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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Die deutschen Einwanderungen in Siebenbürgen
von Pfarrer R. k^onigberger

er ungarische Staatssekretär Szterenyi hat kürzlich bei einer Ge¬
legenheit öffentlich darauf hingewiesen, daß im gegenwärtigen
Weltkriege unter sämtlichen Völkerschaften Ungarns kein Volks-
stamm größere Opferwilligkeit bekundet habe, als die Sieben
bürger Sachsen. Sie stehen nicht nur hinsichtlich der sreiwillgen
Gaben, die für Kriegszwecke eingesammelt wurden an erster Stelle, sondern
haben auch den größten Prozentsatz Soldaten gestellt. Die zahlreichen Aus¬
zeichnungen, die sächsische Mannschaften und Offiziere vom einfachen Freiwilligen
bis hin zu Arz von Straußenburg, dem heldenmütigen Sieger von Limanova
und erfolgreichen Führer der siebenbürgischen Ostarmee, erhalten haben, be¬
weisen, daß es diesen Truppen in keiner Weise an soldatischer Tüchtigkeit
fehlt. Unverhältnismäßig groß sind denn auch die Verluste der siebenbürger
Sachsen. Mancher treue Volksfreund konnte nur mit ernster Sorge an die
Zukunft denken, wenn er all der blühenden Menschenleben gedachte, die in
diesem blutigen Ringen dahingerafft wurden. Und doch war der Kelch der
Leiden noch nicht gefüllt. Erst der verräterische Einbruch der Rumänen hat
das Maß des Unglücks voll gemacht.

Plötzlich und gänzlich unvorbereitet mußten weite, vorwiegend von Sachsen
bewohnte Gebiete vor dem herannahenden Feinde geräumt werden. Was nur
irgend konnte, suchte zu entkommen. Aus der Geschichte vergangener Jahr-'
Hunderte glaubte man zu wissen, was von den "Blonden" (-Walachen) zu er¬
warten sei. In alten Chroniken wird uns von dem walachischen Fürsten
Wlad dem Dritten (1457--1504), der den Beinamen Teych, d. i. "der Pfähler"
erhalten hat, berichtet, daß er bei einem Überfall auf Kronstäbe eine große An¬
zahl sächsischer Gefangener aufspießen ließ und mitten unter ihnen zu Tisch
gesessen sei "und sein fremd daselbst gehabt" habe. Und er war nicht
der einzige in seiner Art. Noch der letzte rumänische Bauernaufstand im
Jahre 1906 hatte gezeigt, daß bei aller sonst zu Tage tretenden Gutmütigkeit
des Rumänen doch auch furchtbar grausame Instinkte in diesem Volk leben.
Es ist nur natürlich, daß ein großer Teil der Bevölkerung Süd- und Ost¬
siebenbürgens beim Nahen der rumänischen Heere zu entfliehen suchte. Die
Bilder, die uns von dieser Flucht berichtet werden, sind teilweise geradezu er¬
schütternd. Und wie schwer wurden die besetzten Ortschaften durch die Willkür




Die deutschen Einwanderungen in Siebenbürgen
von Pfarrer R. k^onigberger

er ungarische Staatssekretär Szterenyi hat kürzlich bei einer Ge¬
legenheit öffentlich darauf hingewiesen, daß im gegenwärtigen
Weltkriege unter sämtlichen Völkerschaften Ungarns kein Volks-
stamm größere Opferwilligkeit bekundet habe, als die Sieben
bürger Sachsen. Sie stehen nicht nur hinsichtlich der sreiwillgen
Gaben, die für Kriegszwecke eingesammelt wurden an erster Stelle, sondern
haben auch den größten Prozentsatz Soldaten gestellt. Die zahlreichen Aus¬
zeichnungen, die sächsische Mannschaften und Offiziere vom einfachen Freiwilligen
bis hin zu Arz von Straußenburg, dem heldenmütigen Sieger von Limanova
und erfolgreichen Führer der siebenbürgischen Ostarmee, erhalten haben, be¬
weisen, daß es diesen Truppen in keiner Weise an soldatischer Tüchtigkeit
fehlt. Unverhältnismäßig groß sind denn auch die Verluste der siebenbürger
Sachsen. Mancher treue Volksfreund konnte nur mit ernster Sorge an die
Zukunft denken, wenn er all der blühenden Menschenleben gedachte, die in
diesem blutigen Ringen dahingerafft wurden. Und doch war der Kelch der
Leiden noch nicht gefüllt. Erst der verräterische Einbruch der Rumänen hat
das Maß des Unglücks voll gemacht.

