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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Akademische. Ariegsliteratur

statt Semester wünschen, schlägt Hattler Quartale vor -- Zeiträume, die doch
wohl zur Erreichung der Hochschulziele zu kurz sein dürften.

Wirklich fruchtbare und wertvolle Zukunftsgedanken wirft auch Diplom¬
ingenieur Berger in die Diskussion, und seine Ausführungen verdienen es, selbst
von seinen grundsätzlichen Gegnern eingehend geprüft und beachtet zu werden.
Sein Büchlein ist durchglüht vom berechtigten Stolz auf die Leistungen der
heutigen Technik, aber dies macht ihn nicht blind den Mängeln gegenüber,
welche der von ihr erzeugten Kultur zu feinem Schmerze heute noch anhaften.
Mit Recht sagt er: "Über dem Bildungswesen unseres Vaterlandes waltet eine
gewisse Tragik, die zu einem versöhnenden Ausklang zu bringen, die vornehmste
Aufgabe der geistig führenden Kreise ist, wenn anders Deutschland stark und
fähig werden soll, seine innerpolitischen Kulturaufgaben zu lösen und weiter
eine Kulturmission an einer vielfach im Materialismus und Sinnenkult ver¬
sinkendem Welt zu vollbringen. Diese Tragik liegt in dem Ringen einer alten
stolzen, durch Tradition geheiligten idealistischen Kultur mit der kühn und kraft¬
voll ihr Haupt erhebenden jungen technischen Kultur. Diese beiden Haupt¬
strömungen lassen sich in unserem vielgestaltigen Kulturleben nach unten leicht
bis zu den beiden verschiedenen Bildungsquellen der geistigen Auswahl unseres
Volkes, den humanistischen und realistischen Lehranstalten, zurückverfolgen. Nach
oben setzen sie sich fort durch die Lern- und Lehrjahre an den verschiedenen
Hochschulen und werden auch bei den meisten reifen Akademikern unserer führen¬
den Kreise nicht überbrückt." Eine gewisse tragische Schuld mißt er den Universi¬
täten bei, mit denen er scharf ins Gericht geht und denen er vorwirft, daß sie
der technischen Kultur das "Brandmal des Barbarismus" aufgedrückt hätten.
Als Ideal schwebt ihm eine Vereinigung unserer Universitäten mit den Tech¬
nischen Hochschulen vor; solange sich diese aber nicht verwirklichen läßt, sollen
die ersteren wenigstens an einer harmonischen Verschmelzung alten deutschen
Geisteslebens mit der jungen technischen Intelligenz mitarbeiten und so den
tragischen Zwiespalt im deutschen Geistesleben beseitigen helfen.

Ähnliche Stille wie bezüglich der Hochschulreformen herrscht auch hinsichtlich
der Zukunftsgestaltung des studentischen Lebens, der "großen Saatzeit für das
eigene wie für des Vaterlandes Zukunft", wie es Professor Adickes in der
einen Tübinger Schrift bezeichnet. Diese Ruhe ist einesteils darauf zurückzu¬
führen, daß die Hauptträger des Stuoententums, die akademische Jugend, zum
größten Teil im Felde steht und für viele das sonst so vertraute oder hei߬
ersehnte Hochschulleben wie mit einem Vorhänge verdeckt ist, der vorläufig noch
lange niedergelassen bleibt. Andernteils mag auch der Wunsch lebendig sein,
die alten vorhandenen Gegensätze und Spannungen zwischen den studentischen
Parteien nicht hervortreten zu lassen und den bestehenden Burgfrieden nicht zu
brechen. In der Hauptsache finden in der akademischen Presse nur Gegenwarts¬
fragen von geringerer Bedeutung wie z. B. die des Farbentragens während
des Krieges eingehendere Besprechung; aber auch das Problem der Unterstützung


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Akademische. Ariegsliteratur

statt Semester wünschen, schlägt Hattler Quartale vor — Zeiträume, die doch
wohl zur Erreichung der Hochschulziele zu kurz sein dürften.

Wirklich fruchtbare und wertvolle Zukunftsgedanken wirft auch Diplom¬
ingenieur Berger in die Diskussion, und seine Ausführungen verdienen es, selbst
von seinen grundsätzlichen Gegnern eingehend geprüft und beachtet zu werden.
Sein Büchlein ist durchglüht vom berechtigten Stolz auf die Leistungen der
heutigen Technik, aber dies macht ihn nicht blind den Mängeln gegenüber,
welche der von ihr erzeugten Kultur zu feinem Schmerze heute noch anhaften.
Mit Recht sagt er: „Über dem Bildungswesen unseres Vaterlandes waltet eine
gewisse Tragik, die zu einem versöhnenden Ausklang zu bringen, die vornehmste
Aufgabe der geistig führenden Kreise ist, wenn anders Deutschland stark und
fähig werden soll, seine innerpolitischen Kulturaufgaben zu lösen und weiter
eine Kulturmission an einer vielfach im Materialismus und Sinnenkult ver¬
sinkendem Welt zu vollbringen. Diese Tragik liegt in dem Ringen einer alten
stolzen, durch Tradition geheiligten idealistischen Kultur mit der kühn und kraft¬
voll ihr Haupt erhebenden jungen technischen Kultur. Diese beiden Haupt¬
strömungen lassen sich in unserem vielgestaltigen Kulturleben nach unten leicht
bis zu den beiden verschiedenen Bildungsquellen der geistigen Auswahl unseres
Volkes, den humanistischen und realistischen Lehranstalten, zurückverfolgen. Nach
oben setzen sie sich fort durch die Lern- und Lehrjahre an den verschiedenen
Hochschulen und werden auch bei den meisten reifen Akademikern unserer führen¬
den Kreise nicht überbrückt." Eine gewisse tragische Schuld mißt er den Universi¬
täten bei, mit denen er scharf ins Gericht geht und denen er vorwirft, daß sie
der technischen Kultur das „Brandmal des Barbarismus" aufgedrückt hätten.
Als Ideal schwebt ihm eine Vereinigung unserer Universitäten mit den Tech¬
nischen Hochschulen vor; solange sich diese aber nicht verwirklichen läßt, sollen
die ersteren wenigstens an einer harmonischen Verschmelzung alten deutschen
Geisteslebens mit der jungen technischen Intelligenz mitarbeiten und so den
tragischen Zwiespalt im deutschen Geistesleben beseitigen helfen.

