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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Reichsgewalt und Landesverfassung im Reichslande

Nach Ausscheidung des autonomen Verbandes aber blieb als mögliches
Subjekt eines Stimmrechtes nur die Reichsgewalt übrig. Denn außer ihr gibt
es nicht einen Träger staatlicher Gewalt im Reichslande.

So mußte denn die Gewährung von Stimmrecht, zu der man einmal
entschlossen war. durch den schweren logischen und politischen Verstoß erkauft
werden, daß im Bundesrate das Reich dem Reich entgegengesetzt wurde. Offen
aber ist der Fehler nicht gemacht worden. Das Recht der Ernennung und
Jnstruierung der Bundesratsbevollmächtigten wurde dem Statthalter überwiesen
und man gab sich nun der Selbsttäuschung hin, die Klippe vermieden zu haben.
Aber es ist trotz der Zuweisung in der Landesverfassung nicht eine selb¬
ständige Berechtigung, die so der Statthalter hat, vielmehr übt er die Befugnis
in vollster Abhängigkeit von seinem kaiserlichen Herrn, der ihn ernannt hat
und jederzeit abberufen kann. Der wahre Inhaber des Rechtes ist der Kaiser,
nur hat es insofern höchstunpersönlichen Charakter, als es nur durch Ver¬
mittlung des Statthalters wirksam wird. Wie die Könige von Preußen, Bayern
usw. und nicht ihre leitenden Minister im Bundesrate vertreten sind, so kann
dieses Herrscherrecht auch für Elsaß-Lothringen nur auf den Träger der Herr¬
schaft, nicht auf seinen Statthalter bezogen werden. Die gegenteilige Ansicht
schließt die ganze abwegige Vorstellung ein, daß dem Landesherrn über Elsaß-
Lothringen, also dem Reiche, repräsentiert durch den Kaiser, ein Stück Herrscher¬
macht genommen und der vom Kaiser ernannte Statthalter selbst Herrscher zu
einem Teile geworden wäre. Wie könnte der Statthalter berechtigt sein, dem
Reichslande eine Einwirkung auf die Reichsangelegenheiten zu schaffen im
Widerspruch mit den Wünschen und Anweisungen der landesherrlichen Gewalt,
also Politik auf eigene Faust zu treiben? Vielmehr ist die Rechtslage einfach
die: für die Legitimation der Bevollmächtigten entscheidet lediglich die Ernennung
durch den Statthalter, sür ihre Abstimmungen lediglich die von ihm erteilte
Weisung, aber er ernennt und instruiert als Organ des Kaisers, nach dessen
Willen und ist dafür diesem, seinem Machtgeber, verantwortlich.

Das vermeintliche Auskunftsmittel, die Einschiebung des Statthalters, hilft
nicht über die Tatsache hinaus, daß durch die Stimmrechtsgewährung an
Elsaß-Lothringen das Reich in vollkommenem Widerspruch so behandelt worden
ist. als ob es sein eigenes Mitglied sei.


VII.

Aus der neuen elsaß-lothringischen Verfassung, aus den weitgehenden
Rechten, die sie dem Lande gewährt hat, ist öfters gefolgert worden, daß Elsaß-
Lothringen nunmehr aus bloßem Reichslande zu einem Gliedstaat des Reiches,
wie Baden, Württemberg usw., geworden sei. Diese Gleichstellung beruht
jedoch auf voller Verkennung des Staatsbegriffes. Staat und Staatsregiment
können nicht getrennt gedacht werden. Ohne eigene Herrschermacht, insbesondere
ohne eigene Gesetzgebungsgewalt, gibt es keinen Staat. Wohl ist möglich,
daß der Staat einem höheren Ganzen --der deutsche Einzelstaat dem Bundes¬
staate "Deutsches Reich" -- auf bestimmten, vielleicht vielen und wichtigsten


Reichsgewalt und Landesverfassung im Reichslande

Nach Ausscheidung des autonomen Verbandes aber blieb als mögliches
Subjekt eines Stimmrechtes nur die Reichsgewalt übrig. Denn außer ihr gibt
es nicht einen Träger staatlicher Gewalt im Reichslande.

So mußte denn die Gewährung von Stimmrecht, zu der man einmal
entschlossen war. durch den schweren logischen und politischen Verstoß erkauft
werden, daß im Bundesrate das Reich dem Reich entgegengesetzt wurde. Offen
aber ist der Fehler nicht gemacht worden. Das Recht der Ernennung und
Jnstruierung der Bundesratsbevollmächtigten wurde dem Statthalter überwiesen
und man gab sich nun der Selbsttäuschung hin, die Klippe vermieden zu haben.
Aber es ist trotz der Zuweisung in der Landesverfassung nicht eine selb¬
ständige Berechtigung, die so der Statthalter hat, vielmehr übt er die Befugnis
in vollster Abhängigkeit von seinem kaiserlichen Herrn, der ihn ernannt hat
und jederzeit abberufen kann. Der wahre Inhaber des Rechtes ist der Kaiser,
nur hat es insofern höchstunpersönlichen Charakter, als es nur durch Ver¬
mittlung des Statthalters wirksam wird. Wie die Könige von Preußen, Bayern
usw. und nicht ihre leitenden Minister im Bundesrate vertreten sind, so kann
dieses Herrscherrecht auch für Elsaß-Lothringen nur auf den Träger der Herr¬
schaft, nicht auf seinen Statthalter bezogen werden. Die gegenteilige Ansicht
schließt die ganze abwegige Vorstellung ein, daß dem Landesherrn über Elsaß-
Lothringen, also dem Reiche, repräsentiert durch den Kaiser, ein Stück Herrscher¬
macht genommen und der vom Kaiser ernannte Statthalter selbst Herrscher zu
einem Teile geworden wäre. Wie könnte der Statthalter berechtigt sein, dem
Reichslande eine Einwirkung auf die Reichsangelegenheiten zu schaffen im
Widerspruch mit den Wünschen und Anweisungen der landesherrlichen Gewalt,
also Politik auf eigene Faust zu treiben? Vielmehr ist die Rechtslage einfach
die: für die Legitimation der Bevollmächtigten entscheidet lediglich die Ernennung
durch den Statthalter, sür ihre Abstimmungen lediglich die von ihm erteilte
Weisung, aber er ernennt und instruiert als Organ des Kaisers, nach dessen
Willen und ist dafür diesem, seinem Machtgeber, verantwortlich.