Plötzlich und gänzlich unvorbereitet mußten weite, vorwiegend von Sachsen
bewohnte Gebiete vor dem herannahenden Feinde geräumt werden. Was nur
irgend konnte, suchte zu entkommen. Aus der Geschichte vergangener Jahr-'
Hunderte glaubte man zu wissen, was von den „Blonden" (-Walachen) zu er¬
warten sei. In alten Chroniken wird uns von dem walachischen Fürsten
Wlad dem Dritten (1457—1504), der den Beinamen Teych, d. i. „der Pfähler"
erhalten hat, berichtet, daß er bei einem Überfall auf Kronstäbe eine große An¬
zahl sächsischer Gefangener aufspießen ließ und mitten unter ihnen zu Tisch
gesessen sei „und sein fremd daselbst gehabt" habe. Und er war nicht
der einzige in seiner Art. Noch der letzte rumänische Bauernaufstand im
Jahre 1906 hatte gezeigt, daß bei aller sonst zu Tage tretenden Gutmütigkeit
des Rumänen doch auch furchtbar grausame Instinkte in diesem Volk leben.
Es ist nur natürlich, daß ein großer Teil der Bevölkerung Süd- und Ost¬
siebenbürgens beim Nahen der rumänischen Heere zu entfliehen suchte. Die
Bilder, die uns von dieser Flucht berichtet werden, sind teilweise geradezu er¬
schütternd. Und wie schwer wurden die besetzten Ortschaften durch die Willkür


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[0282] [Abbildung] Die deutschen Einwanderungen in Siebenbürgen von Pfarrer R. k^onigberger er ungarische Staatssekretär Szterenyi hat kürzlich bei einer Ge¬ legenheit öffentlich darauf hingewiesen, daß im gegenwärtigen Weltkriege unter sämtlichen Völkerschaften Ungarns kein Volks- stamm größere Opferwilligkeit bekundet habe, als die Sieben bürger Sachsen. Sie stehen nicht nur hinsichtlich der sreiwillgen Gaben, die für Kriegszwecke eingesammelt wurden an erster Stelle, sondern haben auch den größten Prozentsatz Soldaten gestellt. Die zahlreichen Aus¬ zeichnungen, die sächsische Mannschaften und Offiziere vom einfachen Freiwilligen bis hin zu Arz von Straußenburg, dem heldenmütigen Sieger von Limanova und erfolgreichen Führer der siebenbürgischen Ostarmee, erhalten haben, be¬ weisen, daß es diesen Truppen in keiner Weise an soldatischer Tüchtigkeit fehlt. Unverhältnismäßig groß sind denn auch die Verluste der siebenbürger Sachsen. Mancher treue Volksfreund konnte nur mit ernster Sorge an die Zukunft denken, wenn er all der blühenden Menschenleben gedachte, die in diesem blutigen Ringen dahingerafft wurden. Und doch war der Kelch der Leiden noch nicht gefüllt. Erst der verräterische Einbruch der Rumänen hat das Maß des Unglücks voll gemacht. Plötzlich und gänzlich unvorbereitet mußten weite, vorwiegend von Sachsen bewohnte Gebiete vor dem herannahenden Feinde geräumt werden. Was nur irgend konnte, suchte zu entkommen. Aus der Geschichte vergangener Jahr-' Hunderte glaubte man zu wissen, was von den „Blonden" (-Walachen) zu er¬ warten sei. In alten Chroniken wird uns von dem walachischen Fürsten Wlad dem Dritten (1457—1504), der den Beinamen Teych, d. i. „der Pfähler" erhalten hat, berichtet, daß er bei einem Überfall auf Kronstäbe eine große An¬ zahl sächsischer Gefangener aufspießen ließ und mitten unter ihnen zu Tisch gesessen sei „und sein fremd daselbst gehabt" habe. Und er war nicht der einzige in seiner Art. Noch der letzte rumänische Bauernaufstand im Jahre 1906 hatte gezeigt, daß bei aller sonst zu Tage tretenden Gutmütigkeit des Rumänen doch auch furchtbar grausame Instinkte in diesem Volk leben. Es ist nur natürlich, daß ein großer Teil der Bevölkerung Süd- und Ost¬ siebenbürgens beim Nahen der rumänischen Heere zu entfliehen suchte. Die Bilder, die uns von dieser Flucht berichtet werden, sind teilweise geradezu er¬ schütternd. Und wie schwer wurden die besetzten Ortschaften durch die Willkür

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/282>, abgerufen am 28.04.2024.