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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.

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Was muß der Westen für den Grenzschutz des
Ostens tun?

le öffentliche Meinung der westdeutschen Gebiete ist nach dem im
November erfolgten Zusammenbruch mehr denn je geneigt, über
die Lo"lösnng vom preußischen vtaaiSwesen zu debattieren. Leider
haben sich diese Debatten in letzter Zeit immer bedrohlicher gestaltet
und finden in dem Memorandum des Staatssekretärs Dr. Preuß
energische Unterstützung. Rheinland, Westfalen und angrenzende
Gebiets glauben in sich selbst genügend Kraft zur eigenen staatlichen Existenz
zu besitzen. Die Befürchtungen der einzelnen politischen Parteigruppen treffen
sich in dem gleichen Bestreben: los von Berlin. Das Zentrum fürchtet für
den Zusammenhang von Staqt und Kirche in dem nengeordneten preußischen
Sraatswesen, die sozialistischen Parteien erblicken in der Aufrichtung einer Heeres¬
macht im Osten die Gefahr einer Gegenrevolution.

Soweit es sich um die wirtschaftlichen Znkunflsmöglichkeiten handelt, ist
der Standpunkt dieser beiden Richtungen außerordentlich kurzsichtig. Glaubt
etwa die Industrie des Westens durch einen engen Anschluß an Belgien und
Frankreich für den Weltwirischaftsmarkt Konkurrenzn>öglichkeiten zu erhalten?
Glauben die bürgerlichen Parteien aus sich allein Heiren des Bolschewismus
werden zu können? Sie mögen bedenken, daß das Heer der Arbeitslosen aus
den zur Konkurrenz nicht mehr geeignete" Gebieten enormen Zulauf finden
würde. Wo will man diese Bevölkerungsmassen unterbringen? Zwingt man
sie zur Auswanderung, exportiert man dieses beste Staatsgut, so werden aus
eigenen Volksgenossen die stärksten Gegner herangezüchtet. Ein Ausweg, der
hier, bleibt, ist die Ansiedlung nach Hunderttau>enoen zählenden Massen auf
eigenem Grund und Boden, und dazu steht uns nur noch der Osten 'unseres
Vaterlandes frei. Gerade dies deutsche AnsiedlmiMand aber ist jetzt auf das
Stärkste bedroht. Nicht nur durch den national-polnischen Imperialismus, der an
die Tore von Berlin und Danzig pocht; noch größer ist die Angriffe'ouest des
russischen Vottsimperialismus. der sich in der Sowjetarmee einen Machlfaktor ge¬
schaffen hat. dem wir bis in die letzteZeit nicht Gleichwertiges entgegenzusetzen hatten.

Der Zement-Soldatenrat der deutschen sozialistischen Republik und die
Volksbeauftragten, denen man wirklich keine Machtpolitik nach altem Sinne
zumuten da>f, haben durch die Neuregelung der Kommandogewalt bewiesen,
wie hoch sie die im Osten drohende Gefahr einschätze". In den Kreisen der
Regierung ist man sich seit den Ereignissen der letzien Wochen klar darüber
geworden^ was den A.- und S.'Rüden im Westen wohl nicht bekannt sein
dürfte: daß das Mißtrauen den sogenannten Bürgerlichen gegenüber vollkommen


Grenzboten I 1919 - 7


Was muß der Westen für den Grenzschutz des
Ostens tun?

le öffentliche Meinung der westdeutschen Gebiete ist nach dem im
November erfolgten Zusammenbruch mehr denn je geneigt, über
die Lo»lösnng vom preußischen vtaaiSwesen zu debattieren. Leider
haben sich diese Debatten in letzter Zeit immer bedrohlicher gestaltet
und finden in dem Memorandum des Staatssekretärs Dr. Preuß
energische Unterstützung. Rheinland, Westfalen und angrenzende
Gebiets glauben in sich selbst genügend Kraft zur eigenen staatlichen Existenz
zu besitzen. Die Befürchtungen der einzelnen politischen Parteigruppen treffen
sich in dem gleichen Bestreben: los von Berlin. Das Zentrum fürchtet für
den Zusammenhang von Staqt und Kirche in dem nengeordneten preußischen
Sraatswesen, die sozialistischen Parteien erblicken in der Aufrichtung einer Heeres¬
macht im Osten die Gefahr einer Gegenrevolution.

Soweit es sich um die wirtschaftlichen Znkunflsmöglichkeiten handelt, ist
der Standpunkt dieser beiden Richtungen außerordentlich kurzsichtig. Glaubt
etwa die Industrie des Westens durch einen engen Anschluß an Belgien und
Frankreich für den Weltwirischaftsmarkt Konkurrenzn>öglichkeiten zu erhalten?
Glauben die bürgerlichen Parteien aus sich allein Heiren des Bolschewismus
werden zu können? Sie mögen bedenken, daß das Heer der Arbeitslosen aus
den zur Konkurrenz nicht mehr geeignete» Gebieten enormen Zulauf finden
würde. Wo will man diese Bevölkerungsmassen unterbringen? Zwingt man
sie zur Auswanderung, exportiert man dieses beste Staatsgut, so werden aus
eigenen Volksgenossen die stärksten Gegner herangezüchtet. Ein Ausweg, der
hier, bleibt, ist die Ansiedlung nach Hunderttau>enoen zählenden Massen auf
eigenem Grund und Boden, und dazu steht uns nur noch der Osten 'unseres
Vaterlandes frei. Gerade dies deutsche AnsiedlmiMand aber ist jetzt auf das
Stärkste bedroht. Nicht nur durch den national-polnischen Imperialismus, der an
die Tore von Berlin und Danzig pocht; noch größer ist die Angriffe'ouest des
russischen Vottsimperialismus. der sich in der Sowjetarmee einen Machlfaktor ge¬
schaffen hat. dem wir bis in die letzteZeit nicht Gleichwertiges entgegenzusetzen hatten.

Der Zement-Soldatenrat der deutschen sozialistischen Republik und die
Volksbeauftragten, denen man wirklich keine Machtpolitik nach altem Sinne
zumuten da>f, haben durch die Neuregelung der Kommandogewalt bewiesen,
wie hoch sie die im Osten drohende Gefahr einschätze». In den Kreisen der
Regierung ist man sich seit den Ereignissen der letzien Wochen klar darüber
geworden^ was den A.- und S.'Rüden im Westen wohl nicht bekannt sein
dürfte: daß das Mißtrauen den sogenannten Bürgerlichen gegenüber vollkommen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335181/105>, abgerufen am 02.05.2024.