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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Am Höhepunkt des Arieges
Betrachtungen zur Weltlage
Georg Lleinow von

Beginn der großen Offensive im Westen wurde hier geschrieben!
..Gewonnene Schlachten sind nur dann Etappen auf dein Wege
Frieden, wenn sie der Psyche des Gegners Rechnung tragen,
Lage entsprechen und dieser ihren
Stempel aufzudrücken vermögen. Auf die Größe der unlitürischen
Handlungen kommt es dabei kaum an: es ist denkbar, daß die Vernichtung
mehrerer englischer Armeen und Geländegewinn von hunderttausend Quadrat¬
kilometern auf dem europäischen Kontinent ohne merklichen politischen Einfluß
bleibt, während wiederholte Beschießung von Paris durch weittragende Geschütze
und Fliegergeschwader die politische Front des Feindes erschüttert" (Heft 14 Seite 1).
inzwischen sind drei Monate vergangen, englische und französische Armeen ver¬
nichtet, französischer Boden im Umfange des Königreichs Sachsen ist von uns in
Besitz genommen... Ist eine politische Wirkung erzielt? sind wir der Aussicht
näher gekommen, daß dem Morden in absehbarer Zeit ein Ende gesetzt werde?
Die menschliche Vernunft sollte . .. doch lassen wir die menschliche Vernunft beiseite!
Wo ist sie zu finden? Was ist denn überhaupt als Vernunft anzusprechen, seit
die Erdoberfläche einem Tollhause gleichet? seit die Völker sich wie die wilden
Tiere zerfleischen, um sich zu erhalten? Vernünftig ist der Starke, seine
Vernunft verwandelt sich in Tollheit, sobald ihm der Maßstab für seine
Kraft entwunden ist. Nußland ist vernünftig geworden, seit der instinktive
Selbsterhaltungstrieb die Massen vermochte, ihr eigenes Interesse vor das
des Verbandes zu stellen. Das russische Volk hat durch den Frieden von
Brest einen ungeheueren Vorsprung vor allen anderen Völkern gewonnen, wenn
auch die Zersetzungserscheinungen im Innern dem oberflächlichen Beschauer an¬
muten wie Zuckungen eines tödlich getroffenen Körpers. Nußland ist nicht tödlich
getroffen, es baut sich mit unserer Hilfe auf... Rußland ist vernünftig. Nußland
Hat sich selbst gerettet, indem es Frankreich preisgab. Ist Frankreich seit dem
Frieden von Brest noch vernünftig zu nennen? Wir zweifeln an seinem gesunden


