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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Der Name des gegenwärtigen Krieges

Maler der urwüchsigsten Bauernkirmeß, der ungezügeltsten Bacchanalien ist.
Man steht auf einen Untergrund von kraftstrotzender Roheit, von fast wider¬
wärtig anmutender fleischlicher Gesundheit, der überall, wo nicht ausschließlich
Wallonen sitzen, den Unterton des Lebens abgibt.

Das ist das Fundament, auf dem sich der schwer zu analysierende Brüsseler
Volksgeist aufbaut. Das Volk ist, wie man sich überall überzeugen kann, im
wesentlichen vlamisch, auch wenn es Französisch spricht, der turbulente wallonische
Typus ist in der Minderzahl, reißt aber den schwerfälligen Vlamen, wenn er
ihn erst in Bewegung gebracht hat, leicht mit weg, französisch sind die Leitenden
und das Ganze ein wunderliches Gemisch von dumpfer Kraft, Üppigkeit, Grazie,
Bosheit und Leichtsinn, der dieser zwischen London, Paris und Berlin gelegenen
Hauptstadt gerade jetzt, wo das internationale Fremdenpublikum sehlt und das
deutsche Element sich deutlich abhebt, ein so eigentümliches Gepräge gibt.




Der Name des gegenwärtigen Arieges
von Professor Dr. Alfred Götze

amenlos wie das Ungeheure, wie die Gottheit und das Schicksal, ist
der Krieg in unsere Friedenswelt gesprungen, und noch reicht der
Gattungsname vollkommen aus, ihn, der unser Gesichtsfeld ganz
erfüllt, eindeutig zu benennen: der Krieg, wie ihn die Franzosen
1a Zuerre, die Engländer tke war nennen. Aber die Zeit wird
kommen, wo man auch diesen ungebärdigen Ankömmling wird taufen müssen,
aus dem gleichen Grund, aus dem man Buben und Mädchen einen Namen
gibt: um ihn, der in seinen Dimensionen, an Fülle und Gewalt kriegerischen
Erlebens seinesgleichen nicht hat, von den Ereignissen zu unterscheiden, mit denen
er den Gattungsnamen Krieg teilen nutz, um so den Zweck der Sprache, die
Verständigung, auch an ihm zu erfüllen. Das wird erst nach seinem Ende
nötig sein, wie auch ältere Kriege der Deutschen ihren endgültigen Namen erst
nach ihrem Abschluß erhalten haben. Der dreißigjährige und der siebenjährige
Krieg zeigen das ja schon äußerlich an.

Dann aber wird die Verlegenheit nicht gering fein. Als sich der ungeheure
Krieg aus begrenzten Anzeichen entwickelte, da konnte man wohl vom serbisch--
österreichischen Konflikt hören und lesen, der bald zum serbisch-österreichischen
Kriege wurde. Rußland mischte sich ein, und man mußte die Vorstellung er-


Der Name des gegenwärtigen Krieges

Maler der urwüchsigsten Bauernkirmeß, der ungezügeltsten Bacchanalien ist.
Man steht auf einen Untergrund von kraftstrotzender Roheit, von fast wider¬
wärtig anmutender fleischlicher Gesundheit, der überall, wo nicht ausschließlich
Wallonen sitzen, den Unterton des Lebens abgibt.

Das ist das Fundament, auf dem sich der schwer zu analysierende Brüsseler
Volksgeist aufbaut. Das Volk ist, wie man sich überall überzeugen kann, im
wesentlichen vlamisch, auch wenn es Französisch spricht, der turbulente wallonische
Typus ist in der Minderzahl, reißt aber den schwerfälligen Vlamen, wenn er
ihn erst in Bewegung gebracht hat, leicht mit weg, französisch sind die Leitenden
und das Ganze ein wunderliches Gemisch von dumpfer Kraft, Üppigkeit, Grazie,
Bosheit und Leichtsinn, der dieser zwischen London, Paris und Berlin gelegenen
Hauptstadt gerade jetzt, wo das internationale Fremdenpublikum sehlt und das
deutsche Element sich deutlich abhebt, ein so eigentümliches Gepräge gibt.




