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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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Der Aufbau im Osten
Georg Lleinow von
Fundamentlegung

ieser Tage schrieb mir ein Freund: "Wenn wir zu unserer Aus-
dehnung Gebiete gebrauchen, und wir brauchen sie zweifellos, so
gibt es für uns nur zwei Wege: Aussiedlung durch Gewalt oder
Aussiedlung durch wirtschaftliche Überwindung. Die erstere ist un¬
moralisch, aber ich sah sie bisher als ultima rstiv an. Die zweite
ist mir, bisher wenig erfolgversprechend, erst durch Ihren Aufsatz ("Polenpolitik")
als zweckmäßiger Ausweg annehmbar geworden. . ." Was ist unmoralisch?
Durch weiche Rücksichtnahme auf Gefühle eine schleichende Krankheit sich solange
ausbreiten lassen, bis sie den Körper zerfressen hat oder der harte Entschluß zu
einer Operation ans Leben und Tod? Ist es wirklich unmoralisch, den Funken
eines künftigen Krieges, der, allen Staatsmännern sichtbar, nicht einmal mehr
unter der Asche glimmt, aufzutreten und den schwelenden Zunder in alle Winde
SU zerstreuen oder mit ftommem Augenniederschlagen zu warten, bis das ge¬
fährdete Haus brennt? Ist es moralisch, einem Volk die Möglichkeit zu geben,
sich zum Kampf gegen uns zusammenzuschließen, indessen Hunderttausende unserer
Stammesgenossen draußen in der Gefahr schweben, entrechtet und geknechtet, von
Haus und Hof verjagt, schließlich wie Ratten mit Knütteln totgeschlagen zu werden?
An der Wolga harren Hundertfünfzigtausend deutsche Bauern des Rufes, der ihnen
"me neue Heimat schafft, da ihnen die seit hundert und mehr Jahren durch ihrer
Hände Arbeit eroberte genommen worden istl Angesichts solcher Tatsachen sollte
es unmoralisch sein, wenn wir unsere offenen Feinde ersuchten, jenen Platz zu
Machen? Nein, ich kann nichts von Unmoral in dem Vorschlag entdecken, der
stoischen die preußischen und russischen Polen einen breiten Siedlungsstreisen für
die deutschen Rückwanderer aus Rußland bereitgestellt haben will durch Aussiedlung
der polnischen Bevölkerung I Es wäre im Gegenteil eine an Unmoral grenzende
Schwäche, wollte heute die deutsche Regierung auch nur auf ein Mittel verzichten,
das mit einiger Aussicht auf Erfolg dem Ausbruch eines neuen Kontinentalkrieges
an unserer Ostgrenze vorbeugen möchte. Nachdem wir gezwungen waren, Staaten
niederzureißen wie Kartenhäuser, darunter das einst mächtige Reich der Zaren,