Ähnliche Stille wie bezüglich der Hochschulreformen herrscht auch hinsichtlich
der Zukunftsgestaltung des studentischen Lebens, der „großen Saatzeit für das
eigene wie für des Vaterlandes Zukunft", wie es Professor Adickes in der
einen Tübinger Schrift bezeichnet. Diese Ruhe ist einesteils darauf zurückzu¬
führen, daß die Hauptträger des Stuoententums, die akademische Jugend, zum
größten Teil im Felde steht und für viele das sonst so vertraute oder hei߬
ersehnte Hochschulleben wie mit einem Vorhänge verdeckt ist, der vorläufig noch
lange niedergelassen bleibt. Andernteils mag auch der Wunsch lebendig sein,
die alten vorhandenen Gegensätze und Spannungen zwischen den studentischen
Parteien nicht hervortreten zu lassen und den bestehenden Burgfrieden nicht zu
brechen. In der Hauptsache finden in der akademischen Presse nur Gegenwarts¬
fragen von geringerer Bedeutung wie z. B. die des Farbentragens während
des Krieges eingehendere Besprechung; aber auch das Problem der Unterstützung


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[0036] Akademische. Ariegsliteratur statt Semester wünschen, schlägt Hattler Quartale vor — Zeiträume, die doch wohl zur Erreichung der Hochschulziele zu kurz sein dürften. Wirklich fruchtbare und wertvolle Zukunftsgedanken wirft auch Diplom¬ ingenieur Berger in die Diskussion, und seine Ausführungen verdienen es, selbst von seinen grundsätzlichen Gegnern eingehend geprüft und beachtet zu werden. Sein Büchlein ist durchglüht vom berechtigten Stolz auf die Leistungen der heutigen Technik, aber dies macht ihn nicht blind den Mängeln gegenüber, welche der von ihr erzeugten Kultur zu feinem Schmerze heute noch anhaften. Mit Recht sagt er: „Über dem Bildungswesen unseres Vaterlandes waltet eine gewisse Tragik, die zu einem versöhnenden Ausklang zu bringen, die vornehmste Aufgabe der geistig führenden Kreise ist, wenn anders Deutschland stark und fähig werden soll, seine innerpolitischen Kulturaufgaben zu lösen und weiter eine Kulturmission an einer vielfach im Materialismus und Sinnenkult ver¬ sinkendem Welt zu vollbringen. Diese Tragik liegt in dem Ringen einer alten stolzen, durch Tradition geheiligten idealistischen Kultur mit der kühn und kraft¬ voll ihr Haupt erhebenden jungen technischen Kultur. Diese beiden Haupt¬ strömungen lassen sich in unserem vielgestaltigen Kulturleben nach unten leicht bis zu den beiden verschiedenen Bildungsquellen der geistigen Auswahl unseres Volkes, den humanistischen und realistischen Lehranstalten, zurückverfolgen. Nach oben setzen sie sich fort durch die Lern- und Lehrjahre an den verschiedenen Hochschulen und werden auch bei den meisten reifen Akademikern unserer führen¬ den Kreise nicht überbrückt." Eine gewisse tragische Schuld mißt er den Universi¬ täten bei, mit denen er scharf ins Gericht geht und denen er vorwirft, daß sie der technischen Kultur das „Brandmal des Barbarismus" aufgedrückt hätten. Als Ideal schwebt ihm eine Vereinigung unserer Universitäten mit den Tech¬ nischen Hochschulen vor; solange sich diese aber nicht verwirklichen läßt, sollen die ersteren wenigstens an einer harmonischen Verschmelzung alten deutschen Geisteslebens mit der jungen technischen Intelligenz mitarbeiten und so den tragischen Zwiespalt im deutschen Geistesleben beseitigen helfen. Ähnliche Stille wie bezüglich der Hochschulreformen herrscht auch hinsichtlich der Zukunftsgestaltung des studentischen Lebens, der „großen Saatzeit für das eigene wie für des Vaterlandes Zukunft", wie es Professor Adickes in der einen Tübinger Schrift bezeichnet. Diese Ruhe ist einesteils darauf zurückzu¬ führen, daß die Hauptträger des Stuoententums, die akademische Jugend, zum größten Teil im Felde steht und für viele das sonst so vertraute oder hei߬ ersehnte Hochschulleben wie mit einem Vorhänge verdeckt ist, der vorläufig noch lange niedergelassen bleibt. Andernteils mag auch der Wunsch lebendig sein, die alten vorhandenen Gegensätze und Spannungen zwischen den studentischen Parteien nicht hervortreten zu lassen und den bestehenden Burgfrieden nicht zu brechen. In der Hauptsache finden in der akademischen Presse nur Gegenwarts¬ fragen von geringerer Bedeutung wie z. B. die des Farbentragens während des Krieges eingehendere Besprechung; aber auch das Problem der Unterstützung M

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/36>, abgerufen am 27.04.2024.