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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr.

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Italienische Rolonialbestrebungen einst und jetzt

Balkanvölker steigen damit wirtschaftlich und sozial zu einer höheren Kultur¬
stufe empor, ohne ihr Volkstum zu verlieren, als in einem eigenen Staats¬
wesen, das doch immer nur der Spielball fremder Mächte bleibt.

Jedenfalls haben wir keine Veranlassung, der österreichischen Uneigen-
nützigkeit gegenüber Rußland eine allgemeinere Bedeutung beizumessen oder sie
gar als für die deutsche Politik vorbildlich zu betrachten. Österreich sucht eben
nur seine Schadloshaltung nach der anderen Seite.




Italienische Aolonialbestrebungen einst und jetzt
Vberregierungsrat Dr. E. Zcicobi von

u Anfang des Jahres 1913, also zur Zeit, als noch niemand an
den Weltkrieg dachte und Italien noch seine gesicherte Stellung
im Dreibund einnahm, schrieb die erste italienische Kolonialzeitung
die "Rivista coloniale" das Folgende: "Wir müssen von den
drei auseinanderliegenden Punkten des italienischen Afrika (Libia,
Erythräa und Somaliland) einen organischen Kolonisationsplan gleichzeitig von
allen Seiten ins Werk setzen und daran denken, daß es dabei noch ein größeres
und würdigeres Unternehmen gilt." Und welches sollte dies Unternehmen sein?
"Man vergesse nicht", hieß es weiter, "daß Libia nur dann eine große Kolonie
werden kann, wenn ihre wirtschaftlichen Schlüssel in unsere Macht gelangen
durch geeignete Grenzberichtigungen und ein Vorgehen bis zum Tschadsee.
Man vergesse nicht, daß Erythräa und Somaliland nur zerstreute Fragmente
einer geographischen und politischen Einheit sind, die in Zukunft in unsere
Hände fallen kann, wenn wir uns dieser beiden wichtigen Ausgangspunkte zur
rechten Zeit zu bedienen wissen. Man vergesse nicht, daß wir in Libia, wie
w Erythräa und Somaliland zu Nachbaren eine süße lateinische Schwester*) und
eine traditionelle Freundin**) haben, die aber unangenehm werden könnten, mit
denen wir daher in einer näheren oder ferneren Zukunft uns auseinander¬
zusetzen haben werden. Man vergesse nicht, daß wir sehr starke und mächtige
Verbündete haben, die uns um so wirksamer werden ihre Unterstützung leihen
können, je stärker und mächtiger wir unserseits sind."




*) Frankreich.
*") England.
Italienische Rolonialbestrebungen einst und jetzt

Balkanvölker steigen damit wirtschaftlich und sozial zu einer höheren Kultur¬
stufe empor, ohne ihr Volkstum zu verlieren, als in einem eigenen Staats¬
wesen, das doch immer nur der Spielball fremder Mächte bleibt.

Jedenfalls haben wir keine Veranlassung, der österreichischen Uneigen-
nützigkeit gegenüber Rußland eine allgemeinere Bedeutung beizumessen oder sie
gar als für die deutsche Politik vorbildlich zu betrachten. Österreich sucht eben
nur seine Schadloshaltung nach der anderen Seite.




Italienische Aolonialbestrebungen einst und jetzt
Vberregierungsrat Dr. E. Zcicobi von

u Anfang des Jahres 1913, also zur Zeit, als noch niemand an
den Weltkrieg dachte und Italien noch seine gesicherte Stellung
im Dreibund einnahm, schrieb die erste italienische Kolonialzeitung
die „Rivista coloniale" das Folgende: „Wir müssen von den
drei auseinanderliegenden Punkten des italienischen Afrika (Libia,
Erythräa und Somaliland) einen organischen Kolonisationsplan gleichzeitig von
allen Seiten ins Werk setzen und daran denken, daß es dabei noch ein größeres
und würdigeres Unternehmen gilt." Und welches sollte dies Unternehmen sein?
„Man vergesse nicht", hieß es weiter, „daß Libia nur dann eine große Kolonie
werden kann, wenn ihre wirtschaftlichen Schlüssel in unsere Macht gelangen
durch geeignete Grenzberichtigungen und ein Vorgehen bis zum Tschadsee.
Man vergesse nicht, daß Erythräa und Somaliland nur zerstreute Fragmente
einer geographischen und politischen Einheit sind, die in Zukunft in unsere
Hände fallen kann, wenn wir uns dieser beiden wichtigen Ausgangspunkte zur
rechten Zeit zu bedienen wissen. Man vergesse nicht, daß wir in Libia, wie
w Erythräa und Somaliland zu Nachbaren eine süße lateinische Schwester*) und
eine traditionelle Freundin**) haben, die aber unangenehm werden könnten, mit
denen wir daher in einer näheren oder ferneren Zukunft uns auseinander¬
zusetzen haben werden. Man vergesse nicht, daß wir sehr starke und mächtige
Verbündete haben, die uns um so wirksamer werden ihre Unterstützung leihen
können, je stärker und mächtiger wir unserseits sind."




*) Frankreich.
*«) England.
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[0274] Italienische Rolonialbestrebungen einst und jetzt Balkanvölker steigen damit wirtschaftlich und sozial zu einer höheren Kultur¬ stufe empor, ohne ihr Volkstum zu verlieren, als in einem eigenen Staats¬ wesen, das doch immer nur der Spielball fremder Mächte bleibt. Jedenfalls haben wir keine Veranlassung, der österreichischen Uneigen- nützigkeit gegenüber Rußland eine allgemeinere Bedeutung beizumessen oder sie gar als für die deutsche Politik vorbildlich zu betrachten. Österreich sucht eben nur seine Schadloshaltung nach der anderen Seite. Italienische Aolonialbestrebungen einst und jetzt Vberregierungsrat Dr. E. Zcicobi von u Anfang des Jahres 1913, also zur Zeit, als noch niemand an den Weltkrieg dachte und Italien noch seine gesicherte Stellung im Dreibund einnahm, schrieb die erste italienische Kolonialzeitung die „Rivista coloniale" das Folgende: „Wir müssen von den drei auseinanderliegenden Punkten des italienischen Afrika (Libia, Erythräa und Somaliland) einen organischen Kolonisationsplan gleichzeitig von allen Seiten ins Werk setzen und daran denken, daß es dabei noch ein größeres und würdigeres Unternehmen gilt." Und welches sollte dies Unternehmen sein? „Man vergesse nicht", hieß es weiter, „daß Libia nur dann eine große Kolonie werden kann, wenn ihre wirtschaftlichen Schlüssel in unsere Macht gelangen durch geeignete Grenzberichtigungen und ein Vorgehen bis zum Tschadsee. Man vergesse nicht, daß Erythräa und Somaliland nur zerstreute Fragmente einer geographischen und politischen Einheit sind, die in Zukunft in unsere Hände fallen kann, wenn wir uns dieser beiden wichtigen Ausgangspunkte zur rechten Zeit zu bedienen wissen. Man vergesse nicht, daß wir in Libia, wie w Erythräa und Somaliland zu Nachbaren eine süße lateinische Schwester*) und eine traditionelle Freundin**) haben, die aber unangenehm werden könnten, mit denen wir daher in einer näheren oder ferneren Zukunft uns auseinander¬ zusetzen haben werden. Man vergesse nicht, daß wir sehr starke und mächtige Verbündete haben, die uns um so wirksamer werden ihre Unterstützung leihen können, je stärker und mächtiger wir unserseits sind." *) Frankreich. *«) England.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841/274>, abgerufen am 08.05.2024.