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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Mitteleuropa und die Polen
Georg Lleinow von

er Außenminister unseres großen Verbündeten von der Donau,
Herr Graf Burian, weilt, wenn diese Zeilen im Druck erscheinen, in
den Mauern Berlins, um in Verbindung mit seinem formellen
Antrittsbesuch in der Wilhelmstraße Verhandlungen wegen Aus¬
gestaltung des von den beiden Kaisern am 12. Mai geschlossenen
Wasserhundes zu Pflegen und den großen politischen Rahmen für spätere wirtschaftliche
Abmachungen zwischen den zuständigen Ressorts zusammenzufügen. Wir könnten
diesen Verhandlungen mit Ruhe entgegensehen, wenn nicht der amtliche Ab- und
Verleugnungsapparat der Wilhelmstraße schon seit Wochen bemüht wäre, die
Meinung zu schaffen, als könnten im gegenwärtigen Stadium zwischen Österreich-
Ungarn und dem Deutschen Reiche große, das Bündnis vertiefende Verträge ab¬
geschlossen werden, ohne einen bestimmten Stein des Anstoßes beseitigt zu haben.
Dieser Stein ist die Polensrage. Es hieße die Politik des Vogel Strauß treiben,
glaubte man ungesehen an ihr vorbeigehen zu können. Ebensowenig beruhigend
muß die Auffassung wirken, als sei die sogenannte anhero-polnische Lösung der
Polenfrage überhaupt endgültig abgetan und erledigt und erst recht, wenn dazu
erläuternd bemerkt wird, daß die Bildung eines selbständigen Polens mit einem
bestimmten Erzherzog als König geplant sei. Was dann übrigbleibt, wäre aller¬
dings die Hoffnung, von der ein Berliner Telegramm der "Kölnischen Zeitung"
(Ur. 522) am 7. d. M. zu berichten wußte, daß "die polnische Frage als eine
Nebenfrucht der Berliner Verhandlungen von selbst der Lösung entgegenreifen"
werde. Solche Auffassung hätte einige Berechtigung, wenn es feststünde, daß so¬
wohl der österreichisch-ungarische, wie der deutsche Minister entschlossen wären,
die Polenfrage entsprechend ihrer tatsächlichen Bedeutung als eine Nebenfrage zu >
behandeln und die Befriedigung der sehr weitgehenden Ansprüche der Polen einer
Zeit überlassen wollten, in der die Fundamente des Wasserhundes fest verankert
und unverrückbar daliegen würden. Sehen wir zu, was die nun einmal vor¬
handenen Dinge dazu sagen, die sich im Raume so hart zu stoßen Pflegen.

Die Polenfrage ist im Nahmen der deutsch - österreichisch - ungarischen Be¬
ziehungen ein Überbleibsel aus den Kämpfen, die im achtzehnten Jahrhundert


Grenzboten II 1918 21


Mitteleuropa und die Polen
Georg Lleinow von

er Außenminister unseres großen Verbündeten von der Donau,
Herr Graf Burian, weilt, wenn diese Zeilen im Druck erscheinen, in
den Mauern Berlins, um in Verbindung mit seinem formellen
Antrittsbesuch in der Wilhelmstraße Verhandlungen wegen Aus¬
gestaltung des von den beiden Kaisern am 12. Mai geschlossenen
Wasserhundes zu Pflegen und den großen politischen Rahmen für spätere wirtschaftliche
Abmachungen zwischen den zuständigen Ressorts zusammenzufügen. Wir könnten
diesen Verhandlungen mit Ruhe entgegensehen, wenn nicht der amtliche Ab- und
Verleugnungsapparat der Wilhelmstraße schon seit Wochen bemüht wäre, die
Meinung zu schaffen, als könnten im gegenwärtigen Stadium zwischen Österreich-
Ungarn und dem Deutschen Reiche große, das Bündnis vertiefende Verträge ab¬
geschlossen werden, ohne einen bestimmten Stein des Anstoßes beseitigt zu haben.
Dieser Stein ist die Polensrage. Es hieße die Politik des Vogel Strauß treiben,
glaubte man ungesehen an ihr vorbeigehen zu können. Ebensowenig beruhigend
muß die Auffassung wirken, als sei die sogenannte anhero-polnische Lösung der
Polenfrage überhaupt endgültig abgetan und erledigt und erst recht, wenn dazu
erläuternd bemerkt wird, daß die Bildung eines selbständigen Polens mit einem
bestimmten Erzherzog als König geplant sei. Was dann übrigbleibt, wäre aller¬
dings die Hoffnung, von der ein Berliner Telegramm der „Kölnischen Zeitung"
(Ur. 522) am 7. d. M. zu berichten wußte, daß „die polnische Frage als eine
Nebenfrucht der Berliner Verhandlungen von selbst der Lösung entgegenreifen"
werde. Solche Auffassung hätte einige Berechtigung, wenn es feststünde, daß so¬
wohl der österreichisch-ungarische, wie der deutsche Minister entschlossen wären,
die Polenfrage entsprechend ihrer tatsächlichen Bedeutung als eine Nebenfrage zu >
behandeln und die Befriedigung der sehr weitgehenden Ansprüche der Polen einer
Zeit überlassen wollten, in der die Fundamente des Wasserhundes fest verankert
und unverrückbar daliegen würden. Sehen wir zu, was die nun einmal vor¬
handenen Dinge dazu sagen, die sich im Raume so hart zu stoßen Pflegen.

