Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Die Selbständigkeit Galiziens und die Deutschen
von Professor R. F. Uaindl

le am 5. November in Aussicht gestellte Selbständigkeit Galiziens
hat eine lange Vorgeschichte. Es handelt sich um nichts Neues,
wie Fernerstehenden scheinen könnte, sondern um den weitere"
Ausbau der Sonderstellung, die Galizien schon längst erlangt
hat. Deutsche Interessen waren und sind damit eng verbunden,
so daß die Betrachtung dieser Verhältnisse für uns von hoher Bedeutung ist.

Wie der gegenwärtige deutsche Krieg, so hat auch schon unser Krieg von
1866 für die galizischen Polen einen Umschwung zu ihren Gunsten hervor¬
gerufen: hat ihre langgehegten Wünsche mehr gefördert, als all ihre Auf¬
stände und Verbindungen mit auswärtigen Mächten. Die Niederlage Öster¬
reichs kam ihnen sehr gelegen; mit der Ausscheidung Österreichs aus Deutschland
war die Vorherrschaft der Deutschen gebrochen und damit für die Slawen und
Magyaren die Möglichkeit geschaffen, ihre Forderungen durchzusetzen. Als
Österreich während der deutsch-französischen Verwicklung Wiedervergeltungs--
absichten hegte, trat der Pole Ziemialkowski dagegen auf: "Ich nehme -- so
führte er am 9. August 1869 in der Delegation aus -- keinen Anstand, die
Ursachen ganz offen hier zu sagen. Ich würde natürlich nicht wünschen, daß
Österreich dabei den Kürzeren ziehe, aber ich würde den Sieg über Preußen
vielleicht noch mehr fürchten, eben weil der Sieg über Preußen, Österreich zur
deutschen Politik nötigen würde, zu jener Politik, welche die Ursache zur Unter¬
drückung der nichtdeutschen Völker Österreichs war."

Nach 1866 war tatsächlich die Zeit gekommen, daß Osterreich seine
"deutsche" Politik aufgab, und davon haben die galizischen Polen reichlichen
Nutzen gezogen. Es gelang ihnen in kurzer Zeit eine Sonderstellung Galiziens
zu erlangen, die den deutschen Einfluß völlig ausschaltete.

Galizien war früher von der Wiener Zentralregierung im deutschen Sinne
verwaltet worden. Deutsche Sprache herrschte, soweit es die Bedürfnisse des


Grenzboten IV 191" 21


Die Selbständigkeit Galiziens und die Deutschen
von Professor R. F. Uaindl

le am 5. November in Aussicht gestellte Selbständigkeit Galiziens
hat eine lange Vorgeschichte. Es handelt sich um nichts Neues,
wie Fernerstehenden scheinen könnte, sondern um den weitere»
Ausbau der Sonderstellung, die Galizien schon längst erlangt
hat. Deutsche Interessen waren und sind damit eng verbunden,
so daß die Betrachtung dieser Verhältnisse für uns von hoher Bedeutung ist.

Wie der gegenwärtige deutsche Krieg, so hat auch schon unser Krieg von
1866 für die galizischen Polen einen Umschwung zu ihren Gunsten hervor¬
gerufen: hat ihre langgehegten Wünsche mehr gefördert, als all ihre Auf¬
stände und Verbindungen mit auswärtigen Mächten. Die Niederlage Öster¬
reichs kam ihnen sehr gelegen; mit der Ausscheidung Österreichs aus Deutschland
war die Vorherrschaft der Deutschen gebrochen und damit für die Slawen und
Magyaren die Möglichkeit geschaffen, ihre Forderungen durchzusetzen. Als
Österreich während der deutsch-französischen Verwicklung Wiedervergeltungs--
absichten hegte, trat der Pole Ziemialkowski dagegen auf: „Ich nehme — so
führte er am 9. August 1869 in der Delegation aus — keinen Anstand, die
Ursachen ganz offen hier zu sagen. Ich würde natürlich nicht wünschen, daß
Österreich dabei den Kürzeren ziehe, aber ich würde den Sieg über Preußen
vielleicht noch mehr fürchten, eben weil der Sieg über Preußen, Österreich zur
deutschen Politik nötigen würde, zu jener Politik, welche die Ursache zur Unter¬
drückung der nichtdeutschen Völker Österreichs war."

Nach 1866 war tatsächlich die Zeit gekommen, daß Osterreich seine
„deutsche" Politik aufgab, und davon haben die galizischen Polen reichlichen
Nutzen gezogen. Es gelang ihnen in kurzer Zeit eine Sonderstellung Galiziens
zu erlangen, die den deutschen Einfluß völlig ausschaltete.

