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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Platz ist ihm für alle Zeiten in der allgemeinen Geistesgeschichte sicher". Mindestens
bei uns Deutschen, ihm, dem Freunde Richard Wagners, dem Kenner und Aner-
kenner der deutschen Eigenart und Vorzüge. Gobineau ist ein erlesener Geist.
Wer bei einem Schriftsteller mehr als banale Unterhaltung, wer geistigen Genuß
sucht, der tut gut, sich mit den Werken Gobineaus, der zu den Großen der Welt¬
literatur gehört, vertraut zu machen. Cartellieri weiß sie feinfühlig zu würdigen.


Professor Rranz
Deutschunterricht und Deutschkunst. Arbeiten aus dem Kreise des deutschen
Germanisten-Verbandes über Zeitfragen des deutschen Unterrichts auf den höheren
Schulen, herausgegeben vom Studienanstaltsdirektor Dr. Klaudius Bojunga.
Berlin: Otto Salle. 1917.

1. Dr. Klaudius Bojunga, "Der deutsche Sprachunterricht auf
höheren Schulen". -- Dieses erste Heft der neuen, sehr zeitgemäßen Sammlung ist
mit wärmster Begeisterung für unsere Muttersprache und mit berechtigtem Zorn über
die Zurücksetzung geschrieben, die sie sich noch immer zugunsten fremder Sprachen
an den höheren Schulen gefallen lassen muß. Als Beispiel dafür, wie manche
"Humanisten" noch heute den deutschen Unterricht bewerten, erwähnt Bojunga
einen rheinländischen Gymnasialdirektor, der im November 1916 in einem Briefe
das Lateinische als den "Eingang für Herrschaften" zum Schultempel bezeichnete,
die Beschäftigung mit dem Deutschen aber als die "Hintertür für Dienstboten",
und dessen Brief ein Gesinnungsgenosse dieses Direktors, ein Frankfurter Professor,
mit der Bemerkung begrüßte, dieser Brief läse sich ..wie ein großes, ergreifendes
Bekenntnis zu den Idealen, die auch von uns allezeit vertreten worden sind".
Angesichts solcher Anschauungen, die in maßgebenden Kreisen vertreten sind,
braucht man sich über den Notstand des deutschen Unterrichts an den höheren
Schulen nicht zu wundern. -- Bei allen Lehrstoffen, die unsere höheren Schulen
vermitteln, muß man einen Nutzzweck und einen inneren Bildungszweck unter¬
scheiden. Bezeichnenderweise stellen die Lehrpläne für den deutschen Unterricht
an den höheren Knabenschulen den Nutzzweck ganz scharf in den Vordergrund,
lassen dagegen den Bildungszweck nur durch ein Hintertürchen hereinschlüpfen,
während die "Bestimmungen" für das höhere Mädchenschulwesen vom Jahre 1908
in bewußtem Gegensatz dazu den Bildungszweck bedeutsam an die erste Stelle
rücken. Als Lehrziel stellen nämlich die "Lehrpläne" auf: "Festigkeit im münd¬
lichen und schriftlichen Gebrauch der Muttersprache", also lediglich einen Nntzzweck.
eine äußere Fertigkeit, während es in den "Bestimmungen" zusammengefaßt ist
in die Forderung: "Belebung des vaterländischen Sinnes durch liebevolle Be¬
schäftigung mit unserer Muttersprache. Befähigung zu ihrem richtigen mündlichen
und schriftlichen Gebrauch."

