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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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Umgestaltung Österreich - Ungarns
pr"feffor z?r. Robert Sieger von

le Umwälzung in Osterreich schreitet so rasch vorwärts und die
Vorboten einer Wohl ebenso tiefgreifenden Umgestaltung in
Ungarn häufen sich so sehr, daß jede Erwägung kommender Mög¬
lichkeiten von den Ereignissen selbst überhöht wird. Man kann
daher lediglich versuchen, die wirksamen, den Augenblick beherr¬
schenden Kräfte aus der Vergangenheit heraus zu beurteilen. Die
jüngsten Vorgänge selbst stellen freilich nicht das Ergebnis einer organischen Ent¬
wicklung dar, sondern die Folgewirkungen eines plötzlichen (für Eingeweihte viel¬
leicht nicht einmal ganz so plötzlichen) Umschwunges in der militärischen und
außenpolitischen Lage, bei dem allerdings die im Inland erwachsenen und gro߬
gezogenen Stimmungen keineswegs einflußlos waren. Aber diese: die Kriegs-
Müdigkeit und innere Zermürbung, die in ihrem Kern berechtigte, aber über
alles Maß gehende Erbitterung gegen militärischen und zivilem Bureaukratismus,
gegen eine alberne und drückende Zensur, gegen die unbedachte Verordnerei und
die Zentralmißwirtschast, das durch die Fehler und Sünden der Kriegswirtschaft
gesteigerte altösterreichische Mißtrauen gegen alles und gegen alle, die Skepsis am
Staat, das Entfalten idealer Kriegsziele und damit die ausschließliche Betonung
der Magenfragen oder die Flucht in einen Allerweltspazifismus, endlich die Ent¬
fremdung, ja Abneigung gegen den opferwilligen Bundesgenossen und gegen seine
angeblich den Frieden verhindernden Kriegsziele, die durch manche Ungeschicklich-
keit und Schroffheit im Auftreten reichsdeutscher,Kameraden, namentlich aber
durch eine systematische Hetzerei ungeahnte Verbreitung fand -- das alles wäre
nicht entscheidend gewesen, wenn die Offensive an der Piave und die an der
Marne von Erfolg gekrönt gewesen wären. Dann hätte man mit Ach und Krach
aber doch auch den fünften Kriegswinter durchgehalten. Die Niederlage der-'
stärkte dagegen alle die schwächenden Einflüsse; selbst in deutschen Kreisen, in
denen man gewahrte, wie sehr das eigene Volk sich aufrieb, während die anderen
gediehen, ging vielfach die Zuversicht verloren und die Lehren derjenigen, die
nur im Frieden -um jeden Preis Rettung sahen, wurden immer lieber gehört.
Doch das Entscheidende lag nicht darin, sondern in der Wirkung der Regierungs¬
politik, die alle Feinde des alten Osterreich groß werden ließ, ja begünstigte,'wenn
sie nur sich dynastisch gebärdeten, und bald auch, wenn sie dies nicht taten.

Die Aufgaben der Regierungen in Osterreich und in Ungarn waren von
Anfang des Krieges an schwer. In Ungarn übersah man das; man meinte
durch einen siegreichen Krieg die Vormacht des Madjarentums stärken, Öster¬
reichs Stellung im Dualismus durch systematische politische und wirtschaftliche
Schwächung, geradezu durch eine gelinde Aushungerung Herabdrücken, im eigenen


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Umgestaltung Österreich - Ungarns
pr»feffor z?r. Robert Sieger von

le Umwälzung in Osterreich schreitet so rasch vorwärts und die
Vorboten einer Wohl ebenso tiefgreifenden Umgestaltung in
Ungarn häufen sich so sehr, daß jede Erwägung kommender Mög¬
lichkeiten von den Ereignissen selbst überhöht wird. Man kann
daher lediglich versuchen, die wirksamen, den Augenblick beherr¬
schenden Kräfte aus der Vergangenheit heraus zu beurteilen. Die
jüngsten Vorgänge selbst stellen freilich nicht das Ergebnis einer organischen Ent¬
wicklung dar, sondern die Folgewirkungen eines plötzlichen (für Eingeweihte viel¬
leicht nicht einmal ganz so plötzlichen) Umschwunges in der militärischen und
außenpolitischen Lage, bei dem allerdings die im Inland erwachsenen und gro߬
gezogenen Stimmungen keineswegs einflußlos waren. Aber diese: die Kriegs-
Müdigkeit und innere Zermürbung, die in ihrem Kern berechtigte, aber über
alles Maß gehende Erbitterung gegen militärischen und zivilem Bureaukratismus,
gegen eine alberne und drückende Zensur, gegen die unbedachte Verordnerei und
die Zentralmißwirtschast, das durch die Fehler und Sünden der Kriegswirtschaft
gesteigerte altösterreichische Mißtrauen gegen alles und gegen alle, die Skepsis am
Staat, das Entfalten idealer Kriegsziele und damit die ausschließliche Betonung
der Magenfragen oder die Flucht in einen Allerweltspazifismus, endlich die Ent¬
fremdung, ja Abneigung gegen den opferwilligen Bundesgenossen und gegen seine
angeblich den Frieden verhindernden Kriegsziele, die durch manche Ungeschicklich-
keit und Schroffheit im Auftreten reichsdeutscher,Kameraden, namentlich aber
durch eine systematische Hetzerei ungeahnte Verbreitung fand — das alles wäre
nicht entscheidend gewesen, wenn die Offensive an der Piave und die an der
Marne von Erfolg gekrönt gewesen wären. Dann hätte man mit Ach und Krach
aber doch auch den fünften Kriegswinter durchgehalten. Die Niederlage der-'
stärkte dagegen alle die schwächenden Einflüsse; selbst in deutschen Kreisen, in
denen man gewahrte, wie sehr das eigene Volk sich aufrieb, während die anderen
gediehen, ging vielfach die Zuversicht verloren und die Lehren derjenigen, die
nur im Frieden -um jeden Preis Rettung sahen, wurden immer lieber gehört.
Doch das Entscheidende lag nicht darin, sondern in der Wirkung der Regierungs¬
politik, die alle Feinde des alten Osterreich groß werden ließ, ja begünstigte,'wenn
sie nur sich dynastisch gebärdeten, und bald auch, wenn sie dies nicht taten.