Grenzboten II 191S 2ö


Am Höhepunkt des Arieges
Betrachtungen zur Weltlage
Georg Lleinow von

Beginn der großen Offensive im Westen wurde hier geschrieben!
..Gewonnene Schlachten sind nur dann Etappen auf dein Wege
Frieden, wenn sie der Psyche des Gegners Rechnung tragen,
Lage entsprechen und dieser ihren
Stempel aufzudrücken vermögen. Auf die Größe der unlitürischen
Handlungen kommt es dabei kaum an: es ist denkbar, daß die Vernichtung
mehrerer englischer Armeen und Geländegewinn von hunderttausend Quadrat¬
kilometern auf dem europäischen Kontinent ohne merklichen politischen Einfluß
bleibt, während wiederholte Beschießung von Paris durch weittragende Geschütze
und Fliegergeschwader die politische Front des Feindes erschüttert" (Heft 14 Seite 1).
inzwischen sind drei Monate vergangen, englische und französische Armeen ver¬
nichtet, französischer Boden im Umfange des Königreichs Sachsen ist von uns in
Besitz genommen... Ist eine politische Wirkung erzielt? sind wir der Aussicht
näher gekommen, daß dem Morden in absehbarer Zeit ein Ende gesetzt werde?
Die menschliche Vernunft sollte . .. doch lassen wir die menschliche Vernunft beiseite!
Wo ist sie zu finden? Was ist denn überhaupt als Vernunft anzusprechen, seit
die Erdoberfläche einem Tollhause gleichet? seit die Völker sich wie die wilden
Tiere zerfleischen, um sich zu erhalten? Vernünftig ist der Starke, seine
Vernunft verwandelt sich in Tollheit, sobald ihm der Maßstab für seine
Kraft entwunden ist. Nußland ist vernünftig geworden, seit der instinktive
Selbsterhaltungstrieb die Massen vermochte, ihr eigenes Interesse vor das
des Verbandes zu stellen. Das russische Volk hat durch den Frieden von
Brest einen ungeheueren Vorsprung vor allen anderen Völkern gewonnen, wenn
auch die Zersetzungserscheinungen im Innern dem oberflächlichen Beschauer an¬
muten wie Zuckungen eines tödlich getroffenen Körpers. Nußland ist nicht tödlich
getroffen, es baut sich mit unserer Hilfe auf... Rußland ist vernünftig. Nußland
Hat sich selbst gerettet, indem es Frankreich preisgab. Ist Frankreich seit dem
Frieden von Brest noch vernünftig zu nennen? Wir zweifeln an seinem gesunden


Grenzboten II 191S 2ö
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[0333] [Abbildung] Am Höhepunkt des Arieges Betrachtungen zur Weltlage Georg Lleinow von Beginn der großen Offensive im Westen wurde hier geschrieben! ..Gewonnene Schlachten sind nur dann Etappen auf dein Wege Frieden, wenn sie der Psyche des Gegners Rechnung tragen, Lage entsprechen und dieser ihren Stempel aufzudrücken vermögen. Auf die Größe der unlitürischen Handlungen kommt es dabei kaum an: es ist denkbar, daß die Vernichtung mehrerer englischer Armeen und Geländegewinn von hunderttausend Quadrat¬ kilometern auf dem europäischen Kontinent ohne merklichen politischen Einfluß bleibt, während wiederholte Beschießung von Paris durch weittragende Geschütze und Fliegergeschwader die politische Front des Feindes erschüttert" (Heft 14 Seite 1). inzwischen sind drei Monate vergangen, englische und französische Armeen ver¬ nichtet, französischer Boden im Umfange des Königreichs Sachsen ist von uns in Besitz genommen... Ist eine politische Wirkung erzielt? sind wir der Aussicht näher gekommen, daß dem Morden in absehbarer Zeit ein Ende gesetzt werde? Die menschliche Vernunft sollte . .. doch lassen wir die menschliche Vernunft beiseite! Wo ist sie zu finden? Was ist denn überhaupt als Vernunft anzusprechen, seit die Erdoberfläche einem Tollhause gleichet? seit die Völker sich wie die wilden Tiere zerfleischen, um sich zu erhalten? Vernünftig ist der Starke, seine Vernunft verwandelt sich in Tollheit, sobald ihm der Maßstab für seine Kraft entwunden ist. Nußland ist vernünftig geworden, seit der instinktive Selbsterhaltungstrieb die Massen vermochte, ihr eigenes Interesse vor das des Verbandes zu stellen. Das russische Volk hat durch den Frieden von Brest einen ungeheueren Vorsprung vor allen anderen Völkern gewonnen, wenn auch die Zersetzungserscheinungen im Innern dem oberflächlichen Beschauer an¬ muten wie Zuckungen eines tödlich getroffenen Körpers. Nußland ist nicht tödlich getroffen, es baut sich mit unserer Hilfe auf... Rußland ist vernünftig. Nußland Hat sich selbst gerettet, indem es Frankreich preisgab. Ist Frankreich seit dem Frieden von Brest noch vernünftig zu nennen? Wir zweifeln an seinem gesunden Grenzboten II 191S 2ö

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/333>, abgerufen am 05.05.2024.