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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Großbritanniens Ostseepolitik
von Professor Wittschewsky II-

urch den Verlauf des Krieges ist die englische Politik einem längst
gehegten, ehemals vielleicht traumhaft dünkenden Wunsche um einen
erheblichen Schritt nähergerückt. Die Möglichkeit ist gegeben, daß
sie sich im Bereich der Ostsee eine dauernde Aktionsbasis zur Lösung
von maritimen und merkantilen Zukunftsaufgaben beschafft. Was
früher als scheinbar unerreichbares Ziel dem weltumspannenden Gedankenfluge
britischer Staatsmänner vorschwebte, erscheint heute nicht mehr als wesenlose
Illusion, nachdem, wie in unserem ersten Artikel dargelegt, englische Seeleute
Küstenpunkten und auf den Inseln des Ostseebeckens sich häuslich nieder¬
gelassen oder als Landläufer umfangreiche Besitzrechte sich erworben haben. Die
hieran anknüpfenden weitausschauenden Herrschaftspläne werden sich in vollem
Umfange vorläufig wohl nicht verwirklichen lassen, weil die Widerstände in den
Randländern der Ostsee sich noch als zu mächtig erweisen dürften, die eng°
^sche Staatskunst ist es aber gewohnt, mit langer Sicht zu arbeiten, und wird
andererseits gewiß keine Gelegenheit verabsäumen, von einer einmal eingenom¬
menen Plattform aus seine Minengänge weiter vorzutreiben. Werden ihre Ab¬
sichten auf Erwerbung von Flottenstützpunkten am Ostseegestade durchkreuzt, so
^ird sie sich zunächst mit Errichtung von Handelsbrücken begnügen, in der
sicheren Erwartung, daß auf ihnen zugleich mit den britischen Krämern die
politischen Macher einen aussichtsreichen Vormarsch antreten. Hat es doch die
^glische Seemacht von jeher ausgezeichnet verstanden, der wirtschaftlichen Ex¬
pansion auf dem Fuße zu folgen. Auch in der englischen Ostseepolitik sind
Maritime und kaufmännische Zwecke unverkennbar miteinander verbunden.

Die englische Staatsleitung hat der verwichenen zarischen Regierung bereit¬
willig ihre maritimen Hilfsmittel zur Verfügung gestellt und sich dadurch ein
brecht erworben, an wichtigen befestigten Punkten der russisch-finnländisch-


Grenzboten III 1817 21


Großbritanniens Ostseepolitik
von Professor Wittschewsky II-

urch den Verlauf des Krieges ist die englische Politik einem längst
gehegten, ehemals vielleicht traumhaft dünkenden Wunsche um einen
erheblichen Schritt nähergerückt. Die Möglichkeit ist gegeben, daß
sie sich im Bereich der Ostsee eine dauernde Aktionsbasis zur Lösung
von maritimen und merkantilen Zukunftsaufgaben beschafft. Was
früher als scheinbar unerreichbares Ziel dem weltumspannenden Gedankenfluge
britischer Staatsmänner vorschwebte, erscheint heute nicht mehr als wesenlose
Illusion, nachdem, wie in unserem ersten Artikel dargelegt, englische Seeleute
Küstenpunkten und auf den Inseln des Ostseebeckens sich häuslich nieder¬
gelassen oder als Landläufer umfangreiche Besitzrechte sich erworben haben. Die
hieran anknüpfenden weitausschauenden Herrschaftspläne werden sich in vollem
Umfange vorläufig wohl nicht verwirklichen lassen, weil die Widerstände in den
Randländern der Ostsee sich noch als zu mächtig erweisen dürften, die eng°
^sche Staatskunst ist es aber gewohnt, mit langer Sicht zu arbeiten, und wird
andererseits gewiß keine Gelegenheit verabsäumen, von einer einmal eingenom¬
menen Plattform aus seine Minengänge weiter vorzutreiben. Werden ihre Ab¬
sichten auf Erwerbung von Flottenstützpunkten am Ostseegestade durchkreuzt, so
^ird sie sich zunächst mit Errichtung von Handelsbrücken begnügen, in der
sicheren Erwartung, daß auf ihnen zugleich mit den britischen Krämern die
politischen Macher einen aussichtsreichen Vormarsch antreten. Hat es doch die
^glische Seemacht von jeher ausgezeichnet verstanden, der wirtschaftlichen Ex¬
pansion auf dem Fuße zu folgen. Auch in der englischen Ostseepolitik sind
Maritime und kaufmännische Zwecke unverkennbar miteinander verbunden.

Die englische Staatsleitung hat der verwichenen zarischen Regierung bereit¬
willig ihre maritimen Hilfsmittel zur Verfügung gestellt und sich dadurch ein
brecht erworben, an wichtigen befestigten Punkten der russisch-finnländisch-


Grenzboten III 1817 21
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[0333] [Abbildung] Großbritanniens Ostseepolitik von Professor Wittschewsky II- urch den Verlauf des Krieges ist die englische Politik einem längst gehegten, ehemals vielleicht traumhaft dünkenden Wunsche um einen erheblichen Schritt nähergerückt. Die Möglichkeit ist gegeben, daß sie sich im Bereich der Ostsee eine dauernde Aktionsbasis zur Lösung von maritimen und merkantilen Zukunftsaufgaben beschafft. Was früher als scheinbar unerreichbares Ziel dem weltumspannenden Gedankenfluge britischer Staatsmänner vorschwebte, erscheint heute nicht mehr als wesenlose Illusion, nachdem, wie in unserem ersten Artikel dargelegt, englische Seeleute Küstenpunkten und auf den Inseln des Ostseebeckens sich häuslich nieder¬ gelassen oder als Landläufer umfangreiche Besitzrechte sich erworben haben. Die hieran anknüpfenden weitausschauenden Herrschaftspläne werden sich in vollem Umfange vorläufig wohl nicht verwirklichen lassen, weil die Widerstände in den Randländern der Ostsee sich noch als zu mächtig erweisen dürften, die eng° ^sche Staatskunst ist es aber gewohnt, mit langer Sicht zu arbeiten, und wird andererseits gewiß keine Gelegenheit verabsäumen, von einer einmal eingenom¬ menen Plattform aus seine Minengänge weiter vorzutreiben. Werden ihre Ab¬ sichten auf Erwerbung von Flottenstützpunkten am Ostseegestade durchkreuzt, so ^ird sie sich zunächst mit Errichtung von Handelsbrücken begnügen, in der sicheren Erwartung, daß auf ihnen zugleich mit den britischen Krämern die politischen Macher einen aussichtsreichen Vormarsch antreten. Hat es doch die ^glische Seemacht von jeher ausgezeichnet verstanden, der wirtschaftlichen Ex¬ pansion auf dem Fuße zu folgen. Auch in der englischen Ostseepolitik sind Maritime und kaufmännische Zwecke unverkennbar miteinander verbunden. Die englische Staatsleitung hat der verwichenen zarischen Regierung bereit¬ willig ihre maritimen Hilfsmittel zur Verfügung gestellt und sich dadurch ein brecht erworben, an wichtigen befestigten Punkten der russisch-finnländisch- Grenzboten III 1817 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/333>, abgerufen am 04.05.2024.