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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Erdkunde in den höheren Schulen
von Oberlehrer Dr. Hans Dffe

er Weltkrieg hat so mancher Frage des öffentlichen Lebens wie
mit einem Zauberschlage ein neues Aussehen gegeben. Bei näherer
Prüfung ergibt sich allerdings sehr oft, daß die verschiedenen
Probleme an sich wenig verändert sind; richtiger wäre es deshalb,
von einer Belastungsprobe durch den Krieg zu reden, insofern
manche Angelegenheiten, die vorher zu Unrecht als Sache dieses oder jenes
kleineren Kreises betrachtet wurden, nunmehr die allgemeine Aufmerksamkeit
auf sich lenken.

In einer derartigen Lage befinden sich heute die großen Grundprobleme
der Schulerziehung und Schulbildung. Wenn irgendein Ideal, hoch über der
Mannigfaltigkeit aller anderen mehr oder minder berechtigten Sonderwünsche, grund¬
sätzliche Zustimmung in den verschiedensten Kreisen findet, so gewiß dasjenige einer
bewußten und entschiedenen "deutschen Bildung". Mag dabei betreffs der Be¬
wertung der bisherigen deutsch-nationalen Erziehung und Bildung wie über
deren künftige Formen eine gewisse Meinungsverschiedenheit bestehen: der Ge¬
danke selbst, der lebhafte Wunsch nach einer solchen ist allerorten rege.

Zu einem Schlagwort mit seinen unvermeidlichen üblen Nebenbedeutungen
hatte sich bereits einige Zeit vor Kriegsbeginn der Begriff der "staatsbürger¬
lichen Bildung" entwickelt. Nicht minder zahlreich wie die Formen, die man
ihr im Schulunterricht zu geben gedachte, waren die Ansprüche, die -- wenigstens
innerhalb der geschichtlich-sprachlichen Fächergruppe -- die einzelnen Unterrichts¬
gegenstände auf die Mitarbeit an der Verwirklichung dieses Ideals erhoben.

Zu wenig beachtet wird dagegen leider auch heute noch das Bestreben,
der stofflichen Zersplitterung, wie sie unserem vielgestaltigen höheren Schulwesen
je länger desto mehr anhaftet, nach Kräften entgegenzuwirken. Droste doch
schon den Hauptformen, der humanistischen, realgymnasialen und der realistischen,
infolge der ihnen im Jahre 1900 ausdrücklich zugebilligten Betonung ihrer
Eigenart, ein bedenklicher Mangel an geistigem Gemeinbesitz der Abiturienten
jener Anstalten.

Fast noch schlimmer aber sind die Folgen für den einzelnen: wohin man
auch blickt, namentlich aber auf der Oberstufe der höheren Schule, ein großen¬
teils unvermitteltes Nebeneinander überreichlich zugemessener Bildungsstoffe und
rein formalen Geistesübungen, die auf den jugendlichen Geist einstürmen. Eine
besonnene Schulreform der Zukunft wird es sich hoffentlich, entschiedener als




Erdkunde in den höheren Schulen
von Oberlehrer Dr. Hans Dffe

er Weltkrieg hat so mancher Frage des öffentlichen Lebens wie
mit einem Zauberschlage ein neues Aussehen gegeben. Bei näherer
Prüfung ergibt sich allerdings sehr oft, daß die verschiedenen
Probleme an sich wenig verändert sind; richtiger wäre es deshalb,
von einer Belastungsprobe durch den Krieg zu reden, insofern
manche Angelegenheiten, die vorher zu Unrecht als Sache dieses oder jenes
kleineren Kreises betrachtet wurden, nunmehr die allgemeine Aufmerksamkeit
auf sich lenken.

In einer derartigen Lage befinden sich heute die großen Grundprobleme
der Schulerziehung und Schulbildung. Wenn irgendein Ideal, hoch über der
Mannigfaltigkeit aller anderen mehr oder minder berechtigten Sonderwünsche, grund¬
sätzliche Zustimmung in den verschiedensten Kreisen findet, so gewiß dasjenige einer
bewußten und entschiedenen „deutschen Bildung". Mag dabei betreffs der Be¬
wertung der bisherigen deutsch-nationalen Erziehung und Bildung wie über
deren künftige Formen eine gewisse Meinungsverschiedenheit bestehen: der Ge¬
danke selbst, der lebhafte Wunsch nach einer solchen ist allerorten rege.