Die Polenfrage ist im Nahmen der deutsch - österreichisch - ungarischen Be¬
ziehungen ein Überbleibsel aus den Kämpfen, die im achtzehnten Jahrhundert


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[0277] [Abbildung] Mitteleuropa und die Polen Georg Lleinow von er Außenminister unseres großen Verbündeten von der Donau, Herr Graf Burian, weilt, wenn diese Zeilen im Druck erscheinen, in den Mauern Berlins, um in Verbindung mit seinem formellen Antrittsbesuch in der Wilhelmstraße Verhandlungen wegen Aus¬ gestaltung des von den beiden Kaisern am 12. Mai geschlossenen Wasserhundes zu Pflegen und den großen politischen Rahmen für spätere wirtschaftliche Abmachungen zwischen den zuständigen Ressorts zusammenzufügen. Wir könnten diesen Verhandlungen mit Ruhe entgegensehen, wenn nicht der amtliche Ab- und Verleugnungsapparat der Wilhelmstraße schon seit Wochen bemüht wäre, die Meinung zu schaffen, als könnten im gegenwärtigen Stadium zwischen Österreich- Ungarn und dem Deutschen Reiche große, das Bündnis vertiefende Verträge ab¬ geschlossen werden, ohne einen bestimmten Stein des Anstoßes beseitigt zu haben. Dieser Stein ist die Polensrage. Es hieße die Politik des Vogel Strauß treiben, glaubte man ungesehen an ihr vorbeigehen zu können. Ebensowenig beruhigend muß die Auffassung wirken, als sei die sogenannte anhero-polnische Lösung der Polenfrage überhaupt endgültig abgetan und erledigt und erst recht, wenn dazu erläuternd bemerkt wird, daß die Bildung eines selbständigen Polens mit einem bestimmten Erzherzog als König geplant sei. Was dann übrigbleibt, wäre aller¬ dings die Hoffnung, von der ein Berliner Telegramm der „Kölnischen Zeitung" (Ur. 522) am 7. d. M. zu berichten wußte, daß „die polnische Frage als eine Nebenfrucht der Berliner Verhandlungen von selbst der Lösung entgegenreifen" werde. Solche Auffassung hätte einige Berechtigung, wenn es feststünde, daß so¬ wohl der österreichisch-ungarische, wie der deutsche Minister entschlossen wären, die Polenfrage entsprechend ihrer tatsächlichen Bedeutung als eine Nebenfrage zu > behandeln und die Befriedigung der sehr weitgehenden Ansprüche der Polen einer Zeit überlassen wollten, in der die Fundamente des Wasserhundes fest verankert und unverrückbar daliegen würden. Sehen wir zu, was die nun einmal vor¬ handenen Dinge dazu sagen, die sich im Raume so hart zu stoßen Pflegen. Die Polenfrage ist im Nahmen der deutsch - österreichisch - ungarischen Be¬ ziehungen ein Überbleibsel aus den Kämpfen, die im achtzehnten Jahrhundert Grenzboten II 1918 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/277>, abgerufen am 05.05.2024.