Der Name des gegenwärtigen Arieges
von Professor Dr. Alfred Götze

amenlos wie das Ungeheure, wie die Gottheit und das Schicksal, ist
der Krieg in unsere Friedenswelt gesprungen, und noch reicht der
Gattungsname vollkommen aus, ihn, der unser Gesichtsfeld ganz
erfüllt, eindeutig zu benennen: der Krieg, wie ihn die Franzosen
1a Zuerre, die Engländer tke war nennen. Aber die Zeit wird
kommen, wo man auch diesen ungebärdigen Ankömmling wird taufen müssen,
aus dem gleichen Grund, aus dem man Buben und Mädchen einen Namen
gibt: um ihn, der in seinen Dimensionen, an Fülle und Gewalt kriegerischen
Erlebens seinesgleichen nicht hat, von den Ereignissen zu unterscheiden, mit denen
er den Gattungsnamen Krieg teilen nutz, um so den Zweck der Sprache, die
Verständigung, auch an ihm zu erfüllen. Das wird erst nach seinem Ende
nötig sein, wie auch ältere Kriege der Deutschen ihren endgültigen Namen erst
nach ihrem Abschluß erhalten haben. Der dreißigjährige und der siebenjährige
Krieg zeigen das ja schon äußerlich an.

Dann aber wird die Verlegenheit nicht gering fein. Als sich der ungeheure
Krieg aus begrenzten Anzeichen entwickelte, da konnte man wohl vom serbisch--
österreichischen Konflikt hören und lesen, der bald zum serbisch-österreichischen
Kriege wurde. Rußland mischte sich ein, und man mußte die Vorstellung er-


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[0030] Der Name des gegenwärtigen Krieges Maler der urwüchsigsten Bauernkirmeß, der ungezügeltsten Bacchanalien ist. Man steht auf einen Untergrund von kraftstrotzender Roheit, von fast wider¬ wärtig anmutender fleischlicher Gesundheit, der überall, wo nicht ausschließlich Wallonen sitzen, den Unterton des Lebens abgibt. Das ist das Fundament, auf dem sich der schwer zu analysierende Brüsseler Volksgeist aufbaut. Das Volk ist, wie man sich überall überzeugen kann, im wesentlichen vlamisch, auch wenn es Französisch spricht, der turbulente wallonische Typus ist in der Minderzahl, reißt aber den schwerfälligen Vlamen, wenn er ihn erst in Bewegung gebracht hat, leicht mit weg, französisch sind die Leitenden und das Ganze ein wunderliches Gemisch von dumpfer Kraft, Üppigkeit, Grazie, Bosheit und Leichtsinn, der dieser zwischen London, Paris und Berlin gelegenen Hauptstadt gerade jetzt, wo das internationale Fremdenpublikum sehlt und das deutsche Element sich deutlich abhebt, ein so eigentümliches Gepräge gibt. Der Name des gegenwärtigen Arieges von Professor Dr. Alfred Götze amenlos wie das Ungeheure, wie die Gottheit und das Schicksal, ist der Krieg in unsere Friedenswelt gesprungen, und noch reicht der Gattungsname vollkommen aus, ihn, der unser Gesichtsfeld ganz erfüllt, eindeutig zu benennen: der Krieg, wie ihn die Franzosen 1a Zuerre, die Engländer tke war nennen. Aber die Zeit wird kommen, wo man auch diesen ungebärdigen Ankömmling wird taufen müssen, aus dem gleichen Grund, aus dem man Buben und Mädchen einen Namen gibt: um ihn, der in seinen Dimensionen, an Fülle und Gewalt kriegerischen Erlebens seinesgleichen nicht hat, von den Ereignissen zu unterscheiden, mit denen er den Gattungsnamen Krieg teilen nutz, um so den Zweck der Sprache, die Verständigung, auch an ihm zu erfüllen. Das wird erst nach seinem Ende nötig sein, wie auch ältere Kriege der Deutschen ihren endgültigen Namen erst nach ihrem Abschluß erhalten haben. Der dreißigjährige und der siebenjährige Krieg zeigen das ja schon äußerlich an. Dann aber wird die Verlegenheit nicht gering fein. Als sich der ungeheure Krieg aus begrenzten Anzeichen entwickelte, da konnte man wohl vom serbisch-- österreichischen Konflikt hören und lesen, der bald zum serbisch-österreichischen Kriege wurde. Rußland mischte sich ein, und man mußte die Vorstellung er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/30>, abgerufen am 27.04.2024.