Zu einem Schlagwort mit seinen unvermeidlichen üblen Nebenbedeutungen
hatte sich bereits einige Zeit vor Kriegsbeginn der Begriff der „staatsbürger¬
lichen Bildung" entwickelt. Nicht minder zahlreich wie die Formen, die man
ihr im Schulunterricht zu geben gedachte, waren die Ansprüche, die — wenigstens
innerhalb der geschichtlich-sprachlichen Fächergruppe — die einzelnen Unterrichts¬
gegenstände auf die Mitarbeit an der Verwirklichung dieses Ideals erhoben.

Zu wenig beachtet wird dagegen leider auch heute noch das Bestreben,
der stofflichen Zersplitterung, wie sie unserem vielgestaltigen höheren Schulwesen
je länger desto mehr anhaftet, nach Kräften entgegenzuwirken. Droste doch
schon den Hauptformen, der humanistischen, realgymnasialen und der realistischen,
infolge der ihnen im Jahre 1900 ausdrücklich zugebilligten Betonung ihrer
Eigenart, ein bedenklicher Mangel an geistigem Gemeinbesitz der Abiturienten
jener Anstalten.

Fast noch schlimmer aber sind die Folgen für den einzelnen: wohin man
auch blickt, namentlich aber auf der Oberstufe der höheren Schule, ein großen¬
teils unvermitteltes Nebeneinander überreichlich zugemessener Bildungsstoffe und
rein formalen Geistesübungen, die auf den jugendlichen Geist einstürmen. Eine
besonnene Schulreform der Zukunft wird es sich hoffentlich, entschiedener als


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[0053] [Abbildung] Erdkunde in den höheren Schulen von Oberlehrer Dr. Hans Dffe er Weltkrieg hat so mancher Frage des öffentlichen Lebens wie mit einem Zauberschlage ein neues Aussehen gegeben. Bei näherer Prüfung ergibt sich allerdings sehr oft, daß die verschiedenen Probleme an sich wenig verändert sind; richtiger wäre es deshalb, von einer Belastungsprobe durch den Krieg zu reden, insofern manche Angelegenheiten, die vorher zu Unrecht als Sache dieses oder jenes kleineren Kreises betrachtet wurden, nunmehr die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich lenken. In einer derartigen Lage befinden sich heute die großen Grundprobleme der Schulerziehung und Schulbildung. Wenn irgendein Ideal, hoch über der Mannigfaltigkeit aller anderen mehr oder minder berechtigten Sonderwünsche, grund¬ sätzliche Zustimmung in den verschiedensten Kreisen findet, so gewiß dasjenige einer bewußten und entschiedenen „deutschen Bildung". Mag dabei betreffs der Be¬ wertung der bisherigen deutsch-nationalen Erziehung und Bildung wie über deren künftige Formen eine gewisse Meinungsverschiedenheit bestehen: der Ge¬ danke selbst, der lebhafte Wunsch nach einer solchen ist allerorten rege. Zu einem Schlagwort mit seinen unvermeidlichen üblen Nebenbedeutungen hatte sich bereits einige Zeit vor Kriegsbeginn der Begriff der „staatsbürger¬ lichen Bildung" entwickelt. Nicht minder zahlreich wie die Formen, die man ihr im Schulunterricht zu geben gedachte, waren die Ansprüche, die — wenigstens innerhalb der geschichtlich-sprachlichen Fächergruppe — die einzelnen Unterrichts¬ gegenstände auf die Mitarbeit an der Verwirklichung dieses Ideals erhoben. Zu wenig beachtet wird dagegen leider auch heute noch das Bestreben, der stofflichen Zersplitterung, wie sie unserem vielgestaltigen höheren Schulwesen je länger desto mehr anhaftet, nach Kräften entgegenzuwirken. Droste doch schon den Hauptformen, der humanistischen, realgymnasialen und der realistischen, infolge der ihnen im Jahre 1900 ausdrücklich zugebilligten Betonung ihrer Eigenart, ein bedenklicher Mangel an geistigem Gemeinbesitz der Abiturienten jener Anstalten. Fast noch schlimmer aber sind die Folgen für den einzelnen: wohin man auch blickt, namentlich aber auf der Oberstufe der höheren Schule, ein großen¬ teils unvermitteltes Nebeneinander überreichlich zugemessener Bildungsstoffe und rein formalen Geistesübungen, die auf den jugendlichen Geist einstürmen. Eine besonnene Schulreform der Zukunft wird es sich hoffentlich, entschiedener als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/53>, abgerufen am 27.04.2024.