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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Reichsgewalt und Landesverfassung im Reichslande

der Lage gewesen. Der Erlaß begründete nicht ein Recht des Landesaus¬
schusses auf Anhörung, erteilte nur dem Reichskanzler die Vollmacht dazu.

Verantwortlicher Reichsminister für Elsaß-Lothringen ist nach wie vor der
Reichskanzler.


III.

In der Zuziehung des Landesausschusses nach Ermessen, mit be¬
ratender Stimme lag der vorbereitende Schritt für eine elsaß-lothringische
Landesgesetzgebung. Geschaffen wurde diese durch das Reichsgesetz vom 2. Mai
1377 § 1. Gesetze in Landesangelegenheiten, "Landesgesetze", werden jetzt an
die Zustimmung des Landesausschusses geknüpft und, wenn sie diese erlangt
haben, mit Zustimmung des Bundesrates vom Kaiser erlassen. Der Reichstag
ist bei diesem Gesetzgebungshergang aus der Landesgesetzgebung ausgeschaltet,
durch ein Landesorgan ersetzt, dem Bundesrate die Sanktion der Landesgesetze
genommen und auf den Kaiser übertragen. Aber nicht in der Rolle eines
Landesherrn über Elsaß-Lothringen, vielmehr in Ausübung der Reichsgewalt,
als Organ der verbündeten Regierungen sanktioniert der Kaiser.

Während bis dahin allein die Reichsgewalt Raum gehabt hatte, war ihr
nun durch eigene Entschließung in einer autonomen Berechtigung des Landes
eine Schranke gesetzt.

Aber nur autonome Teilberechtigung, nicht Vollberechtigung besteht. Die
Reichsgewalt -- Kaiser und Bundesrat -- und ein autonomes Landesorgan
-- der Landesausschuß -- schaffen zusammen das Landesgesetz. Die übliche
und im Verhältnisse der Bundesstaaten zum Reiche auch durchaus zutreffende
Entgegensetzung von Einzelstaatsgesetz und Reichsgesetz versagt gegenüber den
Landesgesetzen Elsaß-Lothringens. Ein Nichtstaat -- das Reichsland -- kann
nicht Staatsgesetze haben und an den Gesetzen der Einzelstaaten im Reiche ist
nicht, wie an den elsaß-lothringischen Gesetzen, die Reichsgewalt beteiligt.
Ebensowenig liegen Reichsgesetze vor im Sinne der Reichsverfassung, denn nicht
das Reich für sich allein ist der Gesetzgeber und es wirken nicht Bundesrat
und Reichstag zusammen, vielmehr wird das rechtliche Wesen dieser Landes¬
gesetze eben durch die Mitarbeit von Reich und autonomer Körperschaft bei
ihrer Entstehung bestimmt. Die staatsrechtliche Literatur hat diese eigenartigen
Bildungen bisher nicht ausreichend erfaßt. Man übersieht regelmäßig, daß die
Reichslandgesetze weder lediglich Reichsrecht, noch lediglich Landesrecht, sondern
ungetrennt das eine wie das andere sind. Ähnlich die Gesetze der österreichischen
"Länder", der Erzherzogtümer, Böhmens, Tirols usw. Der österreichische
Kaiser erläßt sie mit Zustimmung des Einzellandtages, sie sind nicht Reichs¬
gesetze, nicht lediglich autonome Satzungen des Landes, nicht Gesetze des Kaisers
im Namen des böhmischen, steirischen usw. "Staates", denn solche Staaten
gibt es nicht. Unbeschadet wesentlicher Verschiedenheiten, wie sie im Verhältnis
von Reich und Land in Österreich und des Deutschen Reiches zum Reichslande
Elsaß-Lothringen bestehen, sind die einen wie die anderen "Landesgesetze" als
"Reichs-Land-Gesetze" zusammenzufassen. Wie die deutsche, so ist auch die öfter-


Reichsgewalt und Landesverfassung im Reichslande

der Lage gewesen. Der Erlaß begründete nicht ein Recht des Landesaus¬
schusses auf Anhörung, erteilte nur dem Reichskanzler die Vollmacht dazu.

Verantwortlicher Reichsminister für Elsaß-Lothringen ist nach wie vor der
Reichskanzler.


III.

In der Zuziehung des Landesausschusses nach Ermessen, mit be¬
ratender Stimme lag der vorbereitende Schritt für eine elsaß-lothringische
Landesgesetzgebung. Geschaffen wurde diese durch das Reichsgesetz vom 2. Mai
1377 § 1. Gesetze in Landesangelegenheiten, „Landesgesetze", werden jetzt an
die Zustimmung des Landesausschusses geknüpft und, wenn sie diese erlangt
haben, mit Zustimmung des Bundesrates vom Kaiser erlassen. Der Reichstag
ist bei diesem Gesetzgebungshergang aus der Landesgesetzgebung ausgeschaltet,
durch ein Landesorgan ersetzt, dem Bundesrate die Sanktion der Landesgesetze
genommen und auf den Kaiser übertragen. Aber nicht in der Rolle eines
Landesherrn über Elsaß-Lothringen, vielmehr in Ausübung der Reichsgewalt,
als Organ der verbündeten Regierungen sanktioniert der Kaiser.

Während bis dahin allein die Reichsgewalt Raum gehabt hatte, war ihr
nun durch eigene Entschließung in einer autonomen Berechtigung des Landes
eine Schranke gesetzt.

