Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Neue Bücher

Ausländische Stimmen über Deutschland. Wir Deutschen sind von jeher
allzusehr geneigt, auf das Urteil anderer, als Volk auf das Urteil anderer Völker
zu horchen. Wir bedenken dabei nicht, daß nicht jede Nation wie die deutsche
befähigt ist, das Leben artfremder Menschen nachzuleben, es zu würdigen und ihm
gerecht zu werden. Wir dürfen nach den Erfahrungen des Krieges sagen, daß die
wenigsten auch der neutralen Völker diese Fähigkeit bewiesen haben. In der steten
Frage nach dem Urteil derer, die anders geartet sind, zeigt sich eine Unsicherheit,
die unsere Entschlüsse erschwert, ja sogar unsere Entschlußkraft lahmen kann. In
der Einleitung zu dem Buche "Neutrale Stimmen" (Leipzig 1916. Hirzel)
spricht Rudolf Eucken von hochstehenden Völkern, bei denen wir die Höhe poli¬
tischer und allgemein geistiger Bildung erwarten dürften, welche die weltgeschicht-
Uche Lage aus dem Ganzen sieht und würdigt, nicht sich eigensinnig an einzelne
Eindrücke klammert. Wir möchten fragen: gibt es solche Völker? Sind wir selbst
etwa ein solches Volk? Kriegszeiten sind Zeiten des Massenhandelns, oft der
Massenpsychosehier wird nicht im einzelnen abgewogen, hier herrscht nicht der
Intellekt, sondern der Wille, angefeuert von Gefühlen und nicht von Erwägungen.
Was bedeutet da ein in Euckens Sinne hochstehendes Volk? Sein Wert kann
jetzt nicht in der feinen Überlegung, sondern in der Entschlossenheit gesucht werden,
Mit der es die ihm gemäße Willensrichtung verfolgt. Intellektuell läßt sich wohl
das Volk, die Masse, in jahrhundertelanger Einzelarbeit heben, aber politische
Bildung hat kein Volk als ganzes heute in dem Maße, daß es die unerhörten
neuen Probleme, die dieser Krieg herausführt, mit klarem Urteil und kühlem Kops
entscheiden könnte. Genug, wenn die verantwortlichen Führer diesen Grad von
Selbstdisziplin in den Dienst ihrer Volkssache stellen können, damit die Wollungen
der Masse von verderblichen Bahnen abgelenkt werden. Heute ist dies um so
dringender notwendig, als die Demokratisierung unseres politischen Lebens einen
immer gefährlicheren Druck auf den Willen der Regierenden ausübt und ihr Pflicht¬
gefühl dazu verlocken kann. Deckung hinter der Massenstimmung zu suchen. Die
Masse aber arbeitet mit persönlichen Eindrücken, wird geleitet von den Interessen
des Tages, ist ohne Einblick in die wirkliche Lage, ohne kompetentes Urteil und
neigt dazu, sich von der Stimme der Tagespresse lenken zu lassen. Die Presse
aber ist parteilich, in vielen Ländern käuflich, nicht immer gut unterrichtet. Dazu
kommt z. B. in Amerika die bis in die höchsten Kreise gehende krasse Unwissenheit
über Angelegenheiten und Verhältnisse fremder Völker.

Die in dem oben erwähnten Buche gesammelten Äußerungen geistig hoch¬
stehender Männer Amerikas, Hollands. Norwegens, Schwedens und der Schweiz
sind nicht Stimmen des Volkes und nicht Stimmen der Regierenden, sondern es




