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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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(Lark Ientsch f
von Or. pkil. Anton Heinrich Rose

Am 28. Juli ist der greise Nestor der deutschen Publizistik Carl
Ientsch, aus Reiße, in dem schlesischen Bade Ziegenhals, wo er dieses
Jahr seine gewohnte vierwöchige Sommererholung suchte, infolge Herz¬
schwäche Plötzlich verstorben.

>it Carl Ientsch verliert das deutsche Schrifttum der Gegenwart
einen seine? bemerkenswertesten und zugleich eigenartigsten Ver¬
treter. Es ist nicht leicht, das Wesen eines Denkers von so aus¬
gesprochener Individualität in kurzen Worten einigermaßen er¬
schöpfend zu schildern. Die landläufigen Begriffe der Anschauungs-
uchtungen, das übliche Parteietikett können auf ihn, der immer nur er selbst
gewesen, keine Anwendung finden.

Carl Ientsch war konservativ und auch nicht konservativ, sozialistisch und
"und nicht sozialistisch; er trat dem Zentrum entgegen (soweit es sich ultra-
^ontan zeigte) und er lobte es; er kämpfte als liberaler Redakteur und üble
Zugleich Kritik am Liberalismus. Er saß mit seinen meisten Ansichten gewisser-
^lßen stets zwischen zwei Stühlen und war nichts weniger, als einer, der den
Hantel nach dem Winde hängt. Er hielt unentwegt fest an feiner Richtungs-
"nie. Sie synthetisch zu erfassen bietet die Kenntnis des Lebensganges von
^art Ientsch die einzige Möglichkeit; das hat er wohl selbst gefühlt und darum
Unbekannter, der bekanntzuwerden hoffte*) und nicht verkannt sein wollte,
^ne Autobiographie geschrieben (zwei Bände "Wandlungen" bei Fr. W. Grunow,
Leipzig 1896). Sie bedeutet über diesen Zweck hinaus ein Kulturdokument
^sten Ranges.

Carl Ientsch, geboren am 8. Februar 1833, ist der Sohn eines evan¬
gelischen Buchbinders aus Landeshut in Schlesien, dessen Frau Katholikin war;
Dreizehnjähriger trat er aus freiem Entschluß zur katholischen Kirche über,



Nicht aus Ehrsucht, sondern um das Gute auszuwirken, das in ihm war!
^renzboten III 1917 11


(Lark Ientsch f
von Or. pkil. Anton Heinrich Rose

Am 28. Juli ist der greise Nestor der deutschen Publizistik Carl
Ientsch, aus Reiße, in dem schlesischen Bade Ziegenhals, wo er dieses
Jahr seine gewohnte vierwöchige Sommererholung suchte, infolge Herz¬
schwäche Plötzlich verstorben.

>it Carl Ientsch verliert das deutsche Schrifttum der Gegenwart
einen seine? bemerkenswertesten und zugleich eigenartigsten Ver¬
treter. Es ist nicht leicht, das Wesen eines Denkers von so aus¬
gesprochener Individualität in kurzen Worten einigermaßen er¬
schöpfend zu schildern. Die landläufigen Begriffe der Anschauungs-
uchtungen, das übliche Parteietikett können auf ihn, der immer nur er selbst
gewesen, keine Anwendung finden.

Carl Ientsch war konservativ und auch nicht konservativ, sozialistisch und
"und nicht sozialistisch; er trat dem Zentrum entgegen (soweit es sich ultra-
^ontan zeigte) und er lobte es; er kämpfte als liberaler Redakteur und üble
Zugleich Kritik am Liberalismus. Er saß mit seinen meisten Ansichten gewisser-
^lßen stets zwischen zwei Stühlen und war nichts weniger, als einer, der den
Hantel nach dem Winde hängt. Er hielt unentwegt fest an feiner Richtungs-
"nie. Sie synthetisch zu erfassen bietet die Kenntnis des Lebensganges von
^art Ientsch die einzige Möglichkeit; das hat er wohl selbst gefühlt und darum
Unbekannter, der bekanntzuwerden hoffte*) und nicht verkannt sein wollte,
^ne Autobiographie geschrieben (zwei Bände „Wandlungen" bei Fr. W. Grunow,
Leipzig 1896). Sie bedeutet über diesen Zweck hinaus ein Kulturdokument
^sten Ranges.

Carl Ientsch, geboren am 8. Februar 1833, ist der Sohn eines evan¬
gelischen Buchbinders aus Landeshut in Schlesien, dessen Frau Katholikin war;
Dreizehnjähriger trat er aus freiem Entschluß zur katholischen Kirche über,



Nicht aus Ehrsucht, sondern um das Gute auszuwirken, das in ihm war!
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[0173] [Abbildung] (Lark Ientsch f von Or. pkil. Anton Heinrich Rose Am 28. Juli ist der greise Nestor der deutschen Publizistik Carl Ientsch, aus Reiße, in dem schlesischen Bade Ziegenhals, wo er dieses Jahr seine gewohnte vierwöchige Sommererholung suchte, infolge Herz¬ schwäche Plötzlich verstorben. >it Carl Ientsch verliert das deutsche Schrifttum der Gegenwart einen seine? bemerkenswertesten und zugleich eigenartigsten Ver¬ treter. Es ist nicht leicht, das Wesen eines Denkers von so aus¬ gesprochener Individualität in kurzen Worten einigermaßen er¬ schöpfend zu schildern. Die landläufigen Begriffe der Anschauungs- uchtungen, das übliche Parteietikett können auf ihn, der immer nur er selbst gewesen, keine Anwendung finden. Carl Ientsch war konservativ und auch nicht konservativ, sozialistisch und "und nicht sozialistisch; er trat dem Zentrum entgegen (soweit es sich ultra- ^ontan zeigte) und er lobte es; er kämpfte als liberaler Redakteur und üble Zugleich Kritik am Liberalismus. Er saß mit seinen meisten Ansichten gewisser- ^lßen stets zwischen zwei Stühlen und war nichts weniger, als einer, der den Hantel nach dem Winde hängt. Er hielt unentwegt fest an feiner Richtungs- "nie. Sie synthetisch zu erfassen bietet die Kenntnis des Lebensganges von ^art Ientsch die einzige Möglichkeit; das hat er wohl selbst gefühlt und darum Unbekannter, der bekanntzuwerden hoffte*) und nicht verkannt sein wollte, ^ne Autobiographie geschrieben (zwei Bände „Wandlungen" bei Fr. W. Grunow, Leipzig 1896). Sie bedeutet über diesen Zweck hinaus ein Kulturdokument ^sten Ranges. Carl Ientsch, geboren am 8. Februar 1833, ist der Sohn eines evan¬ gelischen Buchbinders aus Landeshut in Schlesien, dessen Frau Katholikin war; Dreizehnjähriger trat er aus freiem Entschluß zur katholischen Kirche über, Nicht aus Ehrsucht, sondern um das Gute auszuwirken, das in ihm war! ^renzboten III 1917 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/173>, abgerufen am 04.05.2024.