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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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An der Schwelle einer neudeutschen Aolonialpolitik
l)r. Uarstedt von

cum ein Historiker späterer Zeiten einmal die deutsche Kriegszielliteratur
kritisch sichten wird, dann wird, fürchte ich, sein Urteil über die
politische Mentalität der Deutschen etwas schroff ausfallen. Es soll
selbstverständlich dabei von den chauvinistischen Forderungen einer-
I seits und dem verknöcherten Verteidigen des statu3 quo ante an-
dererseits abgesehen werden, sondern es sollen nur die "Generalanschauungen" im
Auge behalten werden. Aber schon dabei stellt sich heraus, daß das Bild der auf¬
quellenden, wirbelnden Meinungen ein so chaotisches ist, daß es schwer ist, einen
gemeinsamen Zug in ihm zu entdecken.

Weltpolitisch schieden sich zunächst zwei Richtungen in Deutschland, die wir
kurz als die kontinentale und die koloniale bezeichnen können. Das Charak-
teristikum der ersteren war unter Betonung des Politisch-strategischen kurz gesagt
die Forderung des geschlossenen Zusammenhaltens der heimischen Kräfte. Die
koloniale Richtung dagegen sah in dem Krieg mehr das Aufeinanderplatzen welt¬
wirtschaftlich gewordener Gegensätze, die ihre letzte Lösung nur durch einen Aus¬
gleich auf überseeisch-kolonialen Boden finden könnten. Jene sah in einer deutschen
Kolonialpolitik zunächst nur eine die Heimat schwächende Dezentralisation, diese
ihrerseits behauptete, daß unser gesamtes politisches und wirtschaftliches Dasein
erst seinen Unavhängigkeiisstempel durch die koloniale Ergänzung erführe, mehr
noch, daß eine koloniale Expansion erst dem ins Weltwirtschaftliche gewachsenen
Deutschland die nötigen Fußpunkte zur Sicherung seiner zwischenstaatlichen Be-
Siehungen gäbe. Die kontinentale Ausfassung konnte freilich darauf hinweisen,
daß der Verlust des gesamten deutschen Kolonialreiches im Verlauf des Krieges
die Friedensverhandlungen für Deutschland belaste, wogegen aber die koloniale
Seite ihrerseits wieder mit Recht folgerte, daß das Bild ein wesentlich
anderes gewesen wäre, wenn die zweifellos im Deutschen steckende "kontinentale"
Denkweise es nicht verhindert hätte, daß die überseeischen Machtmittel besser für
die Aufgaben dieses Krieges vorbereitet gewesen wären. Daß diese Behauptung
richtig ist, wird nach den Eindrücken der Verteidigung unserer großen Tropen-


Arenzboten IV 1917 21


An der Schwelle einer neudeutschen Aolonialpolitik
l)r. Uarstedt von

cum ein Historiker späterer Zeiten einmal die deutsche Kriegszielliteratur
kritisch sichten wird, dann wird, fürchte ich, sein Urteil über die
politische Mentalität der Deutschen etwas schroff ausfallen. Es soll
selbstverständlich dabei von den chauvinistischen Forderungen einer-
I seits und dem verknöcherten Verteidigen des statu3 quo ante an-
dererseits abgesehen werden, sondern es sollen nur die „Generalanschauungen" im
Auge behalten werden. Aber schon dabei stellt sich heraus, daß das Bild der auf¬
quellenden, wirbelnden Meinungen ein so chaotisches ist, daß es schwer ist, einen
gemeinsamen Zug in ihm zu entdecken.

