Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Reichsgewalt und Landesverfassung im Reichslande
Rechtliche Betrachtungen zur "Llsaß-Lothringischen Frage
von Professor Dr. Friedrich Detker

Deutsches Land kann dem Deutschen Reiche in zwei Formen an¬
gehören. Es besteht entweder volle Reichsunterworfenheit oder
mit Beherrschtsein vom Reiche verbindet sich Mitherrschaft an ihm-
Jenes Verhältnis macht das Gebiet zum "Reichslande"; Be¬
ziehung zur Reichsgewalt in beiden Richtungen, in der Rolle des
Mitausübenden und des Mitunterworfenen, ergibt das Wesen des Einzelstaates,
Gliedstaates, Bundesstaates im Reiche. Herrscher des Reiches ist trotz bedeut¬
samer von der Reichsverfassung ihm erteilten Rechte nicht der deutsche Kaiser,
sondern die Gesamtheit der verbündeten Regierungen. Für die deutschen Einzel¬
staaten sind große Gebiete des staatlichen Lebens von der Zuständigkeit und
folglich der Herrschaft des Reiches frei geblieben,- anderenfalls gäbe es nicht
Staaten im Reiche, sondern das Deutsche Reich wäre der Deutsche Staat.
Reichsland hingegen steht in aller und jeder Beziehung unter der Reichsgewalt.

Elsaß-Lothringen ist als Reichsland zum Reiche gekommen. Es war ein
Stück des französischen Staates, nicht selbst Staat. Um es zum Staate zu
machen, hätte ihm erst eine besondere Staatsgewalt, im monarchischen oder
republikanischen Sinne, gegeben werden müssen. Das ist bis heute nicht ge¬
schehen, aber es ist das Ziel der vartikularistischen Bestrebungen im Lande und
gilt als Forderung der Billigkeit auch in manchen deutschgesinnten Kreisen, die
an der Ungleichheit der Rechtslage des Reichslandes gegenüber den deutsche"
Einzelstaaten Anstoß nehmen.

Gegen dieses Verlangen läßt sich geltend machen und ist geltend gemacht
worden, daß auch andere deutsche Stämme, Rheinländer, Schlester, Franken u. s- w-,
nicht im Besitze einer eigenen Staatsgewalt sind. Den Schleswig.Holsteinern
hat die Befreiung von der Fremdherrschaft nicht ein eigenes Staatswesen ge¬
bracht. Weshalb soll es bei Elsaß-Lothringen so sein? Mag dieser Einwand
durchschlagen oder nicht, er eröffnet den Ausblick auf einen anderen Weg zur
Beseitigung der bloßen Neichsunterworfenheit: Eingliederung Elsaß-Lothringens
in einen angrenzenden Einzelstaat, den größten, Preußen, oder geteilt in mehrere,
Preußen, Bayern, vielleicht noch Baden.




Reichsgewalt und Landesverfassung im Reichslande
Rechtliche Betrachtungen zur «Llsaß-Lothringischen Frage
von Professor Dr. Friedrich Detker

Deutsches Land kann dem Deutschen Reiche in zwei Formen an¬
gehören. Es besteht entweder volle Reichsunterworfenheit oder
mit Beherrschtsein vom Reiche verbindet sich Mitherrschaft an ihm-
Jenes Verhältnis macht das Gebiet zum „Reichslande"; Be¬
ziehung zur Reichsgewalt in beiden Richtungen, in der Rolle des
Mitausübenden und des Mitunterworfenen, ergibt das Wesen des Einzelstaates,
Gliedstaates, Bundesstaates im Reiche. Herrscher des Reiches ist trotz bedeut¬
samer von der Reichsverfassung ihm erteilten Rechte nicht der deutsche Kaiser,
sondern die Gesamtheit der verbündeten Regierungen. Für die deutschen Einzel¬
staaten sind große Gebiete des staatlichen Lebens von der Zuständigkeit und
folglich der Herrschaft des Reiches frei geblieben,- anderenfalls gäbe es nicht
Staaten im Reiche, sondern das Deutsche Reich wäre der Deutsche Staat.
Reichsland hingegen steht in aller und jeder Beziehung unter der Reichsgewalt.

