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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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Brest-Litowsk, Schlußakt

der Parteiwille, d. h. die Ansicht der Parteileitung. Im übrigen decken sich beide
Vorschläge. Auch Nietes berücksichtigt den Fall, daß ein Wähler nur Person wählen
will, er hat dann den zuzweit vorgedruckten Parteinamen zu durchstreichen und
muß es sich gefallen lassen, daß ein bei seinem Kandidaten etwa erzielter Überschuß
über die "Stimmensumme" (Wahlzahl, Veihällniszahl) unter den Tisch fällt bzw.
die auf diesen entfalleneu Stimmen überhaupt, sofern sie den Durchschnitt nicht
erreichen. (Genau so wie bei Fraenkel S. 89, 90.) Bei dem von Riekes ent¬
wickelten Verfahren gelingt es in der'Tat, "aus der Alleinherrschaft der Partei¬
schablone herauszukommen. Es würden mehr Persönlichkeiten und weniger Partei¬
schablonenmänner in die Volksvertretung gewählt werden."

Da das Prinzip der Mehrheitswahl (abgesehen von den sonstigen von
Fraenkel erwähnten Schattenseiten) die Gefahr in sich schließt, daß eine große
Partei mit zunehmender Kopfstärke -- wie bei uns die Sozialdemokratie -- mit
der Zeit in den Stand gesetzt wird, die anderen zu majorisieren, wie Riekes am
Schluß seiner Broschüre in Zahlen überzeugend darlegt, so ist seine Abschaffung
eine dringende Forderung, will man nicht die schon sowieso durch die Regierungs¬
vorlage eingeleitete Radikalisierung unseres Parlamentes ins Uferlose weiterschreiten
lassen. Über künstliche Hemmungen und Fälschungen des "Volks"willens könnte
man sich von seiten der extremen Linken nicht beklagen, denn gerade das Alter¬
nativ-Verfahren "würde jeder Partei das ihrige geben", insonderheit der Sozial¬
demokratie "das Höchstmaß dessen, was sie verlangen kann", so daß sie immer
noch im Mgeordnetenhause zur mächtigsten Partei wird. Ausgeschlossen aber
wäre wenigstens, daß "an Stelle der politischen Gleichberechtigung eines Tages
D unversehens die Alleinherrschaft des Proletariats tritt."




Brest-Litowsk, Schlußakt
Georg Lleinow von
Rückblick

er Vorhang fiel langsam über dem Schauspiel von Litauisch-Brest,
so langsam, daß es noch während seines Herabgehens eine große
Überraschung geben konnte: Trotzki, der erste Held des Stückes,
entlarvte sich selbst als bösartiger Narr und heimtückischer Erpresser.
Es ist kein Heldentum in ihm, von welchem Parteistandpunkt man
ihn auch bewerten wollte. Es mangelt ihm Verantwortungsfreudigkeit, das ist
die Voraussetzung jeden Heldentums. Kein Freund der Menschheit, auch keine
tragische Größe! wohl aber ein engherziger, eigensüchtiger Parteimensch, -- brutal
in kleinen, ein schwankendes Rohr in den großen Dingen, um die es doch für


Brest-Litowsk, Schlußakt

der Parteiwille, d. h. die Ansicht der Parteileitung. Im übrigen decken sich beide
Vorschläge. Auch Nietes berücksichtigt den Fall, daß ein Wähler nur Person wählen
will, er hat dann den zuzweit vorgedruckten Parteinamen zu durchstreichen und
muß es sich gefallen lassen, daß ein bei seinem Kandidaten etwa erzielter Überschuß
über die „Stimmensumme" (Wahlzahl, Veihällniszahl) unter den Tisch fällt bzw.
die auf diesen entfalleneu Stimmen überhaupt, sofern sie den Durchschnitt nicht
erreichen. (Genau so wie bei Fraenkel S. 89, 90.) Bei dem von Riekes ent¬
wickelten Verfahren gelingt es in der'Tat, „aus der Alleinherrschaft der Partei¬
schablone herauszukommen. Es würden mehr Persönlichkeiten und weniger Partei¬
schablonenmänner in die Volksvertretung gewählt werden."

