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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr.

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Europa
Universitätsprofessor Dr. Siegmund Hellmann von
I.

ur geographisch bildet Europa eine Einheit. Schon seine Be¬
wohner zerfallen in drei Völker- oder, vorsichtiger ausgedrückt,
Sprachenstämme. die wohl Zeichen gemeinsamen Ursprungs, aber
ebenso deutlich auch Verschiedenheiten an sich tragen. Ein noch
schärferer Riß geht durch den Erdteil, spaltet ihn deutlich
in Zwei sehr ungleiche Hälften, wenn wir nach der Bedeutung des Namens
Europa in geistiger Beziehung fragen. W!r finden dann, daß damit die Vor¬
stellung einer bestimmten Kultur von ganz bestimmtem Charakter sich verbindet,
dieor Gegensatz zu anderen steht und doch ihr Vorbild geworden ist, ohne
daß irgendwo die'Nachahmung das Vorbild erreicht hätte. Zuletz- also haben
wir es hier mit einem historischen Gebilde zu tun.

Nehmen wir Europa in dem eben auseinandergesetzten Sinne, so wuroe
es geboren, als sich das römische Reich, lange ehe es politisch in zwei Teile
Zerfiel, in eine griechische Ost- und eine lateinische Westhälfte spaltete. An
der Völkerwanderung beginnt sich um Gallien, das jetzt von der Peripherie des
Westens in sein Zentrum rückt, eine neue Völkerwelt zu legen. Germanen und
Ncnncmen. ungleich an Abstammung. Sprache und Sitte, aber zu einer Einheit
verbunden durch die Anknüpfung an die Reste antiken Lebens und durch die
Kirch... Frankreich wurde zwar nicht der politische Mittelpunkt, aber doÄ das
Zentrum und der Ausgangspunkt eines neu erstehenden Lebens. Alles, woran
wir denken, wenn wir das Wort Mittelalter aussprechen, Nu-ertum und
Hmdalität. die Gotik, die Scholastik, tausend kleine Züge des mittelalterlichen
Lebens sind hier entstanden; auch die Kirche hat, trotz des Papsttums, ihr eigen¬
tümliches Gepräge hier erhalten. In den nächsten Jahrhunderten treten auch
die großen anderen abendländischen Völker gebend neben die Franzosen. Aus
Italien kommt das römische Recht, das den Beamtenstaat aufbauen hilft, und
die Geldwirtschaft. die Vorläuferin des modernen Kapitalismus, die die Mittel
dazu liefert; Italien ist es auch, das die in den letzten Jahrhunderten des


Grenzboten II 1917


Europa
Universitätsprofessor Dr. Siegmund Hellmann von
I.

ur geographisch bildet Europa eine Einheit. Schon seine Be¬
wohner zerfallen in drei Völker- oder, vorsichtiger ausgedrückt,
Sprachenstämme. die wohl Zeichen gemeinsamen Ursprungs, aber
ebenso deutlich auch Verschiedenheiten an sich tragen. Ein noch
schärferer Riß geht durch den Erdteil, spaltet ihn deutlich
in Zwei sehr ungleiche Hälften, wenn wir nach der Bedeutung des Namens
Europa in geistiger Beziehung fragen. W!r finden dann, daß damit die Vor¬
stellung einer bestimmten Kultur von ganz bestimmtem Charakter sich verbindet,
dieor Gegensatz zu anderen steht und doch ihr Vorbild geworden ist, ohne
daß irgendwo die'Nachahmung das Vorbild erreicht hätte. Zuletz- also haben
wir es hier mit einem historischen Gebilde zu tun.

Nehmen wir Europa in dem eben auseinandergesetzten Sinne, so wuroe
es geboren, als sich das römische Reich, lange ehe es politisch in zwei Teile
Zerfiel, in eine griechische Ost- und eine lateinische Westhälfte spaltete. An
der Völkerwanderung beginnt sich um Gallien, das jetzt von der Peripherie des
Westens in sein Zentrum rückt, eine neue Völkerwelt zu legen. Germanen und
Ncnncmen. ungleich an Abstammung. Sprache und Sitte, aber zu einer Einheit
verbunden durch die Anknüpfung an die Reste antiken Lebens und durch die
Kirch... Frankreich wurde zwar nicht der politische Mittelpunkt, aber doÄ das
Zentrum und der Ausgangspunkt eines neu erstehenden Lebens. Alles, woran
wir denken, wenn wir das Wort Mittelalter aussprechen, Nu-ertum und
Hmdalität. die Gotik, die Scholastik, tausend kleine Züge des mittelalterlichen
Lebens sind hier entstanden; auch die Kirche hat, trotz des Papsttums, ihr eigen¬
tümliches Gepräge hier erhalten. In den nächsten Jahrhunderten treten auch
die großen anderen abendländischen Völker gebend neben die Franzosen. Aus
Italien kommt das römische Recht, das den Beamtenstaat aufbauen hilft, und
die Geldwirtschaft. die Vorläuferin des modernen Kapitalismus, die die Mittel
dazu liefert; Italien ist es auch, das die in den letzten Jahrhunderten des


Grenzboten II 1917
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[0174] [Abbildung] Europa Universitätsprofessor Dr. Siegmund Hellmann von I. ur geographisch bildet Europa eine Einheit. Schon seine Be¬ wohner zerfallen in drei Völker- oder, vorsichtiger ausgedrückt, Sprachenstämme. die wohl Zeichen gemeinsamen Ursprungs, aber ebenso deutlich auch Verschiedenheiten an sich tragen. Ein noch schärferer Riß geht durch den Erdteil, spaltet ihn deutlich in Zwei sehr ungleiche Hälften, wenn wir nach der Bedeutung des Namens Europa in geistiger Beziehung fragen. W!r finden dann, daß damit die Vor¬ stellung einer bestimmten Kultur von ganz bestimmtem Charakter sich verbindet, dieor Gegensatz zu anderen steht und doch ihr Vorbild geworden ist, ohne daß irgendwo die'Nachahmung das Vorbild erreicht hätte. Zuletz- also haben wir es hier mit einem historischen Gebilde zu tun. Nehmen wir Europa in dem eben auseinandergesetzten Sinne, so wuroe es geboren, als sich das römische Reich, lange ehe es politisch in zwei Teile Zerfiel, in eine griechische Ost- und eine lateinische Westhälfte spaltete. An der Völkerwanderung beginnt sich um Gallien, das jetzt von der Peripherie des Westens in sein Zentrum rückt, eine neue Völkerwelt zu legen. Germanen und Ncnncmen. ungleich an Abstammung. Sprache und Sitte, aber zu einer Einheit verbunden durch die Anknüpfung an die Reste antiken Lebens und durch die Kirch... Frankreich wurde zwar nicht der politische Mittelpunkt, aber doÄ das Zentrum und der Ausgangspunkt eines neu erstehenden Lebens. Alles, woran wir denken, wenn wir das Wort Mittelalter aussprechen, Nu-ertum und Hmdalität. die Gotik, die Scholastik, tausend kleine Züge des mittelalterlichen Lebens sind hier entstanden; auch die Kirche hat, trotz des Papsttums, ihr eigen¬ tümliches Gepräge hier erhalten. In den nächsten Jahrhunderten treten auch die großen anderen abendländischen Völker gebend neben die Franzosen. Aus Italien kommt das römische Recht, das den Beamtenstaat aufbauen hilft, und die Geldwirtschaft. die Vorläuferin des modernen Kapitalismus, die die Mittel dazu liefert; Italien ist es auch, das die in den letzten Jahrhunderten des Grenzboten II 1917

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841/174>, abgerufen am 08.05.2024.