Aber nur autonome Teilberechtigung, nicht Vollberechtigung besteht. Die
Reichsgewalt — Kaiser und Bundesrat — und ein autonomes Landesorgan
— der Landesausschuß — schaffen zusammen das Landesgesetz. Die übliche
und im Verhältnisse der Bundesstaaten zum Reiche auch durchaus zutreffende
Entgegensetzung von Einzelstaatsgesetz und Reichsgesetz versagt gegenüber den
Landesgesetzen Elsaß-Lothringens. Ein Nichtstaat — das Reichsland — kann
nicht Staatsgesetze haben und an den Gesetzen der Einzelstaaten im Reiche ist
nicht, wie an den elsaß-lothringischen Gesetzen, die Reichsgewalt beteiligt.
Ebensowenig liegen Reichsgesetze vor im Sinne der Reichsverfassung, denn nicht
das Reich für sich allein ist der Gesetzgeber und es wirken nicht Bundesrat
und Reichstag zusammen, vielmehr wird das rechtliche Wesen dieser Landes¬
gesetze eben durch die Mitarbeit von Reich und autonomer Körperschaft bei
ihrer Entstehung bestimmt. Die staatsrechtliche Literatur hat diese eigenartigen
Bildungen bisher nicht ausreichend erfaßt. Man übersieht regelmäßig, daß die
Reichslandgesetze weder lediglich Reichsrecht, noch lediglich Landesrecht, sondern
ungetrennt das eine wie das andere sind. Ähnlich die Gesetze der österreichischen
„Länder", der Erzherzogtümer, Böhmens, Tirols usw. Der österreichische
Kaiser erläßt sie mit Zustimmung des Einzellandtages, sie sind nicht Reichs¬
gesetze, nicht lediglich autonome Satzungen des Landes, nicht Gesetze des Kaisers
im Namen des böhmischen, steirischen usw. „Staates", denn solche Staaten
gibt es nicht. Unbeschadet wesentlicher Verschiedenheiten, wie sie im Verhältnis
von Reich und Land in Österreich und des Deutschen Reiches zum Reichslande
Elsaß-Lothringen bestehen, sind die einen wie die anderen „Landesgesetze" als
„Reichs-Land-Gesetze" zusammenzufassen. Wie die deutsche, so ist auch die öfter-


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[0380] Reichsgewalt und Landesverfassung im Reichslande der Lage gewesen. Der Erlaß begründete nicht ein Recht des Landesaus¬ schusses auf Anhörung, erteilte nur dem Reichskanzler die Vollmacht dazu. Verantwortlicher Reichsminister für Elsaß-Lothringen ist nach wie vor der Reichskanzler. III. In der Zuziehung des Landesausschusses nach Ermessen, mit be¬ ratender Stimme lag der vorbereitende Schritt für eine elsaß-lothringische Landesgesetzgebung. Geschaffen wurde diese durch das Reichsgesetz vom 2. Mai 1377 § 1. Gesetze in Landesangelegenheiten, „Landesgesetze", werden jetzt an die Zustimmung des Landesausschusses geknüpft und, wenn sie diese erlangt haben, mit Zustimmung des Bundesrates vom Kaiser erlassen. Der Reichstag ist bei diesem Gesetzgebungshergang aus der Landesgesetzgebung ausgeschaltet, durch ein Landesorgan ersetzt, dem Bundesrate die Sanktion der Landesgesetze genommen und auf den Kaiser übertragen. Aber nicht in der Rolle eines Landesherrn über Elsaß-Lothringen, vielmehr in Ausübung der Reichsgewalt, als Organ der verbündeten Regierungen sanktioniert der Kaiser. Während bis dahin allein die Reichsgewalt Raum gehabt hatte, war ihr nun durch eigene Entschließung in einer autonomen Berechtigung des Landes eine Schranke gesetzt. Aber nur autonome Teilberechtigung, nicht Vollberechtigung besteht. Die Reichsgewalt — Kaiser und Bundesrat — und ein autonomes Landesorgan — der Landesausschuß — schaffen zusammen das Landesgesetz. Die übliche und im Verhältnisse der Bundesstaaten zum Reiche auch durchaus zutreffende Entgegensetzung von Einzelstaatsgesetz und Reichsgesetz versagt gegenüber den Landesgesetzen Elsaß-Lothringens. Ein Nichtstaat — das Reichsland — kann nicht Staatsgesetze haben und an den Gesetzen der Einzelstaaten im Reiche ist nicht, wie an den elsaß-lothringischen Gesetzen, die Reichsgewalt beteiligt. Ebensowenig liegen Reichsgesetze vor im Sinne der Reichsverfassung, denn nicht das Reich für sich allein ist der Gesetzgeber und es wirken nicht Bundesrat und Reichstag zusammen, vielmehr wird das rechtliche Wesen dieser Landes¬ gesetze eben durch die Mitarbeit von Reich und autonomer Körperschaft bei ihrer Entstehung bestimmt. Die staatsrechtliche Literatur hat diese eigenartigen Bildungen bisher nicht ausreichend erfaßt. Man übersieht regelmäßig, daß die Reichslandgesetze weder lediglich Reichsrecht, noch lediglich Landesrecht, sondern ungetrennt das eine wie das andere sind. Ähnlich die Gesetze der österreichischen „Länder", der Erzherzogtümer, Böhmens, Tirols usw. Der österreichische Kaiser erläßt sie mit Zustimmung des Einzellandtages, sie sind nicht Reichs¬ gesetze, nicht lediglich autonome Satzungen des Landes, nicht Gesetze des Kaisers im Namen des böhmischen, steirischen usw. „Staates", denn solche Staaten gibt es nicht. Unbeschadet wesentlicher Verschiedenheiten, wie sie im Verhältnis von Reich und Land in Österreich und des Deutschen Reiches zum Reichslande Elsaß-Lothringen bestehen, sind die einen wie die anderen „Landesgesetze" als „Reichs-Land-Gesetze" zusammenzufassen. Wie die deutsche, so ist auch die öfter-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/380>, abgerufen am 04.05.2024.