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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Neue Bücher
Dr. Arthur Liefert, "Vom Geist der Revolutionen." Berlin, Verlag Arthur
Collignon. 74 S. 3.50 M.

Man könnte wohl heute versucht sein, zu der alten Lehre zurückzukehren,
die, an dein Sinn und der Erkennbarkeit des disharmonischen, verworrenen
Menschengetriebes verzweifelnd, Ordnung und Gesetz nur in dem großen, ruhigen
Gang der Gestirne sieht. Indessen wir leben in jenem, es bedrängt und erregt
uns durch seine Gegenwart, und so müssen wir mit ihn: fertig zu werden, dazu
aber es geistig zu bewältigen suchen. Dies jedoch ist uur möglich, wenn wir es
nach Ideen beurteilen, d. h. trotz allem einen Sinn der Menschengeschichte voraus¬
setzen. Solcher Sinn, solche Vernunft in der Geschichte war schon vor hundert
Jahren in großartigen Werken der deutschen Philosophie, besonders Fichtes und
Hegels, gelehrt worden; von ihnen befruchtet, entwickelt Lieberes Schrift die
Grundzüge einer Geschichtsphilosophie, um durch 'sie das Problem der Revolution
zu verstehen. Das durch Gedankenreichtum wie durch bildhaften, schwungvollen
Stil packende Büchlein bekennt sich auch wie jene Nachfolger Kants zur Meta¬
physik; es erhält sein besonderes Gepräge durch Verarbeitung einer wohlbegreif¬
lichen Stimmung, indem es, von der Zwiespältigkeit und Tragik alles Mensch¬
lichen durchdrungen, (mit Ed. v. Hartmann sich berührend) selbst im Urgrund
alles Seins einen Widerstreit der Vernunft und des Willens gründet.
"

Den "Geist der Revolutionen erfassen, kann hiernach nicht bedeuten: die
jüngst von uns erlebte oder sonst eine Revolution geschichtlich ableiten, sondern
ein Verständnis des Sinns der Revolution überhaupt (auch jeder nichtpolitischen)
vermitteln und zwar durch eine Metaphysik, die man Pantragismus nennen
könnte. Demgemäß werden unversöhnliche Gegensätze im Wesen deS geschichtlichen
Lebens wie in dein der Revolution herausgearbeitet und in kunst- und wirkungs¬
vollster Verschlingung vorgeführt: so, daß jenes bei unerträglicher Steigerung
des ihm inwohnenden Widerstreits durch die Revolution zerrissen wird, diese aber
sowohl durch ihre eigenen Kräfte als durch ihre Auflehnung gegen jenes sich
selbst zerstört. Das geschichtliche Leben ist in seinem Wesen ein unaufhebbarer
Kampf zwischen Relativem, Endlichen und Absoluten, Unendlichen, das in
>hin wirkt, erscheint und ihm erst Sinn verleiht. Das Relativ.', verkörpert
w Überlieferungen, Vereinbarungen, Einrichtungen und Bindungen aller
^>re, "deren Recht lediglich in dein Umstand ihres Vorhandenseins und ihres Ge¬
brauchs liegt', naße sich mehr und mehr absolute Geltung an und verdrängt so
mit unentrinnbarer Dialektik allmählich die ewigen Werte und das ursprüngliche
Leben. Gegen diesen widersinnigen Zustand stürmen die Wogen der Revolution,
die aber aus zwei wesenhaften, in aller Geschichte wirksamen, jeweils in ganz
verschiedenem Stärleverhnltnis sich mischenden "Urquellen" im Absoluten ent¬
springen: aus dein noch ungeistigcn, an sich nicht werthaften Willen zum Leben
"der zur Macht, der nun als elementare, bald Bewunderung, bald Entsetzen er¬
regende Naturkraft dahinbrnust, und der Selbstgesetzgebung der Vernunft als der
Einheit der Kulturwertc, die, als absoluter Wert, nach ihren geistigen, insbesondere
mttlichen Normen das Leben erneuern, die Kultur neu erbauen will. In zweierlei
Gestalt wiederum waltet diese absolute Vernunft, jeden Menschen im Kleinsten
wie im Größten beherrschend, in der Geschichte: als Weltanschauung und als
Schicksalsmäßige Macht. Beide beherrschen und leiten den einzelnen wie die Ge¬
samtheit auf Sckritt und Tritt. Jede Revolution aber ist hinsichtlich ihrer Leistung
gemäß diesen beiden Formen nach ihrem Gehalte an Vernunft zu beurteilen.

