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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Antiqua oder Fraktur?
Professor Dr. Herbertz von

terr Kommerzienrat Friedrich Soennecken in Bonn widmet eins
1 ganze Seite der Nummer 27 der "Frankfurter Zeitung" vom
28. Januar der Frage: In welcher Schriftart findet die hohe
Kultur Deutschlands in ihrer Klarheit und Wahrheit den würdigsten
Ausdruck? Gleichzeitig erschien in Beilage 4 der "Kölnischen
Zeitung" ein längerer Aufsatz desselben Verfassers: Ist Fraktur eine National¬
schrift? Beide Veröffentlichungen können nicht unwidersprochen bleiben und
zwar auch von denjenigen nicht -- ja gerade von denen nicht, welche aus
anderen Gründen Anhänger der allgemeinen und ausschließlichen Einführung
der Antiqua-Druckschrift in Deutschland sind. Denn der Verfasser geht in
seinen Ausführungen von falschen Voraussetzungen aus und zieht eine Reihe
von Fehlschlüssen. Auch scheint mir die Einstellung, die er der Frage gegen¬
über einnimmt und von der aus er sie zu beantworten sucht, grundsätzlich ver¬
fehlt. Hiervon zuerst. Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei zunächst die
allgemeine grundsätzliche Bemerkung vorausgeschickt, daß selbstverständlich die
.Frage nach der vom deutschen Volke zu wählenden Schriftart eine nicht zu
unterschätzende Kulturbedeutung hat. Auch der psychologische Laie weiß, daß
der Zusammenhang zwischen den Gedanken und den Laut- und Schristworten,
in denen die Gedanken sprachlich formuliert und zum Ausdruck gebracht werden,
ein nichr als äußerlicher und zufälliger ist und der Sprachpsycholoae vermag
durch Ausweis der psychologischen Beziehungen zwischen Sprechen (Schreiben)
und Denken den organischen Zusammenhang beider Betätigungen nachzuweisen.
Eben weil dieser Zusammenhang ein organischer ist. und weil alles Organische
wächst und sich entwickelt, kann meines Erachtens eine historische Untersuchung,
die sich selbst richtig versteht, nur darauf ausgehen, zu zeigen, welche Schriftart
heute zur "deutschen Schrift" geworden ist, und darf nicht dabei stehen bleiben,
die geschichtlichen Gründe nachzuweisen, die beweisen, daß eine bestimmte
Schriftart einst die "deutsche Schrift" gewesen ist. Soennecken aber klebt an
der Vergangenheit. Er hat durch seine gründlichen Quellenstudien nachgewiesen,
daß nicht die Fraktur, sondern die Antiqua die ursprüngliche "deutsche Druck¬
schrift" war. Aber er begeht selbst gerade den Fehler, den er bei seinen
Gegnern bekämpft, wenn er dieses Ergebnis der geschichtlichen Untersuchung
für die Entscheidung der Frage nach der heute vom deutschen Volk zu wählenden
Druckschriftart bestimmend sein läßt. Wir Deutsche wollen uns doch sonst




