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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr.

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Die soziale Umwertung

Handwerk und Hausindustrie Konstantinopels waren vielfach nicht einmal
in der Lage, allein den Bedarf der Riesenstadt an gewerblichen Erzeugnissen
herzustellen, so daß eine große Einfuhr derartiger Waren aus dem Auslande
erforderlich war. Hinsichtlich der Versorgung des Heeres und der Bevölkerung
angefangen von den notwendigsten Lebensmitteln*) bis zum Waffen- und
Munitionsmaterial, war man einerseits auf das Ausland angewiesen, anderer¬
seits bestand eine bedeutende Ausfuhr von Rohstoffen und Halbfabrikaten.
Infolge der Einfuhr von Ganzfabriken in großem Maßstabe zeigte sich eine
bedenkliche Passivität der Handelsbilanz, wodurch die Türkei in finanzielle Ab¬
hängigkeit von seinen Hauptlieferanten England und Frankreich, die ihre Über¬
legenheit gehörig auszunutzen verstanden, geriet. Alle diese Momente machen
die Errichtung leistungsfähiger Industrien bezw. Modernisierung der bereits
bestehenden zur gebieterischen Notwendigkeit. Die Gesundung der türkischen
Finanzverhältnisse ist in erster Linie von der Verwirklichung dieses Zieles ab¬
hängig, bedingt aber gleichzeitig: Hebung der Landwirtschaft, Erschließung der
reichen Bodenschätze und Ausbau des Eisenbahnnetzes. Werden sich diese
Forderungen erfüllen, dann wird wie ein Phönix aus der Asche des Welt¬
krieges sich eine neue Türkei als starker, selbständiger Bundesgenosse der Mittel¬
mächte erheben!




Die soziale Umwertung
Gedanken eines Heimgekehrten
G, Hampe von

Zer nach langer Kriegszeit an der Front wieder in die heimischen
Verhältnisse, wie sie sich im Verlauf der Kriegsjahre gestaltet
haben, zurückkehrt, wird erstaunt sein über den Gang der Ent-
Wicklung, den das soziale Leben der Heimat in dieser Zeit ge¬
nommen hat. Mag auch dem Zeitgenossen, der stufenweise die
Entwicklung des heimischen Lebens miterlebt hat, die Veränderung nicht so auf¬
fällig erscheinen, so darf doch das Kriegerauge, das gewissermaßen aus einer
anderen Welt heimkehrt und die Bilder des heimischen Lebens der Friedens¬
jahre in sich bewahrt hat, hierfür als ein besonders scharfer Beobachter gelten.



") Die jährliche Einfuhr der Türkei an Lebensniitteln betrug 50 Millionen Leg.
Die soziale Umwertung

Handwerk und Hausindustrie Konstantinopels waren vielfach nicht einmal
in der Lage, allein den Bedarf der Riesenstadt an gewerblichen Erzeugnissen
herzustellen, so daß eine große Einfuhr derartiger Waren aus dem Auslande
erforderlich war. Hinsichtlich der Versorgung des Heeres und der Bevölkerung
angefangen von den notwendigsten Lebensmitteln*) bis zum Waffen- und
Munitionsmaterial, war man einerseits auf das Ausland angewiesen, anderer¬
seits bestand eine bedeutende Ausfuhr von Rohstoffen und Halbfabrikaten.
Infolge der Einfuhr von Ganzfabriken in großem Maßstabe zeigte sich eine
bedenkliche Passivität der Handelsbilanz, wodurch die Türkei in finanzielle Ab¬
hängigkeit von seinen Hauptlieferanten England und Frankreich, die ihre Über¬
legenheit gehörig auszunutzen verstanden, geriet. Alle diese Momente machen
die Errichtung leistungsfähiger Industrien bezw. Modernisierung der bereits
bestehenden zur gebieterischen Notwendigkeit. Die Gesundung der türkischen
Finanzverhältnisse ist in erster Linie von der Verwirklichung dieses Zieles ab¬
hängig, bedingt aber gleichzeitig: Hebung der Landwirtschaft, Erschließung der
reichen Bodenschätze und Ausbau des Eisenbahnnetzes. Werden sich diese
Forderungen erfüllen, dann wird wie ein Phönix aus der Asche des Welt¬
krieges sich eine neue Türkei als starker, selbständiger Bundesgenosse der Mittel¬
mächte erheben!




