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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr.

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Guatemala

In der Mischlingsbevölkerung sind politisches Verständnis und Verantwort¬
lichkeitsgefühl allerdings besser entwickelt, aber im Grunde herrscht doch nur
eine wenig zahlreiche Oberschicht von Mischungen und Kreolen seit der un¬
blutigen Loslösung von der spanischen Herrschaft im Jahre 1821; der persön¬
liche Ehrgeiz einzelner Persönlichkeiten hat seitdem vielfach zu Revolutionen
geführt und das Aufblühen des Staates verhindert. Revolutionen spielten eine
große Rolle in der zentralamerikanischen Föderativrepublik, die anfänglich alle
Provinzen des ehemaligen Generalkapitanats Guatemala umfaßte (mit Ausnahme
von Chiapas, das sich Mexiko anschloß). 1839 zerfiel dieser Bundesstaat in
fünf verschiedene Republiken. -- Man möge aber dieses Wort nicht mit "Frei¬
staat" übersetzen, denn Freiheit sucht man in diesen Staatswesen vergeblich,
vielmehr sind es richtiger ziemlich absolute Autokratien, gemildert durch die
Furcht vor Revolutionen und Meuchelmord, teilweise auch -- wenn auch öfters
nur auf dem Papier -- durch beschränkte Amtszeit des jeweiligen Herrschers.

Unter Rafael Carrera (1852 bis 1865) erlangte Guatemala ein entschiedenes
Übergewicht in Mittelamerika. Unter seinem Nachfolger Cerra ging dasselbe
aber wieder zurück und eine Revolution stürzte mit dem Präsidenten auch das
bisher herrschende klerikale Regiment. Unter den nun folgenden liberalen Präsi¬
denten war General Justo Rufino Barrios (1873 bis 1885) der bedeutendste: er
brach die Macht des Klerus, hob den Unterricht, baute Wege. Bahnen, Tele¬
graphenlinien und begünstigte die wirtschaftliche Betätigung der Fremden, wodurch
die gesamte Wirtschaft des Landes großen Aufschwung und einen modernen
Zug erhielt; bei dem Versuch, den mittelamerikanischen Staatenbund wieder
aufzurichten, fiel er, und sein Lieblingsplan, die Erbauung einer interozeanischen
Eisenbahn, kam damit ins Stocken. Erst sein Neffe Jos6 Maria Reina Barrios
(1891 bis 1897) nahm sich dieses großen Werkes wieder energisch an; aber seine
Ermordung setzte seinem Streben ein jähes Ende. Die gewaltigen Ausgaben,
die der Bahnbau und die internationale Ausstellung zu Guatemala 1897 erfordert
hatten, hatten die Finanzkraft des Landes erschöpft; Papierwirtschaft schlimmster
Sorte griff nun Platz, und sein Nachfolger, Lizenziat M. Estrada Cabrera, der
zurzeit noch immer mit fester Hand die Zügel des Staates führt, vermochte
die interozeanische Bahn und andere Linien nicht mehr aus eigener Kraft des
Staates, wohl aber mit Hilfe einer nordamerikanischen Gesellschaft durchzuführen
und so das Verkehrswesen wesentlich zu heben, während zugleich seine Haupt¬
sorge der Entwicklung des Unterrichts gewidmet blieb.


4. Wirtschaftliche Verhältnisse

Hatte das Land in der Kolonialzeit infolge seiner Mineralarmut und der
spanischen Handelsbeschränkungen wirtschaftlich nur gerade dahingedämmert und
bloß in der Cochenillezucht eine stärkere Stütze gehabt, so erfolgte nach der
Loslösung vom Mutterland infolge der inneren Wirren noch lange kein Auf¬
schwung; ja um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts versagte die Cochenille-


Guatemala

In der Mischlingsbevölkerung sind politisches Verständnis und Verantwort¬
lichkeitsgefühl allerdings besser entwickelt, aber im Grunde herrscht doch nur
eine wenig zahlreiche Oberschicht von Mischungen und Kreolen seit der un¬
blutigen Loslösung von der spanischen Herrschaft im Jahre 1821; der persön¬
liche Ehrgeiz einzelner Persönlichkeiten hat seitdem vielfach zu Revolutionen
geführt und das Aufblühen des Staates verhindert. Revolutionen spielten eine
große Rolle in der zentralamerikanischen Föderativrepublik, die anfänglich alle
Provinzen des ehemaligen Generalkapitanats Guatemala umfaßte (mit Ausnahme
von Chiapas, das sich Mexiko anschloß). 1839 zerfiel dieser Bundesstaat in
fünf verschiedene Republiken. — Man möge aber dieses Wort nicht mit „Frei¬
staat" übersetzen, denn Freiheit sucht man in diesen Staatswesen vergeblich,
vielmehr sind es richtiger ziemlich absolute Autokratien, gemildert durch die
Furcht vor Revolutionen und Meuchelmord, teilweise auch — wenn auch öfters
nur auf dem Papier — durch beschränkte Amtszeit des jeweiligen Herrschers.

