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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Belgiens Zukunft
von Professor Dr. Lonrad Bornhak

Der nachstehende Aufsatz erscheint als Fortsetzung einer Reihe von
Artikeln aus der Feder desselben Verfassers, die folgende Gegenstände
behandelten: "Die Stellung Belgiens zum alten Reich" (Heft 6, 1916),
"Die Begründung des Königreichs Belgien" (Heft 12, 191K), "Belgiens
.Verfassung und Staatsleben" (Heft 26, 1915).

ir verlieren uns nicht in weltvergessene Romantik zu den Zeiten
der Ottonen, Salier und Hohenstaufen, wenn wir Belgien als
unentbehrlich für das Deutsche Reich beanspruchen. Denn Belgien
gehörte dem alten Reiche bis zum Luneviller Frieden von 1801
an und wurde erst vor hundert Jahren durch den Wiener Kongreß
endgültig von Deutschland getrennt. Was das alte Reich in den Zeiten seines
tiefsten Verfalls, fast im Verenden noch festhalten konnte, das wird auch das
neue Reich in voller Kraft und Blüte ergreifen und behaupten können. Denn
der belgische Staat selbst ist für die Zukunft unmöglich. Wer sollte sein Erbe
sein? Eine künstliche Schöpfung Englands und Frankreichs war er trotz seiner
Neutralität vom Geschicke dazu verdammt, englischen und französischen Interessen
zu dienen. Über kurz oder lang wäre er in sozialer Revolution untergegangen
und im Zwiespalts der Nationalitäten auseinandergerissen, wenn ihm das deutsche
Schwert nicht ein Ende bereitet hätte. Von einer Wiederherstellung Belgiens
kann nicht die Rede sein. Es fragt sich nur: Was soll aus dem Lande werden?

Fanatiker des Nationalitätsprinzips könnten die Antwort geben: die
vlämischen Landesteile an die Niederlande, die wallonischen an Frankreich, das
kleine deutsche Sprachgebiet an Luxemburg. Bei ernsthafter Betrachtung kann
hier von Anwendung des Nationalitätsprinzips nicht die Rede sein. Die Ver¬
einigung der südlichen Niederlande mit den nördlichen, ist trotz der überwiegend
niederdeutschen Bevölkerung auch der südlichen in dem Halben Menschenalter
von 1815 bis 1830 so übel angeschlagen, daß er vor jedem Wiederholungs¬
versuche abschreckt. Die Lehre der Geschichte ist in dieser Hinsicht deutlich genug.
Die wallonischen Landesteile würden sich allerdings bei dem Stamm- und sprach¬
verwandten Frankreich sehr wohl fühlen. Aber es grenzte an Wahnwitz und
politischen Selbstmord, wollte Deutschland jemals die Maaslinie mit Lüttich und
Namur an Frankreich preisgeben. Und vollends das ungeheuerliche Zerrbild der
Nation luxernboul-ALdise durch Gebiet mit Bewohnern deutscher Sprache zu
erweitern, liegt erst recht kein Anlaß vor.




Belgiens Zukunft
von Professor Dr. Lonrad Bornhak

Der nachstehende Aufsatz erscheint als Fortsetzung einer Reihe von
Artikeln aus der Feder desselben Verfassers, die folgende Gegenstände
behandelten: „Die Stellung Belgiens zum alten Reich" (Heft 6, 1916),
„Die Begründung des Königreichs Belgien" (Heft 12, 191K), „Belgiens
.Verfassung und Staatsleben" (Heft 26, 1915).

ir verlieren uns nicht in weltvergessene Romantik zu den Zeiten
der Ottonen, Salier und Hohenstaufen, wenn wir Belgien als
unentbehrlich für das Deutsche Reich beanspruchen. Denn Belgien
gehörte dem alten Reiche bis zum Luneviller Frieden von 1801
an und wurde erst vor hundert Jahren durch den Wiener Kongreß
endgültig von Deutschland getrennt. Was das alte Reich in den Zeiten seines
tiefsten Verfalls, fast im Verenden noch festhalten konnte, das wird auch das
neue Reich in voller Kraft und Blüte ergreifen und behaupten können. Denn
der belgische Staat selbst ist für die Zukunft unmöglich. Wer sollte sein Erbe
sein? Eine künstliche Schöpfung Englands und Frankreichs war er trotz seiner
Neutralität vom Geschicke dazu verdammt, englischen und französischen Interessen
zu dienen. Über kurz oder lang wäre er in sozialer Revolution untergegangen
und im Zwiespalts der Nationalitäten auseinandergerissen, wenn ihm das deutsche
Schwert nicht ein Ende bereitet hätte. Von einer Wiederherstellung Belgiens
kann nicht die Rede sein. Es fragt sich nur: Was soll aus dem Lande werden?

Fanatiker des Nationalitätsprinzips könnten die Antwort geben: die
vlämischen Landesteile an die Niederlande, die wallonischen an Frankreich, das
kleine deutsche Sprachgebiet an Luxemburg. Bei ernsthafter Betrachtung kann
hier von Anwendung des Nationalitätsprinzips nicht die Rede sein. Die Ver¬
einigung der südlichen Niederlande mit den nördlichen, ist trotz der überwiegend
niederdeutschen Bevölkerung auch der südlichen in dem Halben Menschenalter
von 1815 bis 1830 so übel angeschlagen, daß er vor jedem Wiederholungs¬
versuche abschreckt. Die Lehre der Geschichte ist in dieser Hinsicht deutlich genug.
Die wallonischen Landesteile würden sich allerdings bei dem Stamm- und sprach¬
verwandten Frankreich sehr wohl fühlen. Aber es grenzte an Wahnwitz und
politischen Selbstmord, wollte Deutschland jemals die Maaslinie mit Lüttich und
Namur an Frankreich preisgeben. Und vollends das ungeheuerliche Zerrbild der
Nation luxernboul-ALdise durch Gebiet mit Bewohnern deutscher Sprache zu
erweitern, liegt erst recht kein Anlaß vor.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/306>, abgerufen am 28.04.2024.