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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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des Kaisers, aber er hat auch sie nur in Ausübung der Staatsgewalt des
Reiches, nicht kraft eigenen Herrscherrechtes.

Die Reichsgewalt, mit der die Staatsgewalt über Elsaß-Lothringen sich
verbindet, ist gemeinsames, ungeteiltes Recht der verbündeten Regierungen.
Sie sind zusammen -- juristisch gesprochen nicht als Gemeinschaft nach Bruch,
teilen, sondern als Gemeinschaft zur gesamten Hand -- der Herrscher des Reiches.
Die Ausübung des Rechtes wird durch Mehrheitsbeschlüsse bestimmt (nach näherer
Vorschrift der Reichsverfassung).


II.

Die zweite Periode der staatsrechtlichen Entwicklung Elsaß-Lothringens
wird durch das Inkrafttreten der Reichsverfassung eingeleitet: nach Reichsgesetz
vom 25. Juni 1873 mit Wirkung vom 1. Januar 1874 an. Dieses Gesetz
enthält insofern eine Änderung der Reichsverfassung, als nach Z 2 Elsaß.
Lothringen dem Bundesgebiet -- Art. 1 Reichsverfassung - hinzutritt und
Zwar als Reichsland, während das Vereinigungsgesetz diese Art der Zugehörigkeit
nicht formell ausgesprochen hatte, wenn auch materiell die Angliederung genau
ebenso von ihm verstanden war. Der Reichstag wurde durch fünfzehn Ab¬
geordnete aus Elsaß-Lothringen verstärkt, das Wahlgesetz für den Reichstag
vom 31. Mai 1869 dort eingeführt.

Das Reich besteht nunmehr aus Staaten und einem Reichsland, das
betreffs der Wahlen zum Reichstag wie ein Staat behandelt wird. Aber
Elsaß.Lothringen ist nicht zu einem Staate geworden. Vielmehr steht dre
Staatsgewalt nach wie vor den verbündeten Regierungen zu. der Kaiser ist ihr
Organ. Der Weg der Gesetzgebung aber hat sich mit der Einführung der
Reichsverfassung völlig geändert. Die Gesetze werden nicht mehr vom Kaiser
wie Zustimmung des Bundesrates erlassen; es bedarf übereinstimmender
Mehrheitsbeschlüsse des Bundesrates und Reichstages, der Kaiser hat nur noch
die Ausfertigung und Verkündung. die Sanktion der Gesetze ist auf den
Bundesrat übergegangen. Es gibt in dieser Periode für Elsaß-Lothringen
nur Reichsgesetze, nicht Landesgesetze, auch nicht in solchen Angelegenheiten, die
nur Landesinteressen betreffen, im Verhältnis Preußens. Bayerns usw. zum
Reiche der Landesgesetzgebung zufallen, nicht zur verfassungsmäßigen Zu.
Ständigkeit des Reiches gehören.

Von der veränderten Art der Gesetzgebung abgesehen, in der das Recht
der verbündeten Regierungen M bedeutsamem Ausdrucke kam. verblieb dem
Kaiser die Ausübung der Staatsgewalt, so wie das Vereinigungsgesetz sie ihm
Zugewiesen hatte In dieser Zuständigkeit des Kaisers fand der Kaiserliche Erlaß
vom 29. Oktober 1874 seinen Rechtsgrund, wonach der Reichskanzler ermächtigt
wurde. Gesetzentwürfe über solche Angelegenheiten, die nicht nach der Reichs-
Verfassung der Reichsgesetzgebung vorbehalten sind, einem Landesausschusft zur
gutachtlichen Beratung vorlegen zu lassen, ehe sie an die Faktoren der Gesetz¬
gebung gingen Hätten die verbündeten Regierungen die Staatsgewalt auch
der Ausübung nach gehabt, so wäre der Kaiser zu dieser Anordnung nicht in


des Kaisers, aber er hat auch sie nur in Ausübung der Staatsgewalt des
Reiches, nicht kraft eigenen Herrscherrechtes.

Die Reichsgewalt, mit der die Staatsgewalt über Elsaß-Lothringen sich
verbindet, ist gemeinsames, ungeteiltes Recht der verbündeten Regierungen.
Sie sind zusammen — juristisch gesprochen nicht als Gemeinschaft nach Bruch,
teilen, sondern als Gemeinschaft zur gesamten Hand — der Herrscher des Reiches.
Die Ausübung des Rechtes wird durch Mehrheitsbeschlüsse bestimmt (nach näherer
Vorschrift der Reichsverfassung).


II.

Die zweite Periode der staatsrechtlichen Entwicklung Elsaß-Lothringens
wird durch das Inkrafttreten der Reichsverfassung eingeleitet: nach Reichsgesetz
vom 25. Juni 1873 mit Wirkung vom 1. Januar 1874 an. Dieses Gesetz
enthält insofern eine Änderung der Reichsverfassung, als nach Z 2 Elsaß.
Lothringen dem Bundesgebiet — Art. 1 Reichsverfassung - hinzutritt und
Zwar als Reichsland, während das Vereinigungsgesetz diese Art der Zugehörigkeit
nicht formell ausgesprochen hatte, wenn auch materiell die Angliederung genau
ebenso von ihm verstanden war. Der Reichstag wurde durch fünfzehn Ab¬
geordnete aus Elsaß-Lothringen verstärkt, das Wahlgesetz für den Reichstag
vom 31. Mai 1869 dort eingeführt.