Weltpolitisch schieden sich zunächst zwei Richtungen in Deutschland, die wir
kurz als die kontinentale und die koloniale bezeichnen können. Das Charak-
teristikum der ersteren war unter Betonung des Politisch-strategischen kurz gesagt
die Forderung des geschlossenen Zusammenhaltens der heimischen Kräfte. Die
koloniale Richtung dagegen sah in dem Krieg mehr das Aufeinanderplatzen welt¬
wirtschaftlich gewordener Gegensätze, die ihre letzte Lösung nur durch einen Aus¬
gleich auf überseeisch-kolonialen Boden finden könnten. Jene sah in einer deutschen
Kolonialpolitik zunächst nur eine die Heimat schwächende Dezentralisation, diese
ihrerseits behauptete, daß unser gesamtes politisches und wirtschaftliches Dasein
erst seinen Unavhängigkeiisstempel durch die koloniale Ergänzung erführe, mehr
noch, daß eine koloniale Expansion erst dem ins Weltwirtschaftliche gewachsenen
Deutschland die nötigen Fußpunkte zur Sicherung seiner zwischenstaatlichen Be-
Siehungen gäbe. Die kontinentale Ausfassung konnte freilich darauf hinweisen,
daß der Verlust des gesamten deutschen Kolonialreiches im Verlauf des Krieges
die Friedensverhandlungen für Deutschland belaste, wogegen aber die koloniale
Seite ihrerseits wieder mit Recht folgerte, daß das Bild ein wesentlich
anderes gewesen wäre, wenn die zweifellos im Deutschen steckende „kontinentale"
Denkweise es nicht verhindert hätte, daß die überseeischen Machtmittel besser für
die Aufgaben dieses Krieges vorbereitet gewesen wären. Daß diese Behauptung
richtig ist, wird nach den Eindrücken der Verteidigung unserer großen Tropen-


Arenzboten IV 1917 21
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[0293] [Abbildung] An der Schwelle einer neudeutschen Aolonialpolitik l)r. Uarstedt von cum ein Historiker späterer Zeiten einmal die deutsche Kriegszielliteratur kritisch sichten wird, dann wird, fürchte ich, sein Urteil über die politische Mentalität der Deutschen etwas schroff ausfallen. Es soll selbstverständlich dabei von den chauvinistischen Forderungen einer- I seits und dem verknöcherten Verteidigen des statu3 quo ante an- dererseits abgesehen werden, sondern es sollen nur die „Generalanschauungen" im Auge behalten werden. Aber schon dabei stellt sich heraus, daß das Bild der auf¬ quellenden, wirbelnden Meinungen ein so chaotisches ist, daß es schwer ist, einen gemeinsamen Zug in ihm zu entdecken. Weltpolitisch schieden sich zunächst zwei Richtungen in Deutschland, die wir kurz als die kontinentale und die koloniale bezeichnen können. Das Charak- teristikum der ersteren war unter Betonung des Politisch-strategischen kurz gesagt die Forderung des geschlossenen Zusammenhaltens der heimischen Kräfte. Die koloniale Richtung dagegen sah in dem Krieg mehr das Aufeinanderplatzen welt¬ wirtschaftlich gewordener Gegensätze, die ihre letzte Lösung nur durch einen Aus¬ gleich auf überseeisch-kolonialen Boden finden könnten. Jene sah in einer deutschen Kolonialpolitik zunächst nur eine die Heimat schwächende Dezentralisation, diese ihrerseits behauptete, daß unser gesamtes politisches und wirtschaftliches Dasein erst seinen Unavhängigkeiisstempel durch die koloniale Ergänzung erführe, mehr noch, daß eine koloniale Expansion erst dem ins Weltwirtschaftliche gewachsenen Deutschland die nötigen Fußpunkte zur Sicherung seiner zwischenstaatlichen Be- Siehungen gäbe. Die kontinentale Ausfassung konnte freilich darauf hinweisen, daß der Verlust des gesamten deutschen Kolonialreiches im Verlauf des Krieges die Friedensverhandlungen für Deutschland belaste, wogegen aber die koloniale Seite ihrerseits wieder mit Recht folgerte, daß das Bild ein wesentlich anderes gewesen wäre, wenn die zweifellos im Deutschen steckende „kontinentale" Denkweise es nicht verhindert hätte, daß die überseeischen Machtmittel besser für die Aufgaben dieses Krieges vorbereitet gewesen wären. Daß diese Behauptung richtig ist, wird nach den Eindrücken der Verteidigung unserer großen Tropen- Arenzboten IV 1917 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/293>, abgerufen am 06.05.2024.