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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr.

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Die Grundlagen der russischen Revolution

An ist sie das die große russische Revolution, von deren Ausbruch
man in Deutschland seit Beginn des Krieges gesprochen hat und
deren Anzeichen man bei uns sammelte, so lange sammelte, bis
man selbst nicht mehr daran glaubte. Man fühlte es, man sah's,
man konnte es greifen, daß dieses Land wie kein anderes von
inneren Kämpfen durchzuckt war, daß es von außen her einen gewaltigen Stoß
erhalten hatte, daß seine ökonomische Lage verzweifelt war. -- Wenn man alle
diese Zeichen sammelte, so kam man zum Schlüsse, der Zusammenbruch müsse
Kber kurz oder lang kommen. Sagte man's laut, so entgegnete einem jeder:
"der ist schon seit zwei Jahren da und kommt doch nimmer. Das Volk ist
müde in Rußland, bis zur Stumpfheit müde, die lassen alles mit sich geschehen,
lassen Protopopow walten und schalten, lassen die Reaktion teilnahmlos über
sich ergehen -- wenn sie ihnen nur ein Ende brächte." Der Krieg, der eine
Absperrung Rußlands mit sich gebracht hatte, wie sie wohl einzig dasteht in
der Geschichte, die Zensur der Zeitungen und der Briefe, die bis zum Aus¬
bruch der Revolution in rücksichtsloser Strenge gehyndhabt wurde, hatte zur
Folge, daß sich dieser Eindruck noch bis kurz vor dem Ausbruch der Revolution
erhalten konnte. Wir find also diesmal wirklich überrascht worden, vor allem
überrascht von der ungeheuren Intensität und Schnelligkeit der Ereignisse, die
wie ein Gewittersturm über das Land hinfegten und alles aufräumten.

In London war man über die kommenden Ereignisse unterrichtet. Lord
Milners Entsendung war ein Zeichen dafür, daß man den Gang der Zeit ver¬
standen habe. Es sollte noch einmal probiert werden, ob es mit dem Zaren
weiterging oder nicht. Im ersten Falle hatte Milner die Weisung, den Ver¬
such zu machen, den Zaren und die Oppositionsparteien zu versöhnen, im
anderen, die letzteren gegen den ersten auszuspielen. Der zweite Fall trat ein
"ut wie ein Motto zum Ausbruch der Unruhen mutet uns heute das Wort
aus Milners Rede in Moskau an: "Mit Gottes Hilfe werdet Ihr die Früchte


""enzSoten II 1917 I


Die Grundlagen der russischen Revolution

An ist sie das die große russische Revolution, von deren Ausbruch
man in Deutschland seit Beginn des Krieges gesprochen hat und
deren Anzeichen man bei uns sammelte, so lange sammelte, bis
man selbst nicht mehr daran glaubte. Man fühlte es, man sah's,
man konnte es greifen, daß dieses Land wie kein anderes von
inneren Kämpfen durchzuckt war, daß es von außen her einen gewaltigen Stoß
erhalten hatte, daß seine ökonomische Lage verzweifelt war. — Wenn man alle
diese Zeichen sammelte, so kam man zum Schlüsse, der Zusammenbruch müsse
Kber kurz oder lang kommen. Sagte man's laut, so entgegnete einem jeder:
„der ist schon seit zwei Jahren da und kommt doch nimmer. Das Volk ist
müde in Rußland, bis zur Stumpfheit müde, die lassen alles mit sich geschehen,
lassen Protopopow walten und schalten, lassen die Reaktion teilnahmlos über
sich ergehen — wenn sie ihnen nur ein Ende brächte." Der Krieg, der eine
Absperrung Rußlands mit sich gebracht hatte, wie sie wohl einzig dasteht in
der Geschichte, die Zensur der Zeitungen und der Briefe, die bis zum Aus¬
bruch der Revolution in rücksichtsloser Strenge gehyndhabt wurde, hatte zur
Folge, daß sich dieser Eindruck noch bis kurz vor dem Ausbruch der Revolution
erhalten konnte. Wir find also diesmal wirklich überrascht worden, vor allem
überrascht von der ungeheuren Intensität und Schnelligkeit der Ereignisse, die
wie ein Gewittersturm über das Land hinfegten und alles aufräumten.

In London war man über die kommenden Ereignisse unterrichtet. Lord
Milners Entsendung war ein Zeichen dafür, daß man den Gang der Zeit ver¬
standen habe. Es sollte noch einmal probiert werden, ob es mit dem Zaren
weiterging oder nicht. Im ersten Falle hatte Milner die Weisung, den Ver¬
such zu machen, den Zaren und die Oppositionsparteien zu versöhnen, im
anderen, die letzteren gegen den ersten auszuspielen. Der zweite Fall trat ein
«ut wie ein Motto zum Ausbruch der Unruhen mutet uns heute das Wort
aus Milners Rede in Moskau an: „Mit Gottes Hilfe werdet Ihr die Früchte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841/14>, abgerufen am 08.05.2024.