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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Die deutschen Einwanderungen i" Siebenbürgen

vinz", so wußten die Sachsen es später doch durchzusetzen, daß das ganze Volk
die gleichen Rechte erhielt. Das ganze Volk ward eins, politisch wie rechtlich.

In wellig mehr als zwei Menschenaltern war die Besiedlung Sieben¬
bürgens einschließlich des Burzenlandes, über das im nächsten Kapitel berichtet
werden soll/erfolgt. Das sächsische Volk ward neben Magyaren und SMern
zur dritten ständischen Nation. Die Leistung, die in diesem kurzen Zeitraum
vollbracht wurde, ist in jeder Weise eine außerordentliche zu nennen. Sie bildet
den würdigen Anfang einer ruhmvollen Weiterentwicklung.


IV.

Es läßt sich heute noch verfolgen, in welch planmäßiger Weise die An-
siedlungen in Siebenbürgen erfolgten. Es handelte sich darum, das Land all¬
mählich gegen feindliche Überfälle zu sichern und seine Grenzen allmählich von
Norden nach Süden und von Westen nach Osten bis an den Gebirgsrand oder
gar darüber hinaus vorzuschieben. Demgemäß wurden auch die späteren
Niederlassungen, die durch die Übervölkerung einzelner Muttergemeinden her¬
vorgerufen wurden, in den angedeuteten Richtungen vorgetragen. So ent
standen jene vorgeschobenen Posten des Deutschtums in Siebenbürgen, wie z. B.
Freck und die Abtei Kerz im Alttale. So erwarb sich auch Graf Colardus
Besitzungen im Notenturmpaß und gründete etwas später Johannes Lakmus
an der Kosdbachquelle die "villa Latina" (Voldorf), und es erscheint nicht
ausgeschlossen, daß man allmählich den ganzen Notenturmpaß, dessen strategische
Wichtigkeit auch in den letzten Kämpfen gegen die Rumänen deutlich genug
zur Geltung kam, bis tief hinein ins heutige Rumänien in seinen Besitz zu
bringen suchte.

Unter dem gleichen Gesichtspunkte wurde schließlich das ganze Burzen-
land an die "Deutschen Ritter" vergabt; sie sollten dies Grenzgebiet im
äußersten Südosten des Reiches mit seinen wichtigen Pässen, dem Törzburger,
Temescher und dem Bozapaß, die auch in den gegenwärtigen Kämpfen so viel
genannt werden, verteidigen.

Wie aber kamen die Deutschen Ritter hierher? Aus der Weltgeschichte ist
bekannt, daß sie nach dem Falle von Akkon im Jahre 1191 im Morgenlande
mehr und mehr die Aussicht auf erfolgreiche Betätigung im Sinne ihres
Ordensgelübdes verloren hatten. Sie mußten sich nach einem neuen Wirkungs¬
kreise umsehen, und da ihnen nun Andreas der Zweite, König von Ungarn,
im Jahre 1211 das schöne Burzenland als Lehen anbot, so griffen sie freudig
zu, wohl jetzt schon erkennend, daß sich ihnen hier ein mächtiges Arbeitsgebiet
eröffnete. Wir werden bald sehen, daß es ihnen hier ebenso wenig wie später
in Ostpreußen und Kurland an Ideenreichtum und großen, weit ausschauenden
politischen Gedanken gefehlt hat, wenn ihnen hier auch der letzte, bleibende
Erfolg versagt geblieben ist und somit ihr Wirken in diesen Gebieten mehr nur
den Charakter eines Zwischenspieles an sich trägt.


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Die deutschen Einwanderungen i» Siebenbürgen

vinz", so wußten die Sachsen es später doch durchzusetzen, daß das ganze Volk
die gleichen Rechte erhielt. Das ganze Volk ward eins, politisch wie rechtlich.

In wellig mehr als zwei Menschenaltern war die Besiedlung Sieben¬
bürgens einschließlich des Burzenlandes, über das im nächsten Kapitel berichtet
werden soll/erfolgt. Das sächsische Volk ward neben Magyaren und SMern
zur dritten ständischen Nation. Die Leistung, die in diesem kurzen Zeitraum
vollbracht wurde, ist in jeder Weise eine außerordentliche zu nennen. Sie bildet
den würdigen Anfang einer ruhmvollen Weiterentwicklung.


IV.

Es läßt sich heute noch verfolgen, in welch planmäßiger Weise die An-
siedlungen in Siebenbürgen erfolgten. Es handelte sich darum, das Land all¬
mählich gegen feindliche Überfälle zu sichern und seine Grenzen allmählich von
Norden nach Süden und von Westen nach Osten bis an den Gebirgsrand oder
gar darüber hinaus vorzuschieben. Demgemäß wurden auch die späteren
Niederlassungen, die durch die Übervölkerung einzelner Muttergemeinden her¬
vorgerufen wurden, in den angedeuteten Richtungen vorgetragen. So ent
standen jene vorgeschobenen Posten des Deutschtums in Siebenbürgen, wie z. B.
Freck und die Abtei Kerz im Alttale. So erwarb sich auch Graf Colardus
Besitzungen im Notenturmpaß und gründete etwas später Johannes Lakmus
an der Kosdbachquelle die „villa Latina" (Voldorf), und es erscheint nicht
ausgeschlossen, daß man allmählich den ganzen Notenturmpaß, dessen strategische
Wichtigkeit auch in den letzten Kämpfen gegen die Rumänen deutlich genug
zur Geltung kam, bis tief hinein ins heutige Rumänien in seinen Besitz zu
bringen suchte.