Das Nutzziel verlangt, daß die Herrschaft über die Sprache dem Umfang nach
weiter, der Sicherheit nach fester und feiner werde. Aber neben diesem Nutzziel
muß, Raum und Zeit fordernd, das eigentliche Bildungsziel stehen, das sich die
Aufgabe stellt, die Zöglinge in eine wissenschaftliche Betrachtungsweise der Mutter¬
sprache einzuführen. Mit diesem Ziel der Einführung in selbständige wissen¬
schaftliche Arbeit ist sodann ein zweites verknüpft, nämlich die Hinanführung zu
künstlerischer, d. h. also zu freischöpferischer Tätigkeit. Das höchste Ziel aber, das
dem deutschen Unterricht vorschweben muß, ist die Erweckung von Liebe und Bewun¬
derung für unsere Muttersprache, "das innigste, vertraulichste Verhältnis zu der
erinnerungsschweren Behaglichkeit, zu der heimatholden Anmut der Sprache
unserer Märchen und Volkslieder und zugleich zage, scheue Ehrfurcht vor der nie
ausdenkbaren Tiefe, vor der nie versagenden Fülle der Sprache Goethes und
Bismarcks". Welche Behandlung der einzelnen Zweige des deutschen Sprach¬
unterrichts sich aus solcher Zielsetzung ergibt, und wie weit der bisherige Betrieb
aus mancherlei Gründen hinter dieser zu fordernden Behandlung zurückbleibt,
zeigt Bojunga in eingehenden und überzeugenden Ausführungen, die sich in
gleicher Weise durch Gedankenreichtum wie durch eine vorbildliche Ausdrucksform
auszeichnen. Manchem wird vielleicht das wissenschaftliche Ziel etwas zu hoch gesteckt


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Platz ist ihm für alle Zeiten in der allgemeinen Geistesgeschichte sicher". Mindestens
bei uns Deutschen, ihm, dem Freunde Richard Wagners, dem Kenner und Aner-
kenner der deutschen Eigenart und Vorzüge. Gobineau ist ein erlesener Geist.
Wer bei einem Schriftsteller mehr als banale Unterhaltung, wer geistigen Genuß
sucht, der tut gut, sich mit den Werken Gobineaus, der zu den Großen der Welt¬
literatur gehört, vertraut zu machen. Cartellieri weiß sie feinfühlig zu würdigen.


Professor Rranz
Deutschunterricht und Deutschkunst. Arbeiten aus dem Kreise des deutschen
Germanisten-Verbandes über Zeitfragen des deutschen Unterrichts auf den höheren
Schulen, herausgegeben vom Studienanstaltsdirektor Dr. Klaudius Bojunga.
Berlin: Otto Salle. 1917.

1. Dr. Klaudius Bojunga, „Der deutsche Sprachunterricht auf
höheren Schulen". — Dieses erste Heft der neuen, sehr zeitgemäßen Sammlung ist
mit wärmster Begeisterung für unsere Muttersprache und mit berechtigtem Zorn über
die Zurücksetzung geschrieben, die sie sich noch immer zugunsten fremder Sprachen
an den höheren Schulen gefallen lassen muß. Als Beispiel dafür, wie manche
„Humanisten" noch heute den deutschen Unterricht bewerten, erwähnt Bojunga
einen rheinländischen Gymnasialdirektor, der im November 1916 in einem Briefe
das Lateinische als den „Eingang für Herrschaften" zum Schultempel bezeichnete,
die Beschäftigung mit dem Deutschen aber als die „Hintertür für Dienstboten",
und dessen Brief ein Gesinnungsgenosse dieses Direktors, ein Frankfurter Professor,
mit der Bemerkung begrüßte, dieser Brief läse sich ..wie ein großes, ergreifendes
Bekenntnis zu den Idealen, die auch von uns allezeit vertreten worden sind".
Angesichts solcher Anschauungen, die in maßgebenden Kreisen vertreten sind,
braucht man sich über den Notstand des deutschen Unterrichts an den höheren
Schulen nicht zu wundern. — Bei allen Lehrstoffen, die unsere höheren Schulen
vermitteln, muß man einen Nutzzweck und einen inneren Bildungszweck unter¬
scheiden. Bezeichnenderweise stellen die Lehrpläne für den deutschen Unterricht
an den höheren Knabenschulen den Nutzzweck ganz scharf in den Vordergrund,
lassen dagegen den Bildungszweck nur durch ein Hintertürchen hereinschlüpfen,
während die „Bestimmungen" für das höhere Mädchenschulwesen vom Jahre 1908
in bewußtem Gegensatz dazu den Bildungszweck bedeutsam an die erste Stelle
rücken. Als Lehrziel stellen nämlich die „Lehrpläne" auf: „Festigkeit im münd¬
lichen und schriftlichen Gebrauch der Muttersprache", also lediglich einen Nntzzweck.
eine äußere Fertigkeit, während es in den „Bestimmungen" zusammengefaßt ist
in die Forderung: „Belebung des vaterländischen Sinnes durch liebevolle Be¬
schäftigung mit unserer Muttersprache. Befähigung zu ihrem richtigen mündlichen
und schriftlichen Gebrauch."