Galizien war früher von der Wiener Zentralregierung im deutschen Sinne
verwaltet worden. Deutsche Sprache herrschte, soweit es die Bedürfnisse des


Grenzboten IV 191« 21
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div type="corrigenda" n="1">
          <pb facs="#f0333" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331305"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341903_330971/figures/grenzboten_341903_330971_331305_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Selbständigkeit Galiziens und die Deutschen<lb/><note type="byline"> von Professor R. F. Uaindl</note></head><lb/>
          <p xml:id="ID_1179"> le am 5. November in Aussicht gestellte Selbständigkeit Galiziens<lb/>
hat eine lange Vorgeschichte. Es handelt sich um nichts Neues,<lb/>
wie Fernerstehenden scheinen könnte, sondern um den weitere»<lb/>
Ausbau der Sonderstellung, die Galizien schon längst erlangt<lb/>
hat. Deutsche Interessen waren und sind damit eng verbunden,<lb/>
so daß die Betrachtung dieser Verhältnisse für uns von hoher Bedeutung ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1180"> Wie der gegenwärtige deutsche Krieg, so hat auch schon unser Krieg von<lb/>
1866 für die galizischen Polen einen Umschwung zu ihren Gunsten hervor¬<lb/>
gerufen: hat ihre langgehegten Wünsche mehr gefördert, als all ihre Auf¬<lb/>
stände und Verbindungen mit auswärtigen Mächten. Die Niederlage Öster¬<lb/>
reichs kam ihnen sehr gelegen; mit der Ausscheidung Österreichs aus Deutschland<lb/>
war die Vorherrschaft der Deutschen gebrochen und damit für die Slawen und<lb/>
Magyaren die Möglichkeit geschaffen, ihre Forderungen durchzusetzen. Als<lb/>
Österreich während der deutsch-französischen Verwicklung Wiedervergeltungs--<lb/>
absichten hegte, trat der Pole Ziemialkowski dagegen auf: &#x201E;Ich nehme &#x2014; so<lb/>
führte er am 9. August 1869 in der Delegation aus &#x2014; keinen Anstand, die<lb/>
Ursachen ganz offen hier zu sagen. Ich würde natürlich nicht wünschen, daß<lb/>
Österreich dabei den Kürzeren ziehe, aber ich würde den Sieg über Preußen<lb/>
vielleicht noch mehr fürchten, eben weil der Sieg über Preußen, Österreich zur<lb/>
deutschen Politik nötigen würde, zu jener Politik, welche die Ursache zur Unter¬<lb/>
drückung der nichtdeutschen Völker Österreichs war."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1181"> Nach 1866 war tatsächlich die Zeit gekommen, daß Osterreich seine<lb/>
&#x201E;deutsche" Politik aufgab, und davon haben die galizischen Polen reichlichen<lb/>
Nutzen gezogen. Es gelang ihnen in kurzer Zeit eine Sonderstellung Galiziens<lb/>
zu erlangen, die den deutschen Einfluß völlig ausschaltete.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1182" next="#ID_1183"> Galizien war früher von der Wiener Zentralregierung im deutschen Sinne<lb/>
verwaltet worden. Deutsche Sprache herrschte, soweit es die Bedürfnisse des</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 191« 21</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0333] [Abbildung] Die Selbständigkeit Galiziens und die Deutschen von Professor R. F. Uaindl le am 5. November in Aussicht gestellte Selbständigkeit Galiziens hat eine lange Vorgeschichte. Es handelt sich um nichts Neues, wie Fernerstehenden scheinen könnte, sondern um den weitere» Ausbau der Sonderstellung, die Galizien schon längst erlangt hat. Deutsche Interessen waren und sind damit eng verbunden, so daß die Betrachtung dieser Verhältnisse für uns von hoher Bedeutung ist. Wie der gegenwärtige deutsche Krieg, so hat auch schon unser Krieg von 1866 für die galizischen Polen einen Umschwung zu ihren Gunsten hervor¬ gerufen: hat ihre langgehegten Wünsche mehr gefördert, als all ihre Auf¬ stände und Verbindungen mit auswärtigen Mächten. Die Niederlage Öster¬ reichs kam ihnen sehr gelegen; mit der Ausscheidung Österreichs aus Deutschland war die Vorherrschaft der Deutschen gebrochen und damit für die Slawen und Magyaren die Möglichkeit geschaffen, ihre Forderungen durchzusetzen. Als Österreich während der deutsch-französischen Verwicklung Wiedervergeltungs-- absichten hegte, trat der Pole Ziemialkowski dagegen auf: „Ich nehme — so führte er am 9. August 1869 in der Delegation aus — keinen Anstand, die Ursachen ganz offen hier zu sagen. Ich würde natürlich nicht wünschen, daß Österreich dabei den Kürzeren ziehe, aber ich würde den Sieg über Preußen vielleicht noch mehr fürchten, eben weil der Sieg über Preußen, Österreich zur deutschen Politik nötigen würde, zu jener Politik, welche die Ursache zur Unter¬ drückung der nichtdeutschen Völker Österreichs war." Nach 1866 war tatsächlich die Zeit gekommen, daß Osterreich seine „deutsche" Politik aufgab, und davon haben die galizischen Polen reichlichen Nutzen gezogen. Es gelang ihnen in kurzer Zeit eine Sonderstellung Galiziens zu erlangen, die den deutschen Einfluß völlig ausschaltete. Galizien war früher von der Wiener Zentralregierung im deutschen Sinne verwaltet worden. Deutsche Sprache herrschte, soweit es die Bedürfnisse des Grenzboten IV 191« 21

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/333
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/333>, abgerufen am 27.04.2024.