Neue Bücher

Ausländische Stimmen über Deutschland. Wir Deutschen sind von jeher
allzusehr geneigt, auf das Urteil anderer, als Volk auf das Urteil anderer Völker
zu horchen. Wir bedenken dabei nicht, daß nicht jede Nation wie die deutsche
befähigt ist, das Leben artfremder Menschen nachzuleben, es zu würdigen und ihm
gerecht zu werden. Wir dürfen nach den Erfahrungen des Krieges sagen, daß die
wenigsten auch der neutralen Völker diese Fähigkeit bewiesen haben. In der steten
Frage nach dem Urteil derer, die anders geartet sind, zeigt sich eine Unsicherheit,
die unsere Entschlüsse erschwert, ja sogar unsere Entschlußkraft lahmen kann. In
der Einleitung zu dem Buche „Neutrale Stimmen" (Leipzig 1916. Hirzel)
spricht Rudolf Eucken von hochstehenden Völkern, bei denen wir die Höhe poli¬
tischer und allgemein geistiger Bildung erwarten dürften, welche die weltgeschicht-
Uche Lage aus dem Ganzen sieht und würdigt, nicht sich eigensinnig an einzelne
Eindrücke klammert. Wir möchten fragen: gibt es solche Völker? Sind wir selbst
etwa ein solches Volk? Kriegszeiten sind Zeiten des Massenhandelns, oft der
Massenpsychosehier wird nicht im einzelnen abgewogen, hier herrscht nicht der
Intellekt, sondern der Wille, angefeuert von Gefühlen und nicht von Erwägungen.
Was bedeutet da ein in Euckens Sinne hochstehendes Volk? Sein Wert kann
jetzt nicht in der feinen Überlegung, sondern in der Entschlossenheit gesucht werden,
Mit der es die ihm gemäße Willensrichtung verfolgt. Intellektuell läßt sich wohl
das Volk, die Masse, in jahrhundertelanger Einzelarbeit heben, aber politische
Bildung hat kein Volk als ganzes heute in dem Maße, daß es die unerhörten
neuen Probleme, die dieser Krieg herausführt, mit klarem Urteil und kühlem Kops
entscheiden könnte. Genug, wenn die verantwortlichen Führer diesen Grad von
Selbstdisziplin in den Dienst ihrer Volkssache stellen können, damit die Wollungen
der Masse von verderblichen Bahnen abgelenkt werden. Heute ist dies um so
dringender notwendig, als die Demokratisierung unseres politischen Lebens einen
immer gefährlicheren Druck auf den Willen der Regierenden ausübt und ihr Pflicht¬
gefühl dazu verlocken kann. Deckung hinter der Massenstimmung zu suchen. Die
Masse aber arbeitet mit persönlichen Eindrücken, wird geleitet von den Interessen
des Tages, ist ohne Einblick in die wirkliche Lage, ohne kompetentes Urteil und
neigt dazu, sich von der Stimme der Tagespresse lenken zu lassen. Die Presse
aber ist parteilich, in vielen Ländern käuflich, nicht immer gut unterrichtet. Dazu
kommt z. B. in Amerika die bis in die höchsten Kreise gehende krasse Unwissenheit
über Angelegenheiten und Verhältnisse fremder Völker.

Die in dem oben erwähnten Buche gesammelten Äußerungen geistig hoch¬
stehender Männer Amerikas, Hollands. Norwegens, Schwedens und der Schweiz
sind nicht Stimmen des Volkes und nicht Stimmen der Regierenden, sondern es