Grenzboten l 191" 21


Der Aufbau im Osten
Georg Lleinow von
Fundamentlegung

ieser Tage schrieb mir ein Freund: „Wenn wir zu unserer Aus-
dehnung Gebiete gebrauchen, und wir brauchen sie zweifellos, so
gibt es für uns nur zwei Wege: Aussiedlung durch Gewalt oder
Aussiedlung durch wirtschaftliche Überwindung. Die erstere ist un¬
moralisch, aber ich sah sie bisher als ultima rstiv an. Die zweite
ist mir, bisher wenig erfolgversprechend, erst durch Ihren Aufsatz („Polenpolitik")
als zweckmäßiger Ausweg annehmbar geworden. . ." Was ist unmoralisch?
Durch weiche Rücksichtnahme auf Gefühle eine schleichende Krankheit sich solange
ausbreiten lassen, bis sie den Körper zerfressen hat oder der harte Entschluß zu
einer Operation ans Leben und Tod? Ist es wirklich unmoralisch, den Funken
eines künftigen Krieges, der, allen Staatsmännern sichtbar, nicht einmal mehr
unter der Asche glimmt, aufzutreten und den schwelenden Zunder in alle Winde
SU zerstreuen oder mit ftommem Augenniederschlagen zu warten, bis das ge¬
fährdete Haus brennt? Ist es moralisch, einem Volk die Möglichkeit zu geben,
sich zum Kampf gegen uns zusammenzuschließen, indessen Hunderttausende unserer
Stammesgenossen draußen in der Gefahr schweben, entrechtet und geknechtet, von
Haus und Hof verjagt, schließlich wie Ratten mit Knütteln totgeschlagen zu werden?
An der Wolga harren Hundertfünfzigtausend deutsche Bauern des Rufes, der ihnen
«me neue Heimat schafft, da ihnen die seit hundert und mehr Jahren durch ihrer
Hände Arbeit eroberte genommen worden istl Angesichts solcher Tatsachen sollte
es unmoralisch sein, wenn wir unsere offenen Feinde ersuchten, jenen Platz zu
Machen? Nein, ich kann nichts von Unmoral in dem Vorschlag entdecken, der
stoischen die preußischen und russischen Polen einen breiten Siedlungsstreisen für
die deutschen Rückwanderer aus Rußland bereitgestellt haben will durch Aussiedlung
der polnischen Bevölkerung I Es wäre im Gegenteil eine an Unmoral grenzende
Schwäche, wollte heute die deutsche Regierung auch nur auf ein Mittel verzichten,
das mit einiger Aussicht auf Erfolg dem Ausbruch eines neuen Kontinentalkrieges
an unserer Ostgrenze vorbeugen möchte. Nachdem wir gezwungen waren, Staaten
niederzureißen wie Kartenhäuser, darunter das einst mächtige Reich der Zaren,


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[0301] [Abbildung] Der Aufbau im Osten Georg Lleinow von Fundamentlegung ieser Tage schrieb mir ein Freund: „Wenn wir zu unserer Aus- dehnung Gebiete gebrauchen, und wir brauchen sie zweifellos, so gibt es für uns nur zwei Wege: Aussiedlung durch Gewalt oder Aussiedlung durch wirtschaftliche Überwindung. Die erstere ist un¬ moralisch, aber ich sah sie bisher als ultima rstiv an. Die zweite ist mir, bisher wenig erfolgversprechend, erst durch Ihren Aufsatz („Polenpolitik") als zweckmäßiger Ausweg annehmbar geworden. . ." Was ist unmoralisch? Durch weiche Rücksichtnahme auf Gefühle eine schleichende Krankheit sich solange ausbreiten lassen, bis sie den Körper zerfressen hat oder der harte Entschluß zu einer Operation ans Leben und Tod? Ist es wirklich unmoralisch, den Funken eines künftigen Krieges, der, allen Staatsmännern sichtbar, nicht einmal mehr unter der Asche glimmt, aufzutreten und den schwelenden Zunder in alle Winde SU zerstreuen oder mit ftommem Augenniederschlagen zu warten, bis das ge¬ fährdete Haus brennt? Ist es moralisch, einem Volk die Möglichkeit zu geben, sich zum Kampf gegen uns zusammenzuschließen, indessen Hunderttausende unserer Stammesgenossen draußen in der Gefahr schweben, entrechtet und geknechtet, von Haus und Hof verjagt, schließlich wie Ratten mit Knütteln totgeschlagen zu werden? An der Wolga harren Hundertfünfzigtausend deutsche Bauern des Rufes, der ihnen «me neue Heimat schafft, da ihnen die seit hundert und mehr Jahren durch ihrer Hände Arbeit eroberte genommen worden istl Angesichts solcher Tatsachen sollte es unmoralisch sein, wenn wir unsere offenen Feinde ersuchten, jenen Platz zu Machen? Nein, ich kann nichts von Unmoral in dem Vorschlag entdecken, der stoischen die preußischen und russischen Polen einen breiten Siedlungsstreisen für die deutschen Rückwanderer aus Rußland bereitgestellt haben will durch Aussiedlung der polnischen Bevölkerung I Es wäre im Gegenteil eine an Unmoral grenzende Schwäche, wollte heute die deutsche Regierung auch nur auf ein Mittel verzichten, das mit einiger Aussicht auf Erfolg dem Ausbruch eines neuen Kontinentalkrieges an unserer Ostgrenze vorbeugen möchte. Nachdem wir gezwungen waren, Staaten niederzureißen wie Kartenhäuser, darunter das einst mächtige Reich der Zaren, Grenzboten l 191« 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/301>, abgerufen am 05.05.2024.