Das Nutzziel verlangt, daß die Herrschaft über die Sprache dem Umfang nach
weiter, der Sicherheit nach fester und feiner werde. Aber neben diesem Nutzziel
muß, Raum und Zeit fordernd, das eigentliche Bildungsziel stehen, das sich die
Aufgabe stellt, die Zöglinge in eine wissenschaftliche Betrachtungsweise der Mutter¬
sprache einzuführen. Mit diesem Ziel der Einführung in selbständige wissen¬
schaftliche Arbeit ist sodann ein zweites verknüpft, nämlich die Hinanführung zu
künstlerischer, d. h. also zu freischöpferischer Tätigkeit. Das höchste Ziel aber, das
dem deutschen Unterricht vorschweben muß, ist die Erweckung von Liebe und Bewun¬
derung für unsere Muttersprache, „das innigste, vertraulichste Verhältnis zu der
erinnerungsschweren Behaglichkeit, zu der heimatholden Anmut der Sprache
unserer Märchen und Volkslieder und zugleich zage, scheue Ehrfurcht vor der nie
ausdenkbaren Tiefe, vor der nie versagenden Fülle der Sprache Goethes und
Bismarcks". Welche Behandlung der einzelnen Zweige des deutschen Sprach¬
unterrichts sich aus solcher Zielsetzung ergibt, und wie weit der bisherige Betrieb
aus mancherlei Gründen hinter dieser zu fordernden Behandlung zurückbleibt,
zeigt Bojunga in eingehenden und überzeugenden Ausführungen, die sich in
gleicher Weise durch Gedankenreichtum wie durch eine vorbildliche Ausdrucksform
auszeichnen. Manchem wird vielleicht das wissenschaftliche Ziel etwas zu hoch gesteckt