Die soziale Umwertung
Gedanken eines Heimgekehrten
G, Hampe von

Zer nach langer Kriegszeit an der Front wieder in die heimischen
Verhältnisse, wie sie sich im Verlauf der Kriegsjahre gestaltet
haben, zurückkehrt, wird erstaunt sein über den Gang der Ent-
Wicklung, den das soziale Leben der Heimat in dieser Zeit ge¬
nommen hat. Mag auch dem Zeitgenossen, der stufenweise die
Entwicklung des heimischen Lebens miterlebt hat, die Veränderung nicht so auf¬
fällig erscheinen, so darf doch das Kriegerauge, das gewissermaßen aus einer
anderen Welt heimkehrt und die Bilder des heimischen Lebens der Friedens¬
jahre in sich bewahrt hat, hierfür als ein besonders scharfer Beobachter gelten.



") Die jährliche Einfuhr der Türkei an Lebensniitteln betrug 50 Millionen Leg.
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[0324] Die soziale Umwertung Handwerk und Hausindustrie Konstantinopels waren vielfach nicht einmal in der Lage, allein den Bedarf der Riesenstadt an gewerblichen Erzeugnissen herzustellen, so daß eine große Einfuhr derartiger Waren aus dem Auslande erforderlich war. Hinsichtlich der Versorgung des Heeres und der Bevölkerung angefangen von den notwendigsten Lebensmitteln*) bis zum Waffen- und Munitionsmaterial, war man einerseits auf das Ausland angewiesen, anderer¬ seits bestand eine bedeutende Ausfuhr von Rohstoffen und Halbfabrikaten. Infolge der Einfuhr von Ganzfabriken in großem Maßstabe zeigte sich eine bedenkliche Passivität der Handelsbilanz, wodurch die Türkei in finanzielle Ab¬ hängigkeit von seinen Hauptlieferanten England und Frankreich, die ihre Über¬ legenheit gehörig auszunutzen verstanden, geriet. Alle diese Momente machen die Errichtung leistungsfähiger Industrien bezw. Modernisierung der bereits bestehenden zur gebieterischen Notwendigkeit. Die Gesundung der türkischen Finanzverhältnisse ist in erster Linie von der Verwirklichung dieses Zieles ab¬ hängig, bedingt aber gleichzeitig: Hebung der Landwirtschaft, Erschließung der reichen Bodenschätze und Ausbau des Eisenbahnnetzes. Werden sich diese Forderungen erfüllen, dann wird wie ein Phönix aus der Asche des Welt¬ krieges sich eine neue Türkei als starker, selbständiger Bundesgenosse der Mittel¬ mächte erheben! Die soziale Umwertung Gedanken eines Heimgekehrten G, Hampe von Zer nach langer Kriegszeit an der Front wieder in die heimischen Verhältnisse, wie sie sich im Verlauf der Kriegsjahre gestaltet haben, zurückkehrt, wird erstaunt sein über den Gang der Ent- Wicklung, den das soziale Leben der Heimat in dieser Zeit ge¬ nommen hat. Mag auch dem Zeitgenossen, der stufenweise die Entwicklung des heimischen Lebens miterlebt hat, die Veränderung nicht so auf¬ fällig erscheinen, so darf doch das Kriegerauge, das gewissermaßen aus einer anderen Welt heimkehrt und die Bilder des heimischen Lebens der Friedens¬ jahre in sich bewahrt hat, hierfür als ein besonders scharfer Beobachter gelten. ") Die jährliche Einfuhr der Türkei an Lebensniitteln betrug 50 Millionen Leg.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841/324>, abgerufen am 08.05.2024.