Das Reich besteht nunmehr aus Staaten und einem Reichsland, das
betreffs der Wahlen zum Reichstag wie ein Staat behandelt wird. Aber
Elsaß.Lothringen ist nicht zu einem Staate geworden. Vielmehr steht dre
Staatsgewalt nach wie vor den verbündeten Regierungen zu. der Kaiser ist ihr
Organ. Der Weg der Gesetzgebung aber hat sich mit der Einführung der
Reichsverfassung völlig geändert. Die Gesetze werden nicht mehr vom Kaiser
wie Zustimmung des Bundesrates erlassen; es bedarf übereinstimmender
Mehrheitsbeschlüsse des Bundesrates und Reichstages, der Kaiser hat nur noch
die Ausfertigung und Verkündung. die Sanktion der Gesetze ist auf den
Bundesrat übergegangen. Es gibt in dieser Periode für Elsaß-Lothringen
nur Reichsgesetze, nicht Landesgesetze, auch nicht in solchen Angelegenheiten, die
nur Landesinteressen betreffen, im Verhältnis Preußens. Bayerns usw. zum
Reiche der Landesgesetzgebung zufallen, nicht zur verfassungsmäßigen Zu.
Ständigkeit des Reiches gehören.

Von der veränderten Art der Gesetzgebung abgesehen, in der das Recht
der verbündeten Regierungen M bedeutsamem Ausdrucke kam. verblieb dem
Kaiser die Ausübung der Staatsgewalt, so wie das Vereinigungsgesetz sie ihm
Zugewiesen hatte In dieser Zuständigkeit des Kaisers fand der Kaiserliche Erlaß
vom 29. Oktober 1874 seinen Rechtsgrund, wonach der Reichskanzler ermächtigt
wurde. Gesetzentwürfe über solche Angelegenheiten, die nicht nach der Reichs-
Verfassung der Reichsgesetzgebung vorbehalten sind, einem Landesausschusft zur
gutachtlichen Beratung vorlegen zu lassen, ehe sie an die Faktoren der Gesetz¬
gebung gingen Hätten die verbündeten Regierungen die Staatsgewalt auch
der Ausübung nach gehabt, so wäre der Kaiser zu dieser Anordnung nicht in


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[0379] des Kaisers, aber er hat auch sie nur in Ausübung der Staatsgewalt des Reiches, nicht kraft eigenen Herrscherrechtes. Die Reichsgewalt, mit der die Staatsgewalt über Elsaß-Lothringen sich verbindet, ist gemeinsames, ungeteiltes Recht der verbündeten Regierungen. Sie sind zusammen — juristisch gesprochen nicht als Gemeinschaft nach Bruch, teilen, sondern als Gemeinschaft zur gesamten Hand — der Herrscher des Reiches. Die Ausübung des Rechtes wird durch Mehrheitsbeschlüsse bestimmt (nach näherer Vorschrift der Reichsverfassung). II. Die zweite Periode der staatsrechtlichen Entwicklung Elsaß-Lothringens wird durch das Inkrafttreten der Reichsverfassung eingeleitet: nach Reichsgesetz vom 25. Juni 1873 mit Wirkung vom 1. Januar 1874 an. Dieses Gesetz enthält insofern eine Änderung der Reichsverfassung, als nach Z 2 Elsaß. Lothringen dem Bundesgebiet — Art. 1 Reichsverfassung - hinzutritt und Zwar als Reichsland, während das Vereinigungsgesetz diese Art der Zugehörigkeit nicht formell ausgesprochen hatte, wenn auch materiell die Angliederung genau ebenso von ihm verstanden war. Der Reichstag wurde durch fünfzehn Ab¬ geordnete aus Elsaß-Lothringen verstärkt, das Wahlgesetz für den Reichstag vom 31. Mai 1869 dort eingeführt. Das Reich besteht nunmehr aus Staaten und einem Reichsland, das betreffs der Wahlen zum Reichstag wie ein Staat behandelt wird. Aber Elsaß.Lothringen ist nicht zu einem Staate geworden. Vielmehr steht dre Staatsgewalt nach wie vor den verbündeten Regierungen zu. der Kaiser ist ihr Organ. Der Weg der Gesetzgebung aber hat sich mit der Einführung der Reichsverfassung völlig geändert. Die Gesetze werden nicht mehr vom Kaiser wie Zustimmung des Bundesrates erlassen; es bedarf übereinstimmender Mehrheitsbeschlüsse des Bundesrates und Reichstages, der Kaiser hat nur noch die Ausfertigung und Verkündung. die Sanktion der Gesetze ist auf den Bundesrat übergegangen. Es gibt in dieser Periode für Elsaß-Lothringen nur Reichsgesetze, nicht Landesgesetze, auch nicht in solchen Angelegenheiten, die nur Landesinteressen betreffen, im Verhältnis Preußens. Bayerns usw. zum Reiche der Landesgesetzgebung zufallen, nicht zur verfassungsmäßigen Zu. Ständigkeit des Reiches gehören. Von der veränderten Art der Gesetzgebung abgesehen, in der das Recht der verbündeten Regierungen M bedeutsamem Ausdrucke kam. verblieb dem Kaiser die Ausübung der Staatsgewalt, so wie das Vereinigungsgesetz sie ihm Zugewiesen hatte In dieser Zuständigkeit des Kaisers fand der Kaiserliche Erlaß vom 29. Oktober 1874 seinen Rechtsgrund, wonach der Reichskanzler ermächtigt wurde. Gesetzentwürfe über solche Angelegenheiten, die nicht nach der Reichs- Verfassung der Reichsgesetzgebung vorbehalten sind, einem Landesausschusft zur gutachtlichen Beratung vorlegen zu lassen, ehe sie an die Faktoren der Gesetz¬ gebung gingen Hätten die verbündeten Regierungen die Staatsgewalt auch der Ausübung nach gehabt, so wäre der Kaiser zu dieser Anordnung nicht in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/379>, abgerufen am 04.05.2024.