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[0115] Neue Bücher Platz ist ihm für alle Zeiten in der allgemeinen Geistesgeschichte sicher". Mindestens bei uns Deutschen, ihm, dem Freunde Richard Wagners, dem Kenner und Aner- kenner der deutschen Eigenart und Vorzüge. Gobineau ist ein erlesener Geist. Wer bei einem Schriftsteller mehr als banale Unterhaltung, wer geistigen Genuß sucht, der tut gut, sich mit den Werken Gobineaus, der zu den Großen der Welt¬ literatur gehört, vertraut zu machen. Cartellieri weiß sie feinfühlig zu würdigen. Professor Rranz Deutschunterricht und Deutschkunst. Arbeiten aus dem Kreise des deutschen Germanisten-Verbandes über Zeitfragen des deutschen Unterrichts auf den höheren Schulen, herausgegeben vom Studienanstaltsdirektor Dr. Klaudius Bojunga. Berlin: Otto Salle. 1917. 1. Dr. Klaudius Bojunga, „Der deutsche Sprachunterricht auf höheren Schulen". — Dieses erste Heft der neuen, sehr zeitgemäßen Sammlung ist mit wärmster Begeisterung für unsere Muttersprache und mit berechtigtem Zorn über die Zurücksetzung geschrieben, die sie sich noch immer zugunsten fremder Sprachen an den höheren Schulen gefallen lassen muß. Als Beispiel dafür, wie manche „Humanisten" noch heute den deutschen Unterricht bewerten, erwähnt Bojunga einen rheinländischen Gymnasialdirektor, der im November 1916 in einem Briefe das Lateinische als den „Eingang für Herrschaften" zum Schultempel bezeichnete, die Beschäftigung mit dem Deutschen aber als die „Hintertür für Dienstboten", und dessen Brief ein Gesinnungsgenosse dieses Direktors, ein Frankfurter Professor, mit der Bemerkung begrüßte, dieser Brief läse sich ..wie ein großes, ergreifendes Bekenntnis zu den Idealen, die auch von uns allezeit vertreten worden sind". Angesichts solcher Anschauungen, die in maßgebenden Kreisen vertreten sind, braucht man sich über den Notstand des deutschen Unterrichts an den höheren Schulen nicht zu wundern. — Bei allen Lehrstoffen, die unsere höheren Schulen vermitteln, muß man einen Nutzzweck und einen inneren Bildungszweck unter¬ scheiden. Bezeichnenderweise stellen die Lehrpläne für den deutschen Unterricht an den höheren Knabenschulen den Nutzzweck ganz scharf in den Vordergrund, lassen dagegen den Bildungszweck nur durch ein Hintertürchen hereinschlüpfen, während die „Bestimmungen" für das höhere Mädchenschulwesen vom Jahre 1908 in bewußtem Gegensatz dazu den Bildungszweck bedeutsam an die erste Stelle rücken. Als Lehrziel stellen nämlich die „Lehrpläne" auf: „Festigkeit im münd¬ lichen und schriftlichen Gebrauch der Muttersprache", also lediglich einen Nntzzweck. eine äußere Fertigkeit, während es in den „Bestimmungen" zusammengefaßt ist in die Forderung: „Belebung des vaterländischen Sinnes durch liebevolle Be¬ schäftigung mit unserer Muttersprache. Befähigung zu ihrem richtigen mündlichen und schriftlichen Gebrauch." Das Nutzziel verlangt, daß die Herrschaft über die Sprache dem Umfang nach weiter, der Sicherheit nach fester und feiner werde. Aber neben diesem Nutzziel muß, Raum und Zeit fordernd, das eigentliche Bildungsziel stehen, das sich die Aufgabe stellt, die Zöglinge in eine wissenschaftliche Betrachtungsweise der Mutter¬ sprache einzuführen. Mit diesem Ziel der Einführung in selbständige wissen¬ schaftliche Arbeit ist sodann ein zweites verknüpft, nämlich die Hinanführung zu künstlerischer, d. h. also zu freischöpferischer Tätigkeit. Das höchste Ziel aber, das dem deutschen Unterricht vorschweben muß, ist die Erweckung von Liebe und Bewun¬ derung für unsere Muttersprache, „das innigste, vertraulichste Verhältnis zu der erinnerungsschweren Behaglichkeit, zu der heimatholden Anmut der Sprache unserer Märchen und Volkslieder und zugleich zage, scheue Ehrfurcht vor der nie ausdenkbaren Tiefe, vor der nie versagenden Fülle der Sprache Goethes und Bismarcks". Welche Behandlung der einzelnen Zweige des deutschen Sprach¬ unterrichts sich aus solcher Zielsetzung ergibt, und wie weit der bisherige Betrieb aus mancherlei Gründen hinter dieser zu fordernden Behandlung zurückbleibt, zeigt Bojunga in eingehenden und überzeugenden Ausführungen, die sich in gleicher Weise durch Gedankenreichtum wie durch eine vorbildliche Ausdrucksform auszeichnen. Manchem wird vielleicht das wissenschaftliche Ziel etwas zu hoch gesteckt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/115>, abgerufen am 04.05.2024.