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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Zum Aampfe um das Bildungsideal
Professor Dr. Robert petsch von

D^^M^Ä>is Rudolf Virchow im Jahre 1892 in der alten Aula der
Berliner Universität in seiner vielberufenen Rektoratsrede den
"Übergang aus dem philosophischen in das naturwissenschaftliche
^ Zeitalter" ankündigte, glaubte mancher, den "deutschen Idealis¬
mus" endgiltig zum alten Eisen werfen zu dürfen. Seit der
Blütezeit von 1770 bis 1830 etwa hatten seine großen Gedanken nur noch
unter der Oberfläche fortgelebt und waren von wenigen deutschen Denkern
und Dichtern, wie von Kuno Fischer und Lotze, von Friedrich Hebbel und
Richard Wagner offen vertreten und selbständig fortgebildet worden. In¬
zwischen hatte der Materialismus, der alle Welträtsel einheitlich zu lösen ver¬
sprach, das Übergewicht erhalten und nun schien gar seine Alleinherrschaft von
der ersten Bildungsstätte des Deutschen Reiches her verkündet zu werden. Aber
sonderbar -- in den Tiefen des Volkes sah es damals schon ganz anders
aus. Die Füße derer, die den alten Materialismus begraben wollten,
standen vor der Tür; und seiner künstlerischen Nachblüte, der naturalistischen
Dichtung begannen sich doch schon Werke zu entwinden, die auf ganz neue
und schließlich wieder auf alte Wege hinwiesen, wie sie seit den Tagen der
Romantik nicht mehr begangen worden waren. Gerhart Hauptmann schritt
von den "Einsamen Menschen" über "Hammelef Himmelfahrt" zur "Ver¬
sunkenen Glocke" vor und die naturwissenschaftlichen Arbeiten seines Bruders
Karl hielten sich nicht mehr starr und steif an das Jenaische Dogma. Von
ganz besonderer Bedeutung aber wurden die Kämpfe zwischen Natur und Geist,
zwischen Altem und Neuem, die damals ausgefochten wurden, für die eigent¬
lichen Lebensfragen der höheren Schulen, deren sich alle Parteien zu be¬
mächtigen suchten. Nicht bloß im Namen des naturwissenschaftlichen Zeitalters
wurde der Kampf gegen die "alte Schule", gegen das Gymnasium in seiner
herkömmlichen Form eröffnet, gegen das auch die Vertreter der alten ständischen
Ordnung und starrer Altgläubigkeit einst manches einzuwenden gehabt hatten;
gleichzeitig waren schärfere Angriffe von ganz anderer Seite erfolgt. Zu den
Vorwürfen weltfremder Geisteszucht und einseitiger Richtung auf die antike
Kultur kam die neue schwere Beschuldigung des mangelnden, völkischen Rück¬
grats, die von keinem Geringeren als dem deutschen Kaiser mit jugendlichem




