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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Vom französischen ^ozialismus
von Dr. Karl Friedrich Vogel

er Name Jaures hat dem französischen Sozialismus einen Ruf
verschafft, ^der seine realpolitische Bedeutung weit übertrifft. Es
war nicht nur die Einbildung der deutschen Sozialisten, die fran¬
zösische Internationale könne (besonders auch außerpolitisch) be¬
stimmend und ausschlaggebend wirken, werde bei der Frage, ob
Krieg oder Frieden, ein entscheidendes Wort mitreden; und selbst heute wird
jede Äußerung und jede Entwicklungsmöglichkeit jener Seite mit gespannter
Aufmerksamkeit belauscht und beobachtet. Insofern allerdings Kenntnis der
geistigen und sozialen Strömungen eines Landes, richtige Einschätzung ihrer
Bedeutung, Tragweite und materiellen Grundlage die Voraussetzung für
eine gesunde Außenpolitik bedeuten, sicher mit Recht. Mit Unrecht, sobald
man schon aus der Existenz der französischen Sozialistenpartei die erwartungs¬
vollsten Schlüsse zieht.

In Frankreich nennt sich alles mögliche Sozialist. Mindestens drei sozia¬
listische Parteien gibt es. International und wirklich sozialistisch nach unseren
Begriffen sind oder waren freilich nur die Socialisten unikiös, während die
raclieosocialistes kaum mehr als einen besonders schattierten Flügel der Radi¬
kalen, der stärksten Bourgeoispartei des Landes darstellen, und die socialstes
incZSpenäants zwar noch etwas weiter links stehen, aber mit dem Namen
Nationalsozialisten höchstens in ihrem Gegensatze zur Internationale, nicht aber
w ihrem wirklichen Charakter richtig bezeichnet würden.

Es ist keine Schande in Frankreich, Sozialist zu sein,- eher fast eine Ehre.
Sozialistische Ideen, Männer und Taten sind mit der großen Revolution und
den Staatsumwälzungen des neunzehnten Jahrhunderts viel zu innig verbunden,
um nicht eine gewisse historische Pietät zu genießen. Die Masse nennt sich gerne
sozialistisch. Das gehört mit zur französischen Geste. Frankreich hat das Wort


Grenzboten IV 1916 17


Vom französischen ^ozialismus
von Dr. Karl Friedrich Vogel

er Name Jaures hat dem französischen Sozialismus einen Ruf
verschafft, ^der seine realpolitische Bedeutung weit übertrifft. Es
war nicht nur die Einbildung der deutschen Sozialisten, die fran¬
zösische Internationale könne (besonders auch außerpolitisch) be¬
stimmend und ausschlaggebend wirken, werde bei der Frage, ob
Krieg oder Frieden, ein entscheidendes Wort mitreden; und selbst heute wird
jede Äußerung und jede Entwicklungsmöglichkeit jener Seite mit gespannter
Aufmerksamkeit belauscht und beobachtet. Insofern allerdings Kenntnis der
geistigen und sozialen Strömungen eines Landes, richtige Einschätzung ihrer
Bedeutung, Tragweite und materiellen Grundlage die Voraussetzung für
eine gesunde Außenpolitik bedeuten, sicher mit Recht. Mit Unrecht, sobald
man schon aus der Existenz der französischen Sozialistenpartei die erwartungs¬
vollsten Schlüsse zieht.

In Frankreich nennt sich alles mögliche Sozialist. Mindestens drei sozia¬
listische Parteien gibt es. International und wirklich sozialistisch nach unseren
Begriffen sind oder waren freilich nur die Socialisten unikiös, während die
raclieosocialistes kaum mehr als einen besonders schattierten Flügel der Radi¬
kalen, der stärksten Bourgeoispartei des Landes darstellen, und die socialstes
incZSpenäants zwar noch etwas weiter links stehen, aber mit dem Namen
Nationalsozialisten höchstens in ihrem Gegensatze zur Internationale, nicht aber
w ihrem wirklichen Charakter richtig bezeichnet würden.

Es ist keine Schande in Frankreich, Sozialist zu sein,- eher fast eine Ehre.
Sozialistische Ideen, Männer und Taten sind mit der großen Revolution und
den Staatsumwälzungen des neunzehnten Jahrhunderts viel zu innig verbunden,
um nicht eine gewisse historische Pietät zu genießen. Die Masse nennt sich gerne
sozialistisch. Das gehört mit zur französischen Geste. Frankreich hat das Wort


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[0269] [Abbildung] Vom französischen ^ozialismus von Dr. Karl Friedrich Vogel er Name Jaures hat dem französischen Sozialismus einen Ruf verschafft, ^der seine realpolitische Bedeutung weit übertrifft. Es war nicht nur die Einbildung der deutschen Sozialisten, die fran¬ zösische Internationale könne (besonders auch außerpolitisch) be¬ stimmend und ausschlaggebend wirken, werde bei der Frage, ob Krieg oder Frieden, ein entscheidendes Wort mitreden; und selbst heute wird jede Äußerung und jede Entwicklungsmöglichkeit jener Seite mit gespannter Aufmerksamkeit belauscht und beobachtet. Insofern allerdings Kenntnis der geistigen und sozialen Strömungen eines Landes, richtige Einschätzung ihrer Bedeutung, Tragweite und materiellen Grundlage die Voraussetzung für eine gesunde Außenpolitik bedeuten, sicher mit Recht. Mit Unrecht, sobald man schon aus der Existenz der französischen Sozialistenpartei die erwartungs¬ vollsten Schlüsse zieht. In Frankreich nennt sich alles mögliche Sozialist. Mindestens drei sozia¬ listische Parteien gibt es. International und wirklich sozialistisch nach unseren Begriffen sind oder waren freilich nur die Socialisten unikiös, während die raclieosocialistes kaum mehr als einen besonders schattierten Flügel der Radi¬ kalen, der stärksten Bourgeoispartei des Landes darstellen, und die socialstes incZSpenäants zwar noch etwas weiter links stehen, aber mit dem Namen Nationalsozialisten höchstens in ihrem Gegensatze zur Internationale, nicht aber w ihrem wirklichen Charakter richtig bezeichnet würden. Es ist keine Schande in Frankreich, Sozialist zu sein,- eher fast eine Ehre. Sozialistische Ideen, Männer und Taten sind mit der großen Revolution und den Staatsumwälzungen des neunzehnten Jahrhunderts viel zu innig verbunden, um nicht eine gewisse historische Pietät zu genießen. Die Masse nennt sich gerne sozialistisch. Das gehört mit zur französischen Geste. Frankreich hat das Wort Grenzboten IV 1916 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/269>, abgerufen am 27.04.2024.