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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr.

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Ansiedlung Ariegsverletzter
Dr. Curt Thomalla von

in Märzheft der "Deutschen Rundschau" stellt Fr. Fromme als
eine "deutsche Lebensnotwendigkeit" die Forderung auf, daß unsere
Bevölkerung sich der Landwirtschaft wieder erneut zuwenden muß.
Drei Gründe hierfür gibt er als zwingend an: unsere Produktion
an landwirtschaftlichen Erzeugnissen muß gesteigert werden; unsere
Kriegsverletzten, die in der Industrie nicht mehr arbeitsfähig sind, müssen unter¬
gebracht werden; die gesunde Volksvermehrung muß gesteigert werden.

Diese Forderungen werden allgemein aufgestellt, ohne praktische Vorschläge
für ihre Durchführung anzuschließen. Daß ähnliche Gedanken bereits weite
Kreise beschäftigen, beweist eine Aufstellung von "Leitsätzen", die eine Kom¬
mission des Münchener ärztlichen Vereins (in der "Münchener medizinischen
Wochenschrift" Ur. 13) bekanntgibt. Von den gleichen Gesichtspunkten aus¬
gehend, werden hier ziemlich genau umschriebene Vorschläge gemacht: "Heim¬
stätten" sollen gegründet und als Eigentum oder in Erbpacht vergeben werden.
Um Spekulation, Ankauf usw. auszuschließen, soll ein eigenes "Heimstättenrecht"
als Gesetz, ein neues "Heimstättenbuch" bei den Gerichten eingeführt werden.
Die Kosten sollen vom Bewerber mit 10 Prozent getragen werden, der Rest
durch Hypotheken gedeckt sein. Die Bewerber sollen nach der Zahl ihrer Kinder
berücksichtigt werden, wobei noch landwirtschaftliche Befähigung, Vertrauens¬
würdigkeit, womöglich bewiesene Tapferkeit gefordert werden. Schließlich sollen
"ur kerngesunde, im zeugungsfähigen Alter stehende Männer zugelassen werden.
Die Erhaltung des Besitzes bei den Beliehenen wird von der Zahl der weiter
hinzukommenden Nachkommenschaft abhängig gemacht. Selbst für die Weiter¬
vererbung des Gutes in der eigenen Familie werden Vorschriften gemacht
und Beschränkungen auferlegt.

Derartige Vorschläge schaden dem Gedanken einer gesunden Ansiedlungs"
Politik mehr, als sie Nutzen bringen. Zweifellos ist bei dem bedeutenden
Steigen des Wertes und Ansehens ländlicher Erzeugnisse eine gewisse Neigung
industrieller und großstädtischer Kreise zur "Stadtflucht" vorhanden, die beim
unvermeidlichen Sinken der jetzt übertrieben hohen Löhne sich noch deutlicher
äußern wird. Durch solche Vorschläge aber, die an Zwangsmaßregeln erinnern,
Muß die Lust zur Ansiedlung auf dem Lande im Keime erstickt werden.
Außerdem verfehlen derartige Leitsätze ihren Zweck, bei den Stellen, die für




Ansiedlung Ariegsverletzter
Dr. Curt Thomalla von

in Märzheft der „Deutschen Rundschau" stellt Fr. Fromme als
eine „deutsche Lebensnotwendigkeit" die Forderung auf, daß unsere
Bevölkerung sich der Landwirtschaft wieder erneut zuwenden muß.
Drei Gründe hierfür gibt er als zwingend an: unsere Produktion
an landwirtschaftlichen Erzeugnissen muß gesteigert werden; unsere
Kriegsverletzten, die in der Industrie nicht mehr arbeitsfähig sind, müssen unter¬
gebracht werden; die gesunde Volksvermehrung muß gesteigert werden.

Diese Forderungen werden allgemein aufgestellt, ohne praktische Vorschläge
für ihre Durchführung anzuschließen. Daß ähnliche Gedanken bereits weite
Kreise beschäftigen, beweist eine Aufstellung von „Leitsätzen", die eine Kom¬
mission des Münchener ärztlichen Vereins (in der „Münchener medizinischen
Wochenschrift" Ur. 13) bekanntgibt. Von den gleichen Gesichtspunkten aus¬
gehend, werden hier ziemlich genau umschriebene Vorschläge gemacht: „Heim¬
stätten" sollen gegründet und als Eigentum oder in Erbpacht vergeben werden.
Um Spekulation, Ankauf usw. auszuschließen, soll ein eigenes „Heimstättenrecht"
als Gesetz, ein neues „Heimstättenbuch" bei den Gerichten eingeführt werden.
Die Kosten sollen vom Bewerber mit 10 Prozent getragen werden, der Rest
durch Hypotheken gedeckt sein. Die Bewerber sollen nach der Zahl ihrer Kinder
berücksichtigt werden, wobei noch landwirtschaftliche Befähigung, Vertrauens¬
würdigkeit, womöglich bewiesene Tapferkeit gefordert werden. Schließlich sollen
"ur kerngesunde, im zeugungsfähigen Alter stehende Männer zugelassen werden.
Die Erhaltung des Besitzes bei den Beliehenen wird von der Zahl der weiter
hinzukommenden Nachkommenschaft abhängig gemacht. Selbst für die Weiter¬
vererbung des Gutes in der eigenen Familie werden Vorschriften gemacht
und Beschränkungen auferlegt.

