er der Öffentlichkeit


Grenzboten IV 191" 13


Das polnische Problem
von Georg Lleinow

er es zu unternehmen wagt, ein Problem lösen zu wollen, be¬
darf, möge er ein Mann der GeisteswissensckMen sein, oder ein
Staatsmann. Publizist oder Naturforscher, vor allen Dingen
des Mutes zur Wahrheit. Denn nicht nach den guten oder
bösen Absichten eines noch so starken Willens können Probleme
gelöst werden, sondern nach der Tendenz der ihnen innewohnenden treibenden
Kräfte. Daher ist Voraussetzung jeder Lösung die Auflösung, die Analyse.
Erst wenn alle in einem Problem wirkenden Kräfte erkannt, in ihrem
Werte zueinander richtig abgeschätzt und in ihren möglichen Wirkungen
voll eingesetzt sind, dann kann damit gerechnet werden, daß eine Lösung ge¬
funden wird, die den wirklichen Kräfteverhältnissen entspricht. Dazu gehört Mut,
leidenschaftsloser, kühler Mut! Mag es sich um wissenschaftliche, oder soziale
oder wirtschaftliche handeln! erst recht, wenn es um politische geht, in denen
reine Geisteswissenschaft. Wirtschaft. Psychologie. Statistik, mit einem Worte alles
Menschliche in eins zusammenfließen! Der Lenker eines Staates müßte der
mutigste Mann seines Volkes sein, seine Diplomaten Wahrheitssucher von der
Unerschütterlichkeit der Apostel. Was sie, die Politiker, von den wissenschaft¬
lichen Forschern allein unterscheiden sollte, ist der Gebrauch, den sie von den
erkannten Wahrheiten machen. Aber niemals dürfen sie die Unwahrheit
sagen, oder sie verdienten die Bezeichnung Staatsmann überhaupt
nicht. Meist werden sie über das Ergebnis ihrer Forschungen schweigen müssen,
wo der Wissenschaftler z. B. der Naturforscher im Gegenteil um der Menschheit
willen gezwungen ist. seine Wahrheiten laut und aller Welt zu verkünden. Eine
vermittelnde Stellung nimmt der verantwortungsfreudige Publizist ein. der. selbst
wissenschaftlicher Forscher auf historisch-politischem Gebiet sein muß und meist
gezwungen wird. Kritiker der leitenden Männer im Staate zu sein. Nicht alle
seine Forschungsergebnisse oder zufälligen Entdeckungen darf er der Öffentlichkeit


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[0205] [Abbildung] Das polnische Problem von Georg Lleinow er es zu unternehmen wagt, ein Problem lösen zu wollen, be¬ darf, möge er ein Mann der GeisteswissensckMen sein, oder ein Staatsmann. Publizist oder Naturforscher, vor allen Dingen des Mutes zur Wahrheit. Denn nicht nach den guten oder bösen Absichten eines noch so starken Willens können Probleme gelöst werden, sondern nach der Tendenz der ihnen innewohnenden treibenden Kräfte. Daher ist Voraussetzung jeder Lösung die Auflösung, die Analyse. Erst wenn alle in einem Problem wirkenden Kräfte erkannt, in ihrem Werte zueinander richtig abgeschätzt und in ihren möglichen Wirkungen voll eingesetzt sind, dann kann damit gerechnet werden, daß eine Lösung ge¬ funden wird, die den wirklichen Kräfteverhältnissen entspricht. Dazu gehört Mut, leidenschaftsloser, kühler Mut! Mag es sich um wissenschaftliche, oder soziale oder wirtschaftliche handeln! erst recht, wenn es um politische geht, in denen reine Geisteswissenschaft. Wirtschaft. Psychologie. Statistik, mit einem Worte alles Menschliche in eins zusammenfließen! Der Lenker eines Staates müßte der mutigste Mann seines Volkes sein, seine Diplomaten Wahrheitssucher von der Unerschütterlichkeit der Apostel. Was sie, die Politiker, von den wissenschaft¬ lichen Forschern allein unterscheiden sollte, ist der Gebrauch, den sie von den erkannten Wahrheiten machen. Aber niemals dürfen sie die Unwahrheit sagen, oder sie verdienten die Bezeichnung Staatsmann überhaupt nicht. Meist werden sie über das Ergebnis ihrer Forschungen schweigen müssen, wo der Wissenschaftler z. B. der Naturforscher im Gegenteil um der Menschheit willen gezwungen ist. seine Wahrheiten laut und aller Welt zu verkünden. Eine vermittelnde Stellung nimmt der verantwortungsfreudige Publizist ein. der. selbst wissenschaftlicher Forscher auf historisch-politischem Gebiet sein muß und meist gezwungen wird. Kritiker der leitenden Männer im Staate zu sein. Nicht alle seine Forschungsergebnisse oder zufälligen Entdeckungen darf er der Öffentlichkeit Grenzboten IV 191« 13

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/205>, abgerufen am 28.04.2024.