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0075" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/332354"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341905_332278/figures/grenzboten_341905_332278_332354_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Neue Bücher</head><lb/>
          <p xml:id="ID_244"> Ausländische Stimmen über Deutschland. Wir Deutschen sind von jeher<lb/>
allzusehr geneigt, auf das Urteil anderer, als Volk auf das Urteil anderer Völker<lb/>
zu horchen. Wir bedenken dabei nicht, daß nicht jede Nation wie die deutsche<lb/>
befähigt ist, das Leben artfremder Menschen nachzuleben, es zu würdigen und ihm<lb/>
gerecht zu werden. Wir dürfen nach den Erfahrungen des Krieges sagen, daß die<lb/>
wenigsten auch der neutralen Völker diese Fähigkeit bewiesen haben. In der steten<lb/>
Frage nach dem Urteil derer, die anders geartet sind, zeigt sich eine Unsicherheit,<lb/>
die unsere Entschlüsse erschwert, ja sogar unsere Entschlußkraft lahmen kann. In<lb/>
der Einleitung zu dem Buche &#x201E;Neutrale Stimmen" (Leipzig 1916. Hirzel)<lb/>
spricht Rudolf Eucken von hochstehenden Völkern, bei denen wir die Höhe poli¬<lb/>
tischer und allgemein geistiger Bildung erwarten dürften, welche die weltgeschicht-<lb/>
Uche Lage aus dem Ganzen sieht und würdigt, nicht sich eigensinnig an einzelne<lb/>
Eindrücke klammert. Wir möchten fragen: gibt es solche Völker? Sind wir selbst<lb/>
etwa ein solches Volk? Kriegszeiten sind Zeiten des Massenhandelns, oft der<lb/>
Massenpsychosehier wird nicht im einzelnen abgewogen, hier herrscht nicht der<lb/>
Intellekt, sondern der Wille, angefeuert von Gefühlen und nicht von Erwägungen.<lb/>
Was bedeutet da ein in Euckens Sinne hochstehendes Volk? Sein Wert kann<lb/>
jetzt nicht in der feinen Überlegung, sondern in der Entschlossenheit gesucht werden,<lb/>
Mit der es die ihm gemäße Willensrichtung verfolgt. Intellektuell läßt sich wohl<lb/>
das Volk, die Masse, in jahrhundertelanger Einzelarbeit heben, aber politische<lb/>
Bildung hat kein Volk als ganzes heute in dem Maße, daß es die unerhörten<lb/>
neuen Probleme, die dieser Krieg herausführt, mit klarem Urteil und kühlem Kops<lb/>
entscheiden könnte. Genug, wenn die verantwortlichen Führer diesen Grad von<lb/>
Selbstdisziplin in den Dienst ihrer Volkssache stellen können, damit die Wollungen<lb/>
der Masse von verderblichen Bahnen abgelenkt werden. Heute ist dies um so<lb/>
dringender notwendig, als die Demokratisierung unseres politischen Lebens einen<lb/>
immer gefährlicheren Druck auf den Willen der Regierenden ausübt und ihr Pflicht¬<lb/>
gefühl dazu verlocken kann. Deckung hinter der Massenstimmung zu suchen. Die<lb/>
Masse aber arbeitet mit persönlichen Eindrücken, wird geleitet von den Interessen<lb/>
des Tages, ist ohne Einblick in die wirkliche Lage, ohne kompetentes Urteil und<lb/>
neigt dazu, sich von der Stimme der Tagespresse lenken zu lassen. Die Presse<lb/>
aber ist parteilich, in vielen Ländern käuflich, nicht immer gut unterrichtet. Dazu<lb/>
kommt z. B. in Amerika die bis in die höchsten Kreise gehende krasse Unwissenheit<lb/>
über Angelegenheiten und Verhältnisse fremder Völker.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_245" next="#ID_246"> Die in dem oben erwähnten Buche gesammelten Äußerungen geistig hoch¬<lb/>
stehender Männer Amerikas, Hollands. Norwegens, Schwedens und der Schweiz<lb/>
sind nicht Stimmen des Volkes und nicht Stimmen der Regierenden, sondern es</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0075] [Abbildung] Neue Bücher Ausländische Stimmen über Deutschland. Wir Deutschen sind von jeher allzusehr geneigt, auf das Urteil anderer, als Volk auf das Urteil anderer Völker zu horchen. Wir bedenken dabei nicht, daß nicht jede Nation wie die deutsche befähigt ist, das Leben artfremder Menschen nachzuleben, es zu würdigen und ihm gerecht zu werden. Wir dürfen nach den Erfahrungen des Krieges sagen, daß die wenigsten auch der neutralen Völker diese Fähigkeit bewiesen haben. In der steten Frage nach dem Urteil derer, die anders geartet sind, zeigt sich eine Unsicherheit, die unsere Entschlüsse erschwert, ja sogar unsere Entschlußkraft lahmen kann. In der Einleitung zu dem Buche „Neutrale Stimmen" (Leipzig 1916. Hirzel) spricht Rudolf Eucken von hochstehenden Völkern, bei denen wir die Höhe poli¬ tischer und allgemein geistiger Bildung erwarten dürften, welche die weltgeschicht- Uche Lage aus dem Ganzen sieht und würdigt, nicht sich eigensinnig an einzelne Eindrücke klammert. Wir möchten fragen: gibt es solche Völker? Sind wir selbst etwa ein solches Volk? Kriegszeiten sind Zeiten des Massenhandelns, oft der Massenpsychosehier wird nicht im einzelnen abgewogen, hier herrscht nicht der Intellekt, sondern der Wille, angefeuert von Gefühlen und nicht von Erwägungen. Was bedeutet da ein in Euckens Sinne hochstehendes Volk? Sein Wert kann jetzt nicht in der feinen Überlegung, sondern in der Entschlossenheit gesucht werden, Mit der es die ihm gemäße Willensrichtung verfolgt. Intellektuell läßt sich wohl das Volk, die Masse, in jahrhundertelanger Einzelarbeit heben, aber politische Bildung hat kein Volk als ganzes heute in dem Maße, daß es die unerhörten neuen Probleme, die dieser Krieg herausführt, mit klarem Urteil und kühlem Kops entscheiden könnte. Genug, wenn die verantwortlichen Führer diesen Grad von Selbstdisziplin in den Dienst ihrer Volkssache stellen können, damit die Wollungen der Masse von verderblichen Bahnen abgelenkt werden. Heute ist dies um so dringender notwendig, als die Demokratisierung unseres politischen Lebens einen immer gefährlicheren Druck auf den Willen der Regierenden ausübt und ihr Pflicht¬ gefühl dazu verlocken kann. Deckung hinter der Massenstimmung zu suchen. Die Masse aber arbeitet mit persönlichen Eindrücken, wird geleitet von den Interessen des Tages, ist ohne Einblick in die wirkliche Lage, ohne kompetentes Urteil und neigt dazu, sich von der Stimme der Tagespresse lenken zu lassen. Die Presse aber ist parteilich, in vielen Ländern käuflich, nicht immer gut unterrichtet. Dazu kommt z. B. in Amerika die bis in die höchsten Kreise gehende krasse Unwissenheit über Angelegenheiten und Verhältnisse fremder Völker. Die in dem oben erwähnten Buche gesammelten Äußerungen geistig hoch¬ stehender Männer Amerikas, Hollands. Norwegens, Schwedens und der Schweiz sind nicht Stimmen des Volkes und nicht Stimmen der Regierenden, sondern es

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/75
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/75>, abgerufen am 04.05.2024.