Derartige Vorschläge schaden dem Gedanken einer gesunden Ansiedlungs»
Politik mehr, als sie Nutzen bringen. Zweifellos ist bei dem bedeutenden
Steigen des Wertes und Ansehens ländlicher Erzeugnisse eine gewisse Neigung
industrieller und großstädtischer Kreise zur „Stadtflucht" vorhanden, die beim
unvermeidlichen Sinken der jetzt übertrieben hohen Löhne sich noch deutlicher
äußern wird. Durch solche Vorschläge aber, die an Zwangsmaßregeln erinnern,
Muß die Lust zur Ansiedlung auf dem Lande im Keime erstickt werden.
Außerdem verfehlen derartige Leitsätze ihren Zweck, bei den Stellen, die für


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[0278] [Abbildung] Ansiedlung Ariegsverletzter Dr. Curt Thomalla von in Märzheft der „Deutschen Rundschau" stellt Fr. Fromme als eine „deutsche Lebensnotwendigkeit" die Forderung auf, daß unsere Bevölkerung sich der Landwirtschaft wieder erneut zuwenden muß. Drei Gründe hierfür gibt er als zwingend an: unsere Produktion an landwirtschaftlichen Erzeugnissen muß gesteigert werden; unsere Kriegsverletzten, die in der Industrie nicht mehr arbeitsfähig sind, müssen unter¬ gebracht werden; die gesunde Volksvermehrung muß gesteigert werden. Diese Forderungen werden allgemein aufgestellt, ohne praktische Vorschläge für ihre Durchführung anzuschließen. Daß ähnliche Gedanken bereits weite Kreise beschäftigen, beweist eine Aufstellung von „Leitsätzen", die eine Kom¬ mission des Münchener ärztlichen Vereins (in der „Münchener medizinischen Wochenschrift" Ur. 13) bekanntgibt. Von den gleichen Gesichtspunkten aus¬ gehend, werden hier ziemlich genau umschriebene Vorschläge gemacht: „Heim¬ stätten" sollen gegründet und als Eigentum oder in Erbpacht vergeben werden. Um Spekulation, Ankauf usw. auszuschließen, soll ein eigenes „Heimstättenrecht" als Gesetz, ein neues „Heimstättenbuch" bei den Gerichten eingeführt werden. Die Kosten sollen vom Bewerber mit 10 Prozent getragen werden, der Rest durch Hypotheken gedeckt sein. Die Bewerber sollen nach der Zahl ihrer Kinder berücksichtigt werden, wobei noch landwirtschaftliche Befähigung, Vertrauens¬ würdigkeit, womöglich bewiesene Tapferkeit gefordert werden. Schließlich sollen "ur kerngesunde, im zeugungsfähigen Alter stehende Männer zugelassen werden. Die Erhaltung des Besitzes bei den Beliehenen wird von der Zahl der weiter hinzukommenden Nachkommenschaft abhängig gemacht. Selbst für die Weiter¬ vererbung des Gutes in der eigenen Familie werden Vorschriften gemacht und Beschränkungen auferlegt. Derartige Vorschläge schaden dem Gedanken einer gesunden Ansiedlungs» Politik mehr, als sie Nutzen bringen. Zweifellos ist bei dem bedeutenden Steigen des Wertes und Ansehens ländlicher Erzeugnisse eine gewisse Neigung industrieller und großstädtischer Kreise zur „Stadtflucht" vorhanden, die beim unvermeidlichen Sinken der jetzt übertrieben hohen Löhne sich noch deutlicher äußern wird. Durch solche Vorschläge aber, die an Zwangsmaßregeln erinnern, Muß die Lust zur Ansiedlung auf dem Lande im Keime erstickt werden. Außerdem verfehlen derartige Leitsätze ihren Zweck, bei den Stellen, die für

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841/278>, abgerufen am 08.05.2024.