Antiqua oder Fraktur?
Professor Dr. Herbertz von

terr Kommerzienrat Friedrich Soennecken in Bonn widmet eins
1 ganze Seite der Nummer 27 der „Frankfurter Zeitung" vom
28. Januar der Frage: In welcher Schriftart findet die hohe
Kultur Deutschlands in ihrer Klarheit und Wahrheit den würdigsten
Ausdruck? Gleichzeitig erschien in Beilage 4 der „Kölnischen
Zeitung" ein längerer Aufsatz desselben Verfassers: Ist Fraktur eine National¬
schrift? Beide Veröffentlichungen können nicht unwidersprochen bleiben und
zwar auch von denjenigen nicht — ja gerade von denen nicht, welche aus
anderen Gründen Anhänger der allgemeinen und ausschließlichen Einführung
der Antiqua-Druckschrift in Deutschland sind. Denn der Verfasser geht in
seinen Ausführungen von falschen Voraussetzungen aus und zieht eine Reihe
von Fehlschlüssen. Auch scheint mir die Einstellung, die er der Frage gegen¬
über einnimmt und von der aus er sie zu beantworten sucht, grundsätzlich ver¬
fehlt. Hiervon zuerst. Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei zunächst die
allgemeine grundsätzliche Bemerkung vorausgeschickt, daß selbstverständlich die
.Frage nach der vom deutschen Volke zu wählenden Schriftart eine nicht zu
unterschätzende Kulturbedeutung hat. Auch der psychologische Laie weiß, daß
der Zusammenhang zwischen den Gedanken und den Laut- und Schristworten,
in denen die Gedanken sprachlich formuliert und zum Ausdruck gebracht werden,
ein nichr als äußerlicher und zufälliger ist und der Sprachpsycholoae vermag
durch Ausweis der psychologischen Beziehungen zwischen Sprechen (Schreiben)
und Denken den organischen Zusammenhang beider Betätigungen nachzuweisen.
Eben weil dieser Zusammenhang ein organischer ist. und weil alles Organische
wächst und sich entwickelt, kann meines Erachtens eine historische Untersuchung,
die sich selbst richtig versteht, nur darauf ausgehen, zu zeigen, welche Schriftart
heute zur „deutschen Schrift" geworden ist, und darf nicht dabei stehen bleiben,
die geschichtlichen Gründe nachzuweisen, die beweisen, daß eine bestimmte
Schriftart einst die „deutsche Schrift" gewesen ist. Soennecken aber klebt an
der Vergangenheit. Er hat durch seine gründlichen Quellenstudien nachgewiesen,
daß nicht die Fraktur, sondern die Antiqua die ursprüngliche „deutsche Druck¬
schrift" war. Aber er begeht selbst gerade den Fehler, den er bei seinen
Gegnern bekämpft, wenn er dieses Ergebnis der geschichtlichen Untersuchung
für die Entscheidung der Frage nach der heute vom deutschen Volk zu wählenden
Druckschriftart bestimmend sein läßt. Wir Deutsche wollen uns doch sonst


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[0419] [Abbildung] Antiqua oder Fraktur? Professor Dr. Herbertz von terr Kommerzienrat Friedrich Soennecken in Bonn widmet eins 1 ganze Seite der Nummer 27 der „Frankfurter Zeitung" vom 28. Januar der Frage: In welcher Schriftart findet die hohe Kultur Deutschlands in ihrer Klarheit und Wahrheit den würdigsten Ausdruck? Gleichzeitig erschien in Beilage 4 der „Kölnischen Zeitung" ein längerer Aufsatz desselben Verfassers: Ist Fraktur eine National¬ schrift? Beide Veröffentlichungen können nicht unwidersprochen bleiben und zwar auch von denjenigen nicht — ja gerade von denen nicht, welche aus anderen Gründen Anhänger der allgemeinen und ausschließlichen Einführung der Antiqua-Druckschrift in Deutschland sind. Denn der Verfasser geht in seinen Ausführungen von falschen Voraussetzungen aus und zieht eine Reihe von Fehlschlüssen. Auch scheint mir die Einstellung, die er der Frage gegen¬ über einnimmt und von der aus er sie zu beantworten sucht, grundsätzlich ver¬ fehlt. Hiervon zuerst. Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei zunächst die allgemeine grundsätzliche Bemerkung vorausgeschickt, daß selbstverständlich die .Frage nach der vom deutschen Volke zu wählenden Schriftart eine nicht zu unterschätzende Kulturbedeutung hat. Auch der psychologische Laie weiß, daß der Zusammenhang zwischen den Gedanken und den Laut- und Schristworten, in denen die Gedanken sprachlich formuliert und zum Ausdruck gebracht werden, ein nichr als äußerlicher und zufälliger ist und der Sprachpsycholoae vermag durch Ausweis der psychologischen Beziehungen zwischen Sprechen (Schreiben) und Denken den organischen Zusammenhang beider Betätigungen nachzuweisen. Eben weil dieser Zusammenhang ein organischer ist. und weil alles Organische wächst und sich entwickelt, kann meines Erachtens eine historische Untersuchung, die sich selbst richtig versteht, nur darauf ausgehen, zu zeigen, welche Schriftart heute zur „deutschen Schrift" geworden ist, und darf nicht dabei stehen bleiben, die geschichtlichen Gründe nachzuweisen, die beweisen, daß eine bestimmte Schriftart einst die „deutsche Schrift" gewesen ist. Soennecken aber klebt an der Vergangenheit. Er hat durch seine gründlichen Quellenstudien nachgewiesen, daß nicht die Fraktur, sondern die Antiqua die ursprüngliche „deutsche Druck¬ schrift" war. Aber er begeht selbst gerade den Fehler, den er bei seinen Gegnern bekämpft, wenn er dieses Ergebnis der geschichtlichen Untersuchung für die Entscheidung der Frage nach der heute vom deutschen Volk zu wählenden Druckschriftart bestimmend sein läßt. Wir Deutsche wollen uns doch sonst

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/419>, abgerufen am 15.05.2024.