Zum Aampfe um das Bildungsideal
Professor Dr. Robert petsch von

D^^M^Ä>is Rudolf Virchow im Jahre 1892 in der alten Aula der
Berliner Universität in seiner vielberufenen Rektoratsrede den
„Übergang aus dem philosophischen in das naturwissenschaftliche
^ Zeitalter" ankündigte, glaubte mancher, den „deutschen Idealis¬
mus" endgiltig zum alten Eisen werfen zu dürfen. Seit der
Blütezeit von 1770 bis 1830 etwa hatten seine großen Gedanken nur noch
unter der Oberfläche fortgelebt und waren von wenigen deutschen Denkern
und Dichtern, wie von Kuno Fischer und Lotze, von Friedrich Hebbel und
Richard Wagner offen vertreten und selbständig fortgebildet worden. In¬
zwischen hatte der Materialismus, der alle Welträtsel einheitlich zu lösen ver¬
sprach, das Übergewicht erhalten und nun schien gar seine Alleinherrschaft von
der ersten Bildungsstätte des Deutschen Reiches her verkündet zu werden. Aber
sonderbar — in den Tiefen des Volkes sah es damals schon ganz anders
aus. Die Füße derer, die den alten Materialismus begraben wollten,
standen vor der Tür; und seiner künstlerischen Nachblüte, der naturalistischen
Dichtung begannen sich doch schon Werke zu entwinden, die auf ganz neue
und schließlich wieder auf alte Wege hinwiesen, wie sie seit den Tagen der
Romantik nicht mehr begangen worden waren. Gerhart Hauptmann schritt
von den „Einsamen Menschen" über „Hammelef Himmelfahrt" zur „Ver¬
sunkenen Glocke" vor und die naturwissenschaftlichen Arbeiten seines Bruders
Karl hielten sich nicht mehr starr und steif an das Jenaische Dogma. Von
ganz besonderer Bedeutung aber wurden die Kämpfe zwischen Natur und Geist,
zwischen Altem und Neuem, die damals ausgefochten wurden, für die eigent¬
lichen Lebensfragen der höheren Schulen, deren sich alle Parteien zu be¬
mächtigen suchten. Nicht bloß im Namen des naturwissenschaftlichen Zeitalters
wurde der Kampf gegen die „alte Schule", gegen das Gymnasium in seiner
herkömmlichen Form eröffnet, gegen das auch die Vertreter der alten ständischen
Ordnung und starrer Altgläubigkeit einst manches einzuwenden gehabt hatten;
gleichzeitig waren schärfere Angriffe von ganz anderer Seite erfolgt. Zu den
Vorwürfen weltfremder Geisteszucht und einseitiger Richtung auf die antike
Kultur kam die neue schwere Beschuldigung des mangelnden, völkischen Rück¬
grats, die von keinem Geringeren als dem deutschen Kaiser mit jugendlichem


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[0021] [Abbildung] Zum Aampfe um das Bildungsideal Professor Dr. Robert petsch von D^^M^Ä>is Rudolf Virchow im Jahre 1892 in der alten Aula der Berliner Universität in seiner vielberufenen Rektoratsrede den „Übergang aus dem philosophischen in das naturwissenschaftliche ^ Zeitalter" ankündigte, glaubte mancher, den „deutschen Idealis¬ mus" endgiltig zum alten Eisen werfen zu dürfen. Seit der Blütezeit von 1770 bis 1830 etwa hatten seine großen Gedanken nur noch unter der Oberfläche fortgelebt und waren von wenigen deutschen Denkern und Dichtern, wie von Kuno Fischer und Lotze, von Friedrich Hebbel und Richard Wagner offen vertreten und selbständig fortgebildet worden. In¬ zwischen hatte der Materialismus, der alle Welträtsel einheitlich zu lösen ver¬ sprach, das Übergewicht erhalten und nun schien gar seine Alleinherrschaft von der ersten Bildungsstätte des Deutschen Reiches her verkündet zu werden. Aber sonderbar — in den Tiefen des Volkes sah es damals schon ganz anders aus. Die Füße derer, die den alten Materialismus begraben wollten, standen vor der Tür; und seiner künstlerischen Nachblüte, der naturalistischen Dichtung begannen sich doch schon Werke zu entwinden, die auf ganz neue und schließlich wieder auf alte Wege hinwiesen, wie sie seit den Tagen der Romantik nicht mehr begangen worden waren. Gerhart Hauptmann schritt von den „Einsamen Menschen" über „Hammelef Himmelfahrt" zur „Ver¬ sunkenen Glocke" vor und die naturwissenschaftlichen Arbeiten seines Bruders Karl hielten sich nicht mehr starr und steif an das Jenaische Dogma. Von ganz besonderer Bedeutung aber wurden die Kämpfe zwischen Natur und Geist, zwischen Altem und Neuem, die damals ausgefochten wurden, für die eigent¬ lichen Lebensfragen der höheren Schulen, deren sich alle Parteien zu be¬ mächtigen suchten. Nicht bloß im Namen des naturwissenschaftlichen Zeitalters wurde der Kampf gegen die „alte Schule", gegen das Gymnasium in seiner herkömmlichen Form eröffnet, gegen das auch die Vertreter der alten ständischen Ordnung und starrer Altgläubigkeit einst manches einzuwenden gehabt hatten; gleichzeitig waren schärfere Angriffe von ganz anderer Seite erfolgt. Zu den Vorwürfen weltfremder Geisteszucht und einseitiger Richtung auf die antike Kultur kam die neue schwere Beschuldigung des mangelnden, völkischen Rück¬ grats, die von keinem Geringeren als dem deutschen Kaiser mit jugendlichem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/21>, abgerufen am 02.05.2024.