Unter Rafael Carrera (1852 bis 1865) erlangte Guatemala ein entschiedenes
Übergewicht in Mittelamerika. Unter seinem Nachfolger Cerra ging dasselbe
aber wieder zurück und eine Revolution stürzte mit dem Präsidenten auch das
bisher herrschende klerikale Regiment. Unter den nun folgenden liberalen Präsi¬
denten war General Justo Rufino Barrios (1873 bis 1885) der bedeutendste: er
brach die Macht des Klerus, hob den Unterricht, baute Wege. Bahnen, Tele¬
graphenlinien und begünstigte die wirtschaftliche Betätigung der Fremden, wodurch
die gesamte Wirtschaft des Landes großen Aufschwung und einen modernen
Zug erhielt; bei dem Versuch, den mittelamerikanischen Staatenbund wieder
aufzurichten, fiel er, und sein Lieblingsplan, die Erbauung einer interozeanischen
Eisenbahn, kam damit ins Stocken. Erst sein Neffe Jos6 Maria Reina Barrios
(1891 bis 1897) nahm sich dieses großen Werkes wieder energisch an; aber seine
Ermordung setzte seinem Streben ein jähes Ende. Die gewaltigen Ausgaben,
die der Bahnbau und die internationale Ausstellung zu Guatemala 1897 erfordert
hatten, hatten die Finanzkraft des Landes erschöpft; Papierwirtschaft schlimmster
Sorte griff nun Platz, und sein Nachfolger, Lizenziat M. Estrada Cabrera, der
zurzeit noch immer mit fester Hand die Zügel des Staates führt, vermochte
die interozeanische Bahn und andere Linien nicht mehr aus eigener Kraft des
Staates, wohl aber mit Hilfe einer nordamerikanischen Gesellschaft durchzuführen
und so das Verkehrswesen wesentlich zu heben, während zugleich seine Haupt¬
sorge der Entwicklung des Unterrichts gewidmet blieb.


4. Wirtschaftliche Verhältnisse

Hatte das Land in der Kolonialzeit infolge seiner Mineralarmut und der
spanischen Handelsbeschränkungen wirtschaftlich nur gerade dahingedämmert und
bloß in der Cochenillezucht eine stärkere Stütze gehabt, so erfolgte nach der
Loslösung vom Mutterland infolge der inneren Wirren noch lange kein Auf¬
schwung; ja um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts versagte die Cochenille-


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[0392] Guatemala In der Mischlingsbevölkerung sind politisches Verständnis und Verantwort¬ lichkeitsgefühl allerdings besser entwickelt, aber im Grunde herrscht doch nur eine wenig zahlreiche Oberschicht von Mischungen und Kreolen seit der un¬ blutigen Loslösung von der spanischen Herrschaft im Jahre 1821; der persön¬ liche Ehrgeiz einzelner Persönlichkeiten hat seitdem vielfach zu Revolutionen geführt und das Aufblühen des Staates verhindert. Revolutionen spielten eine große Rolle in der zentralamerikanischen Föderativrepublik, die anfänglich alle Provinzen des ehemaligen Generalkapitanats Guatemala umfaßte (mit Ausnahme von Chiapas, das sich Mexiko anschloß). 1839 zerfiel dieser Bundesstaat in fünf verschiedene Republiken. — Man möge aber dieses Wort nicht mit „Frei¬ staat" übersetzen, denn Freiheit sucht man in diesen Staatswesen vergeblich, vielmehr sind es richtiger ziemlich absolute Autokratien, gemildert durch die Furcht vor Revolutionen und Meuchelmord, teilweise auch — wenn auch öfters nur auf dem Papier — durch beschränkte Amtszeit des jeweiligen Herrschers. Unter Rafael Carrera (1852 bis 1865) erlangte Guatemala ein entschiedenes Übergewicht in Mittelamerika. Unter seinem Nachfolger Cerra ging dasselbe aber wieder zurück und eine Revolution stürzte mit dem Präsidenten auch das bisher herrschende klerikale Regiment. Unter den nun folgenden liberalen Präsi¬ denten war General Justo Rufino Barrios (1873 bis 1885) der bedeutendste: er brach die Macht des Klerus, hob den Unterricht, baute Wege. Bahnen, Tele¬ graphenlinien und begünstigte die wirtschaftliche Betätigung der Fremden, wodurch die gesamte Wirtschaft des Landes großen Aufschwung und einen modernen Zug erhielt; bei dem Versuch, den mittelamerikanischen Staatenbund wieder aufzurichten, fiel er, und sein Lieblingsplan, die Erbauung einer interozeanischen Eisenbahn, kam damit ins Stocken. Erst sein Neffe Jos6 Maria Reina Barrios (1891 bis 1897) nahm sich dieses großen Werkes wieder energisch an; aber seine Ermordung setzte seinem Streben ein jähes Ende. Die gewaltigen Ausgaben, die der Bahnbau und die internationale Ausstellung zu Guatemala 1897 erfordert hatten, hatten die Finanzkraft des Landes erschöpft; Papierwirtschaft schlimmster Sorte griff nun Platz, und sein Nachfolger, Lizenziat M. Estrada Cabrera, der zurzeit noch immer mit fester Hand die Zügel des Staates führt, vermochte die interozeanische Bahn und andere Linien nicht mehr aus eigener Kraft des Staates, wohl aber mit Hilfe einer nordamerikanischen Gesellschaft durchzuführen und so das Verkehrswesen wesentlich zu heben, während zugleich seine Haupt¬ sorge der Entwicklung des Unterrichts gewidmet blieb. 4. Wirtschaftliche Verhältnisse Hatte das Land in der Kolonialzeit infolge seiner Mineralarmut und der spanischen Handelsbeschränkungen wirtschaftlich nur gerade dahingedämmert und bloß in der Cochenillezucht eine stärkere Stütze gehabt, so erfolgte nach der Loslösung vom Mutterland infolge der inneren Wirren noch lange kein Auf¬ schwung; ja um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts versagte die Cochenille-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841/392>, abgerufen am 09.05.2024.