Das vermeintliche Auskunftsmittel, die Einschiebung des Statthalters, hilft
nicht über die Tatsache hinaus, daß durch die Stimmrechtsgewährung an
Elsaß-Lothringen das Reich in vollkommenem Widerspruch so behandelt worden
ist. als ob es sein eigenes Mitglied sei.


VII.

Aus der neuen elsaß-lothringischen Verfassung, aus den weitgehenden
Rechten, die sie dem Lande gewährt hat, ist öfters gefolgert worden, daß Elsaß-
Lothringen nunmehr aus bloßem Reichslande zu einem Gliedstaat des Reiches,
wie Baden, Württemberg usw., geworden sei. Diese Gleichstellung beruht
jedoch auf voller Verkennung des Staatsbegriffes. Staat und Staatsregiment
können nicht getrennt gedacht werden. Ohne eigene Herrschermacht, insbesondere
ohne eigene Gesetzgebungsgewalt, gibt es keinen Staat. Wohl ist möglich,
daß der Staat einem höheren Ganzen —der deutsche Einzelstaat dem Bundes¬
staate „Deutsches Reich" — auf bestimmten, vielleicht vielen und wichtigsten


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[0409] Reichsgewalt und Landesverfassung im Reichslande Nach Ausscheidung des autonomen Verbandes aber blieb als mögliches Subjekt eines Stimmrechtes nur die Reichsgewalt übrig. Denn außer ihr gibt es nicht einen Träger staatlicher Gewalt im Reichslande. So mußte denn die Gewährung von Stimmrecht, zu der man einmal entschlossen war. durch den schweren logischen und politischen Verstoß erkauft werden, daß im Bundesrate das Reich dem Reich entgegengesetzt wurde. Offen aber ist der Fehler nicht gemacht worden. Das Recht der Ernennung und Jnstruierung der Bundesratsbevollmächtigten wurde dem Statthalter überwiesen und man gab sich nun der Selbsttäuschung hin, die Klippe vermieden zu haben. Aber es ist trotz der Zuweisung in der Landesverfassung nicht eine selb¬ ständige Berechtigung, die so der Statthalter hat, vielmehr übt er die Befugnis in vollster Abhängigkeit von seinem kaiserlichen Herrn, der ihn ernannt hat und jederzeit abberufen kann. Der wahre Inhaber des Rechtes ist der Kaiser, nur hat es insofern höchstunpersönlichen Charakter, als es nur durch Ver¬ mittlung des Statthalters wirksam wird. Wie die Könige von Preußen, Bayern usw. und nicht ihre leitenden Minister im Bundesrate vertreten sind, so kann dieses Herrscherrecht auch für Elsaß-Lothringen nur auf den Träger der Herr¬ schaft, nicht auf seinen Statthalter bezogen werden. Die gegenteilige Ansicht schließt die ganze abwegige Vorstellung ein, daß dem Landesherrn über Elsaß- Lothringen, also dem Reiche, repräsentiert durch den Kaiser, ein Stück Herrscher¬ macht genommen und der vom Kaiser ernannte Statthalter selbst Herrscher zu einem Teile geworden wäre. Wie könnte der Statthalter berechtigt sein, dem Reichslande eine Einwirkung auf die Reichsangelegenheiten zu schaffen im Widerspruch mit den Wünschen und Anweisungen der landesherrlichen Gewalt, also Politik auf eigene Faust zu treiben? Vielmehr ist die Rechtslage einfach die: für die Legitimation der Bevollmächtigten entscheidet lediglich die Ernennung durch den Statthalter, sür ihre Abstimmungen lediglich die von ihm erteilte Weisung, aber er ernennt und instruiert als Organ des Kaisers, nach dessen Willen und ist dafür diesem, seinem Machtgeber, verantwortlich. Das vermeintliche Auskunftsmittel, die Einschiebung des Statthalters, hilft nicht über die Tatsache hinaus, daß durch die Stimmrechtsgewährung an Elsaß-Lothringen das Reich in vollkommenem Widerspruch so behandelt worden ist. als ob es sein eigenes Mitglied sei. VII. Aus der neuen elsaß-lothringischen Verfassung, aus den weitgehenden Rechten, die sie dem Lande gewährt hat, ist öfters gefolgert worden, daß Elsaß- Lothringen nunmehr aus bloßem Reichslande zu einem Gliedstaat des Reiches, wie Baden, Württemberg usw., geworden sei. Diese Gleichstellung beruht jedoch auf voller Verkennung des Staatsbegriffes. Staat und Staatsregiment können nicht getrennt gedacht werden. Ohne eigene Herrschermacht, insbesondere ohne eigene Gesetzgebungsgewalt, gibt es keinen Staat. Wohl ist möglich, daß der Staat einem höheren Ganzen —der deutsche Einzelstaat dem Bundes¬ staate „Deutsches Reich" — auf bestimmten, vielleicht vielen und wichtigsten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/409>, abgerufen am 04.05.2024.