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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Mitteleuropa
von Georg Lleinow

as Sehnen der deutschen Stämme nach Zusammenschluß, das durch
den Endkampf Preußens und Österreichs um die Hegemonie im
deutschen Bunde und die darauffolgende Gründung des Deutschen
Reiches für Jahrzehnte unterbunden, nicht ertötet worden ist. hat
einen neuen, moderneren Ausdruck gefunden in dein Gedanken der
Schöpfung eines mitteleuropäische" Oberstaates, in 'den: das deutsche Element
entsprechend seiner Zahl und kulturpolitischen Bedeutung eine führende Stelle
einnehmen würde. So schön das Ziel vom deutschen Kuliursiaudpnnkt auch ist,
so beschwerlich und voller Hindernisse ist der Aufstieg zu ihm und es ist noch
sehr die Frage, ob das Feuer des Weltenbmndes, in dein das Deutsch - Öster¬
reichisch-ungarische Bündnis gegenwärtig seit drei Jahren glüht, auch ausreicht,
um die Kampfgenosse" zu einem dauernden Friedenöbunde zusammen¬
schweißen zu können. Das neue Deutschland und das alle Österreich mit seinem
ungarischen Bruder sind in fünfzig Jahren zu in sich fest geschlossenen Organismen
herangewachsen mit einer Fülle von Eigenleben und selbständigen .Kräften, in
denen die Frage nach der Zusammengehörigkeit der Nationalitäten trotz ihrer
ungeheueren Bedeutung für die Reiche doch vor andere" Zusammenhängen an
den zweiten Platz getreten sind. Über den Nationalstaat hat sich --> freilich
uoch nicht endgültig -- der Winschastsstaat gesetzt, in dem die Nationalität
vorwiegend nach ihrer wirtschaftlichen Gesamtleistung, keinesfalls nach ethischen,
geschweige denn ästhetischen Gesichtspunkten bewertet wird. Ein Zusammenschluß
des Deutschtunis anders als auf dem Wege eines mitteleuropäischen Oderstaates
wirtschaftlich zusammenwirkender Nationen und Staaten ist -- rechnet man nicht
unt neuen politischen Katastrophen -- kaum denkbar.

Die Erkenntnis des Mangels anderer Wege als der über wirtschaftliche
Verständigung mag daran schuld sein, wenn wir in der Behandlung der mittel¬
europäischen Frage eigentlich jede Wärme und jeden nationalen Schwung vermissen,
und mehr eine Art Resignation, ja, ein fatalistisches Gewährenlassen bemerken.


Grenzboten III 19t7 16


Mitteleuropa
von Georg Lleinow

as Sehnen der deutschen Stämme nach Zusammenschluß, das durch
den Endkampf Preußens und Österreichs um die Hegemonie im
deutschen Bunde und die darauffolgende Gründung des Deutschen
Reiches für Jahrzehnte unterbunden, nicht ertötet worden ist. hat
einen neuen, moderneren Ausdruck gefunden in dein Gedanken der
Schöpfung eines mitteleuropäische« Oberstaates, in 'den: das deutsche Element
entsprechend seiner Zahl und kulturpolitischen Bedeutung eine führende Stelle
einnehmen würde. So schön das Ziel vom deutschen Kuliursiaudpnnkt auch ist,
so beschwerlich und voller Hindernisse ist der Aufstieg zu ihm und es ist noch
sehr die Frage, ob das Feuer des Weltenbmndes, in dein das Deutsch - Öster¬
reichisch-ungarische Bündnis gegenwärtig seit drei Jahren glüht, auch ausreicht,
um die Kampfgenosse« zu einem dauernden Friedenöbunde zusammen¬
schweißen zu können. Das neue Deutschland und das alle Österreich mit seinem
ungarischen Bruder sind in fünfzig Jahren zu in sich fest geschlossenen Organismen
herangewachsen mit einer Fülle von Eigenleben und selbständigen .Kräften, in
denen die Frage nach der Zusammengehörigkeit der Nationalitäten trotz ihrer
ungeheueren Bedeutung für die Reiche doch vor andere« Zusammenhängen an
den zweiten Platz getreten sind. Über den Nationalstaat hat sich —> freilich
uoch nicht endgültig — der Winschastsstaat gesetzt, in dem die Nationalität
vorwiegend nach ihrer wirtschaftlichen Gesamtleistung, keinesfalls nach ethischen,
geschweige denn ästhetischen Gesichtspunkten bewertet wird. Ein Zusammenschluß
des Deutschtunis anders als auf dem Wege eines mitteleuropäischen Oderstaates
wirtschaftlich zusammenwirkender Nationen und Staaten ist — rechnet man nicht
unt neuen politischen Katastrophen — kaum denkbar.

Die Erkenntnis des Mangels anderer Wege als der über wirtschaftliche
Verständigung mag daran schuld sein, wenn wir in der Behandlung der mittel¬
europäischen Frage eigentlich jede Wärme und jeden nationalen Schwung vermissen,
und mehr eine Art Resignation, ja, ein fatalistisches Gewährenlassen bemerken.


Grenzboten III 19t7 16
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[0237] [Abbildung] Mitteleuropa von Georg Lleinow as Sehnen der deutschen Stämme nach Zusammenschluß, das durch den Endkampf Preußens und Österreichs um die Hegemonie im deutschen Bunde und die darauffolgende Gründung des Deutschen Reiches für Jahrzehnte unterbunden, nicht ertötet worden ist. hat einen neuen, moderneren Ausdruck gefunden in dein Gedanken der Schöpfung eines mitteleuropäische« Oberstaates, in 'den: das deutsche Element entsprechend seiner Zahl und kulturpolitischen Bedeutung eine führende Stelle einnehmen würde. So schön das Ziel vom deutschen Kuliursiaudpnnkt auch ist, so beschwerlich und voller Hindernisse ist der Aufstieg zu ihm und es ist noch sehr die Frage, ob das Feuer des Weltenbmndes, in dein das Deutsch - Öster¬ reichisch-ungarische Bündnis gegenwärtig seit drei Jahren glüht, auch ausreicht, um die Kampfgenosse« zu einem dauernden Friedenöbunde zusammen¬ schweißen zu können. Das neue Deutschland und das alle Österreich mit seinem ungarischen Bruder sind in fünfzig Jahren zu in sich fest geschlossenen Organismen herangewachsen mit einer Fülle von Eigenleben und selbständigen .Kräften, in denen die Frage nach der Zusammengehörigkeit der Nationalitäten trotz ihrer ungeheueren Bedeutung für die Reiche doch vor andere« Zusammenhängen an den zweiten Platz getreten sind. Über den Nationalstaat hat sich —> freilich uoch nicht endgültig — der Winschastsstaat gesetzt, in dem die Nationalität vorwiegend nach ihrer wirtschaftlichen Gesamtleistung, keinesfalls nach ethischen, geschweige denn ästhetischen Gesichtspunkten bewertet wird. Ein Zusammenschluß des Deutschtunis anders als auf dem Wege eines mitteleuropäischen Oderstaates wirtschaftlich zusammenwirkender Nationen und Staaten ist — rechnet man nicht unt neuen politischen Katastrophen — kaum denkbar. Die Erkenntnis des Mangels anderer Wege als der über wirtschaftliche Verständigung mag daran schuld sein, wenn wir in der Behandlung der mittel¬ europäischen Frage eigentlich jede Wärme und jeden nationalen Schwung vermissen, und mehr eine Art Resignation, ja, ein fatalistisches Gewährenlassen bemerken. Grenzboten III 19t7 16

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/237>, abgerufen am 04.05.2024.