Die Aufgaben der Regierungen in Osterreich und in Ungarn waren von
Anfang des Krieges an schwer. In Ungarn übersah man das; man meinte
durch einen siegreichen Krieg die Vormacht des Madjarentums stärken, Öster¬
reichs Stellung im Dualismus durch systematische politische und wirtschaftliche
Schwächung, geradezu durch eine gelinde Aushungerung Herabdrücken, im eigenen


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[0185] [Abbildung] Umgestaltung Österreich - Ungarns pr»feffor z?r. Robert Sieger von le Umwälzung in Osterreich schreitet so rasch vorwärts und die Vorboten einer Wohl ebenso tiefgreifenden Umgestaltung in Ungarn häufen sich so sehr, daß jede Erwägung kommender Mög¬ lichkeiten von den Ereignissen selbst überhöht wird. Man kann daher lediglich versuchen, die wirksamen, den Augenblick beherr¬ schenden Kräfte aus der Vergangenheit heraus zu beurteilen. Die jüngsten Vorgänge selbst stellen freilich nicht das Ergebnis einer organischen Ent¬ wicklung dar, sondern die Folgewirkungen eines plötzlichen (für Eingeweihte viel¬ leicht nicht einmal ganz so plötzlichen) Umschwunges in der militärischen und außenpolitischen Lage, bei dem allerdings die im Inland erwachsenen und gro߬ gezogenen Stimmungen keineswegs einflußlos waren. Aber diese: die Kriegs- Müdigkeit und innere Zermürbung, die in ihrem Kern berechtigte, aber über alles Maß gehende Erbitterung gegen militärischen und zivilem Bureaukratismus, gegen eine alberne und drückende Zensur, gegen die unbedachte Verordnerei und die Zentralmißwirtschast, das durch die Fehler und Sünden der Kriegswirtschaft gesteigerte altösterreichische Mißtrauen gegen alles und gegen alle, die Skepsis am Staat, das Entfalten idealer Kriegsziele und damit die ausschließliche Betonung der Magenfragen oder die Flucht in einen Allerweltspazifismus, endlich die Ent¬ fremdung, ja Abneigung gegen den opferwilligen Bundesgenossen und gegen seine angeblich den Frieden verhindernden Kriegsziele, die durch manche Ungeschicklich- keit und Schroffheit im Auftreten reichsdeutscher,Kameraden, namentlich aber durch eine systematische Hetzerei ungeahnte Verbreitung fand — das alles wäre nicht entscheidend gewesen, wenn die Offensive an der Piave und die an der Marne von Erfolg gekrönt gewesen wären. Dann hätte man mit Ach und Krach aber doch auch den fünften Kriegswinter durchgehalten. Die Niederlage der-' stärkte dagegen alle die schwächenden Einflüsse; selbst in deutschen Kreisen, in denen man gewahrte, wie sehr das eigene Volk sich aufrieb, während die anderen gediehen, ging vielfach die Zuversicht verloren und die Lehren derjenigen, die nur im Frieden -um jeden Preis Rettung sahen, wurden immer lieber gehört. Doch das Entscheidende lag nicht darin, sondern in der Wirkung der Regierungs¬ politik, die alle Feinde des alten Osterreich groß werden ließ, ja begünstigte,'wenn sie nur sich dynastisch gebärdeten, und bald auch, wenn sie dies nicht taten. Die Aufgaben der Regierungen in Osterreich und in Ungarn waren von Anfang des Krieges an schwer. In Ungarn übersah man das; man meinte durch einen siegreichen Krieg die Vormacht des Madjarentums stärken, Öster¬ reichs Stellung im Dualismus durch systematische politische und wirtschaftliche Schwächung, geradezu durch eine gelinde Aushungerung Herabdrücken, im eigenen <?Iren,'>^,kam!V tgi3n>

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/185>, abgerufen am 04.05.2024.