Da das Prinzip der Mehrheitswahl (abgesehen von den sonstigen von
Fraenkel erwähnten Schattenseiten) die Gefahr in sich schließt, daß eine große
Partei mit zunehmender Kopfstärke — wie bei uns die Sozialdemokratie — mit
der Zeit in den Stand gesetzt wird, die anderen zu majorisieren, wie Riekes am
Schluß seiner Broschüre in Zahlen überzeugend darlegt, so ist seine Abschaffung
eine dringende Forderung, will man nicht die schon sowieso durch die Regierungs¬
vorlage eingeleitete Radikalisierung unseres Parlamentes ins Uferlose weiterschreiten
lassen. Über künstliche Hemmungen und Fälschungen des „Volks"willens könnte
man sich von seiten der extremen Linken nicht beklagen, denn gerade das Alter¬
nativ-Verfahren „würde jeder Partei das ihrige geben", insonderheit der Sozial¬
demokratie „das Höchstmaß dessen, was sie verlangen kann", so daß sie immer
noch im Mgeordnetenhause zur mächtigsten Partei wird. Ausgeschlossen aber
wäre wenigstens, daß „an Stelle der politischen Gleichberechtigung eines Tages
D unversehens die Alleinherrschaft des Proletariats tritt."




Brest-Litowsk, Schlußakt
Georg Lleinow von
Rückblick

er Vorhang fiel langsam über dem Schauspiel von Litauisch-Brest,
so langsam, daß es noch während seines Herabgehens eine große
Überraschung geben konnte: Trotzki, der erste Held des Stückes,
entlarvte sich selbst als bösartiger Narr und heimtückischer Erpresser.
Es ist kein Heldentum in ihm, von welchem Parteistandpunkt man
ihn auch bewerten wollte. Es mangelt ihm Verantwortungsfreudigkeit, das ist
die Voraussetzung jeden Heldentums. Kein Freund der Menschheit, auch keine
tragische Größe! wohl aber ein engherziger, eigensüchtiger Parteimensch, — brutal
in kleinen, ein schwankendes Rohr in den großen Dingen, um die es doch für


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[0214] Brest-Litowsk, Schlußakt der Parteiwille, d. h. die Ansicht der Parteileitung. Im übrigen decken sich beide Vorschläge. Auch Nietes berücksichtigt den Fall, daß ein Wähler nur Person wählen will, er hat dann den zuzweit vorgedruckten Parteinamen zu durchstreichen und muß es sich gefallen lassen, daß ein bei seinem Kandidaten etwa erzielter Überschuß über die „Stimmensumme" (Wahlzahl, Veihällniszahl) unter den Tisch fällt bzw. die auf diesen entfalleneu Stimmen überhaupt, sofern sie den Durchschnitt nicht erreichen. (Genau so wie bei Fraenkel S. 89, 90.) Bei dem von Riekes ent¬ wickelten Verfahren gelingt es in der'Tat, „aus der Alleinherrschaft der Partei¬ schablone herauszukommen. Es würden mehr Persönlichkeiten und weniger Partei¬ schablonenmänner in die Volksvertretung gewählt werden." Da das Prinzip der Mehrheitswahl (abgesehen von den sonstigen von Fraenkel erwähnten Schattenseiten) die Gefahr in sich schließt, daß eine große Partei mit zunehmender Kopfstärke — wie bei uns die Sozialdemokratie — mit der Zeit in den Stand gesetzt wird, die anderen zu majorisieren, wie Riekes am Schluß seiner Broschüre in Zahlen überzeugend darlegt, so ist seine Abschaffung eine dringende Forderung, will man nicht die schon sowieso durch die Regierungs¬ vorlage eingeleitete Radikalisierung unseres Parlamentes ins Uferlose weiterschreiten lassen. Über künstliche Hemmungen und Fälschungen des „Volks"willens könnte man sich von seiten der extremen Linken nicht beklagen, denn gerade das Alter¬ nativ-Verfahren „würde jeder Partei das ihrige geben", insonderheit der Sozial¬ demokratie „das Höchstmaß dessen, was sie verlangen kann", so daß sie immer noch im Mgeordnetenhause zur mächtigsten Partei wird. Ausgeschlossen aber wäre wenigstens, daß „an Stelle der politischen Gleichberechtigung eines Tages D unversehens die Alleinherrschaft des Proletariats tritt." Brest-Litowsk, Schlußakt Georg Lleinow von Rückblick er Vorhang fiel langsam über dem Schauspiel von Litauisch-Brest, so langsam, daß es noch während seines Herabgehens eine große Überraschung geben konnte: Trotzki, der erste Held des Stückes, entlarvte sich selbst als bösartiger Narr und heimtückischer Erpresser. Es ist kein Heldentum in ihm, von welchem Parteistandpunkt man ihn auch bewerten wollte. Es mangelt ihm Verantwortungsfreudigkeit, das ist die Voraussetzung jeden Heldentums. Kein Freund der Menschheit, auch keine tragische Größe! wohl aber ein engherziger, eigensüchtiger Parteimensch, — brutal in kleinen, ein schwankendes Rohr in den großen Dingen, um die es doch für

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/214>, abgerufen am 05.05.2024.