Elsaß-Lothringen ist als Reichsland zum Reiche gekommen. Es war ein
Stück des französischen Staates, nicht selbst Staat. Um es zum Staate zu
machen, hätte ihm erst eine besondere Staatsgewalt, im monarchischen oder
republikanischen Sinne, gegeben werden müssen. Das ist bis heute nicht ge¬
schehen, aber es ist das Ziel der vartikularistischen Bestrebungen im Lande und
gilt als Forderung der Billigkeit auch in manchen deutschgesinnten Kreisen, die
an der Ungleichheit der Rechtslage des Reichslandes gegenüber den deutsche«
Einzelstaaten Anstoß nehmen.

Gegen dieses Verlangen läßt sich geltend machen und ist geltend gemacht
worden, daß auch andere deutsche Stämme, Rheinländer, Schlester, Franken u. s- w-,
nicht im Besitze einer eigenen Staatsgewalt sind. Den Schleswig.Holsteinern
hat die Befreiung von der Fremdherrschaft nicht ein eigenes Staatswesen ge¬
bracht. Weshalb soll es bei Elsaß-Lothringen so sein? Mag dieser Einwand
durchschlagen oder nicht, er eröffnet den Ausblick auf einen anderen Weg zur
Beseitigung der bloßen Neichsunterworfenheit: Eingliederung Elsaß-Lothringens
in einen angrenzenden Einzelstaat, den größten, Preußen, oder geteilt in mehrere,
Preußen, Bayern, vielleicht noch Baden.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <pb facs="#f0376" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/332655"/>
        <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341905_332278/figures/grenzboten_341905_332278_332655_000.jpg"/><lb/>
        <div n="1">
          <head> Reichsgewalt und Landesverfassung im Reichslande<lb/>
Rechtliche Betrachtungen zur «Llsaß-Lothringischen Frage<lb/><note type="byline"> von Professor Dr. Friedrich Detker</note></head><lb/>
          <p xml:id="ID_1171"> Deutsches Land kann dem Deutschen Reiche in zwei Formen an¬<lb/>
gehören. Es besteht entweder volle Reichsunterworfenheit oder<lb/>
mit Beherrschtsein vom Reiche verbindet sich Mitherrschaft an ihm-<lb/>
Jenes Verhältnis macht das Gebiet zum &#x201E;Reichslande"; Be¬<lb/>
ziehung zur Reichsgewalt in beiden Richtungen, in der Rolle des<lb/>
Mitausübenden und des Mitunterworfenen, ergibt das Wesen des Einzelstaates,<lb/>
Gliedstaates, Bundesstaates im Reiche. Herrscher des Reiches ist trotz bedeut¬<lb/>
samer von der Reichsverfassung ihm erteilten Rechte nicht der deutsche Kaiser,<lb/>
sondern die Gesamtheit der verbündeten Regierungen. Für die deutschen Einzel¬<lb/>
staaten sind große Gebiete des staatlichen Lebens von der Zuständigkeit und<lb/>
folglich der Herrschaft des Reiches frei geblieben,- anderenfalls gäbe es nicht<lb/>
Staaten im Reiche, sondern das Deutsche Reich wäre der Deutsche Staat.<lb/>
Reichsland hingegen steht in aller und jeder Beziehung unter der Reichsgewalt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1172"> Elsaß-Lothringen ist als Reichsland zum Reiche gekommen. Es war ein<lb/>
Stück des französischen Staates, nicht selbst Staat. Um es zum Staate zu<lb/>
machen, hätte ihm erst eine besondere Staatsgewalt, im monarchischen oder<lb/>
republikanischen Sinne, gegeben werden müssen. Das ist bis heute nicht ge¬<lb/>
schehen, aber es ist das Ziel der vartikularistischen Bestrebungen im Lande und<lb/>
gilt als Forderung der Billigkeit auch in manchen deutschgesinnten Kreisen, die<lb/>
an der Ungleichheit der Rechtslage des Reichslandes gegenüber den deutsche«<lb/>