Unter dem gleichen Gesichtspunkte wurde schließlich das ganze Burzen-
land an die „Deutschen Ritter" vergabt; sie sollten dies Grenzgebiet im
äußersten Südosten des Reiches mit seinen wichtigen Pässen, dem Törzburger,
Temescher und dem Bozapaß, die auch in den gegenwärtigen Kämpfen so viel
genannt werden, verteidigen.

Wie aber kamen die Deutschen Ritter hierher? Aus der Weltgeschichte ist
bekannt, daß sie nach dem Falle von Akkon im Jahre 1191 im Morgenlande
mehr und mehr die Aussicht auf erfolgreiche Betätigung im Sinne ihres
Ordensgelübdes verloren hatten. Sie mußten sich nach einem neuen Wirkungs¬
kreise umsehen, und da ihnen nun Andreas der Zweite, König von Ungarn,
im Jahre 1211 das schöne Burzenland als Lehen anbot, so griffen sie freudig
zu, wohl jetzt schon erkennend, daß sich ihnen hier ein mächtiges Arbeitsgebiet
eröffnete. Wir werden bald sehen, daß es ihnen hier ebenso wenig wie später
in Ostpreußen und Kurland an Ideenreichtum und großen, weit ausschauenden
politischen Gedanken gefehlt hat, wenn ihnen hier auch der letzte, bleibende
Erfolg versagt geblieben ist und somit ihr Wirken in diesen Gebieten mehr nur
den Charakter eines Zwischenspieles an sich trägt.


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[0319] Die deutschen Einwanderungen i» Siebenbürgen vinz", so wußten die Sachsen es später doch durchzusetzen, daß das ganze Volk die gleichen Rechte erhielt. Das ganze Volk ward eins, politisch wie rechtlich. In wellig mehr als zwei Menschenaltern war die Besiedlung Sieben¬ bürgens einschließlich des Burzenlandes, über das im nächsten Kapitel berichtet werden soll/erfolgt. Das sächsische Volk ward neben Magyaren und SMern zur dritten ständischen Nation. Die Leistung, die in diesem kurzen Zeitraum vollbracht wurde, ist in jeder Weise eine außerordentliche zu nennen. Sie bildet den würdigen Anfang einer ruhmvollen Weiterentwicklung. IV. Es läßt sich heute noch verfolgen, in welch planmäßiger Weise die An- siedlungen in Siebenbürgen erfolgten. Es handelte sich darum, das Land all¬ mählich gegen feindliche Überfälle zu sichern und seine Grenzen allmählich von Norden nach Süden und von Westen nach Osten bis an den Gebirgsrand oder gar darüber hinaus vorzuschieben. Demgemäß wurden auch die späteren Niederlassungen, die durch die Übervölkerung einzelner Muttergemeinden her¬ vorgerufen wurden, in den angedeuteten Richtungen vorgetragen. So ent standen jene vorgeschobenen Posten des Deutschtums in Siebenbürgen, wie z. B. Freck und die Abtei Kerz im Alttale. So erwarb sich auch Graf Colardus Besitzungen im Notenturmpaß und gründete etwas später Johannes Lakmus an der Kosdbachquelle die „villa Latina" (Voldorf), und es erscheint nicht ausgeschlossen, daß man allmählich den ganzen Notenturmpaß, dessen strategische Wichtigkeit auch in den letzten Kämpfen gegen die Rumänen deutlich genug zur Geltung kam, bis tief hinein ins heutige Rumänien in seinen Besitz zu bringen suchte. Unter dem gleichen Gesichtspunkte wurde schließlich das ganze Burzen- land an die „Deutschen Ritter" vergabt; sie sollten dies Grenzgebiet im äußersten Südosten des Reiches mit seinen wichtigen Pässen, dem Törzburger, Temescher und dem Bozapaß, die auch in den gegenwärtigen Kämpfen so viel genannt werden, verteidigen. Wie aber kamen die Deutschen Ritter hierher? Aus der Weltgeschichte ist bekannt, daß sie nach dem Falle von Akkon im Jahre 1191 im Morgenlande mehr und mehr die Aussicht auf erfolgreiche Betätigung im Sinne ihres Ordensgelübdes verloren hatten. Sie mußten sich nach einem neuen Wirkungs¬ kreise umsehen, und da ihnen nun Andreas der Zweite, König von Ungarn, im Jahre 1211 das schöne Burzenland als Lehen anbot, so griffen sie freudig zu, wohl jetzt schon erkennend, daß sich ihnen hier ein mächtiges Arbeitsgebiet eröffnete. Wir werden bald sehen, daß es ihnen hier ebenso wenig wie später in Ostpreußen und Kurland an Ideenreichtum und großen, weit ausschauenden politischen Gedanken gefehlt hat, wenn ihnen hier auch der letzte, bleibende Erfolg versagt geblieben ist und somit ihr Wirken in diesen Gebieten mehr nur den Charakter eines Zwischenspieles an sich trägt. 20*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/319>, abgerufen am 28.04.2024.