Einzelstaaten Anstoß nehmen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1173"> Gegen dieses Verlangen läßt sich geltend machen und ist geltend gemacht<lb/>
worden, daß auch andere deutsche Stämme, Rheinländer, Schlester, Franken u. s- w-,<lb/>
nicht im Besitze einer eigenen Staatsgewalt sind. Den Schleswig.Holsteinern<lb/>
hat die Befreiung von der Fremdherrschaft nicht ein eigenes Staatswesen ge¬<lb/>
bracht. Weshalb soll es bei Elsaß-Lothringen so sein? Mag dieser Einwand<lb/>
durchschlagen oder nicht, er eröffnet den Ausblick auf einen anderen Weg zur<lb/>
Beseitigung der bloßen Neichsunterworfenheit: Eingliederung Elsaß-Lothringens<lb/>
in einen angrenzenden Einzelstaat, den größten, Preußen, oder geteilt in mehrere,<lb/>
Preußen, Bayern, vielleicht noch Baden.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0376] [Abbildung] Reichsgewalt und Landesverfassung im Reichslande Rechtliche Betrachtungen zur «Llsaß-Lothringischen Frage von Professor Dr. Friedrich Detker Deutsches Land kann dem Deutschen Reiche in zwei Formen an¬ gehören. Es besteht entweder volle Reichsunterworfenheit oder mit Beherrschtsein vom Reiche verbindet sich Mitherrschaft an ihm- Jenes Verhältnis macht das Gebiet zum „Reichslande"; Be¬ ziehung zur Reichsgewalt in beiden Richtungen, in der Rolle des Mitausübenden und des Mitunterworfenen, ergibt das Wesen des Einzelstaates, Gliedstaates, Bundesstaates im Reiche. Herrscher des Reiches ist trotz bedeut¬ samer von der Reichsverfassung ihm erteilten Rechte nicht der deutsche Kaiser, sondern die Gesamtheit der verbündeten Regierungen. Für die deutschen Einzel¬ staaten sind große Gebiete des staatlichen Lebens von der Zuständigkeit und folglich der Herrschaft des Reiches frei geblieben,- anderenfalls gäbe es nicht Staaten im Reiche, sondern das Deutsche Reich wäre der Deutsche Staat. Reichsland hingegen steht in aller und jeder Beziehung unter der Reichsgewalt. Elsaß-Lothringen ist als Reichsland zum Reiche gekommen. Es war ein Stück des französischen Staates, nicht selbst Staat. Um es zum Staate zu machen, hätte ihm erst eine besondere Staatsgewalt, im monarchischen oder republikanischen Sinne, gegeben werden müssen. Das ist bis heute nicht ge¬ schehen, aber es ist das Ziel der vartikularistischen Bestrebungen im Lande und gilt als Forderung der Billigkeit auch in manchen deutschgesinnten Kreisen, die an der Ungleichheit der Rechtslage des Reichslandes gegenüber den deutsche« Einzelstaaten Anstoß nehmen. Gegen dieses Verlangen läßt sich geltend machen und ist geltend gemacht worden, daß auch andere deutsche Stämme, Rheinländer, Schlester, Franken u. s- w-, nicht im Besitze einer eigenen Staatsgewalt sind. Den Schleswig.Holsteinern hat die Befreiung von der Fremdherrschaft nicht ein eigenes Staatswesen ge¬ bracht. Weshalb soll es bei Elsaß-Lothringen so sein? Mag dieser Einwand durchschlagen oder nicht, er eröffnet den Ausblick auf einen anderen Weg zur Beseitigung der bloßen Neichsunterworfenheit: Eingliederung Elsaß-Lothringens in einen angrenzenden Einzelstaat, den größten, Preußen, oder geteilt in mehrere, Preußen, Bayern, vielleicht noch Baden.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/376
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/376>, abgerufen am 04.05.2024.