Allein das Unternehmen der Revolution, das Unbedingte, Vollendete an die
stelle des. Relativen, Unzulänglichen zu setzen, ist zum Scheitern verurteilt; es führt
uiid unentrinnbarer Notwendigkeit zur "Krisis der Revolution": der Widerstreit
des geschichtlichen Lebens vervielfältigt und steigert sich in ihr so, daß sie sich selbst
ni ihrem Wesen zerstören muß. Zersetzung droht ihr von der Ausartung ihrer
"aturhaften Triebkräfte in Zügellosigkeit, durch deren Folgen alle Ordnung zer-



Neue Bücher
Dr. Arthur Liefert, „Vom Geist der Revolutionen." Berlin, Verlag Arthur
Collignon. 74 S. 3.50 M.

Man könnte wohl heute versucht sein, zu der alten Lehre zurückzukehren,
die, an dein Sinn und der Erkennbarkeit des disharmonischen, verworrenen
Menschengetriebes verzweifelnd, Ordnung und Gesetz nur in dem großen, ruhigen
Gang der Gestirne sieht. Indessen wir leben in jenem, es bedrängt und erregt
uns durch seine Gegenwart, und so müssen wir mit ihn: fertig zu werden, dazu
aber es geistig zu bewältigen suchen. Dies jedoch ist uur möglich, wenn wir es
nach Ideen beurteilen, d. h. trotz allem einen Sinn der Menschengeschichte voraus¬
setzen. Solcher Sinn, solche Vernunft in der Geschichte war schon vor hundert
Jahren in großartigen Werken der deutschen Philosophie, besonders Fichtes und
Hegels, gelehrt worden; von ihnen befruchtet, entwickelt Lieberes Schrift die
Grundzüge einer Geschichtsphilosophie, um durch 'sie das Problem der Revolution
zu verstehen. Das durch Gedankenreichtum wie durch bildhaften, schwungvollen
Stil packende Büchlein bekennt sich auch wie jene Nachfolger Kants zur Meta¬
physik; es erhält sein besonderes Gepräge durch Verarbeitung einer wohlbegreif¬
lichen Stimmung, indem es, von der Zwiespältigkeit und Tragik alles Mensch¬
lichen durchdrungen, (mit Ed. v. Hartmann sich berührend) selbst im Urgrund
alles Seins einen Widerstreit der Vernunft und des Willens gründet.
"

Den „Geist der Revolutionen erfassen, kann hiernach nicht bedeuten: die
jüngst von uns erlebte oder sonst eine Revolution geschichtlich ableiten, sondern
ein Verständnis des Sinns der Revolution überhaupt (auch jeder nichtpolitischen)
vermitteln und zwar durch eine Metaphysik, die man Pantragismus nennen
könnte. Demgemäß werden unversöhnliche Gegensätze im Wesen deS geschichtlichen
Lebens wie in dein der Revolution herausgearbeitet und in kunst- und wirkungs¬
vollster Verschlingung vorgeführt: so, daß jenes bei unerträglicher Steigerung
des ihm inwohnenden Widerstreits durch die Revolution zerrissen wird, diese aber
sowohl durch ihre eigenen Kräfte als durch ihre Auflehnung gegen jenes sich
selbst zerstört. Das geschichtliche Leben ist in seinem Wesen ein unaufhebbarer
Kampf zwischen Relativem, Endlichen und Absoluten, Unendlichen, das in
>hin wirkt, erscheint und ihm erst Sinn verleiht. Das Relativ.', verkörpert
w Überlieferungen, Vereinbarungen, Einrichtungen und Bindungen aller
^>re, „deren Recht lediglich in dein Umstand ihres Vorhandenseins und ihres Ge¬
brauchs liegt', naße sich mehr und mehr absolute Geltung an und verdrängt so
mit unentrinnbarer Dialektik allmählich die ewigen Werte und das ursprüngliche
Leben. Gegen diesen widersinnigen Zustand stürmen die Wogen der Revolution,
die aber aus zwei wesenhaften, in aller Geschichte wirksamen, jeweils in ganz
verschiedenem Stärleverhnltnis sich mischenden „Urquellen" im Absoluten ent¬
springen: aus dein noch ungeistigcn, an sich nicht werthaften Willen zum Leben
"der zur Macht, der nun als elementare, bald Bewunderung, bald Entsetzen er¬
regende Naturkraft dahinbrnust, und der Selbstgesetzgebung der Vernunft als der
Einheit der Kulturwertc, die, als absoluter Wert, nach ihren geistigen, insbesondere
mttlichen Normen das Leben erneuern, die Kultur neu erbauen will. In zweierlei
Gestalt wiederum waltet diese absolute Vernunft, jeden Menschen im Kleinsten
wie im Größten beherrschend, in der Geschichte: als Weltanschauung und als
Schicksalsmäßige Macht. Beide beherrschen und leiten den einzelnen wie die Ge¬
samtheit auf Sckritt und Tritt. Jede Revolution aber ist hinsichtlich ihrer Leistung
gemäß diesen beiden Formen nach ihrem Gehalte an Vernunft zu beurteilen.

Allein das Unternehmen der Revolution, das Unbedingte, Vollendete an die
stelle des. Relativen, Unzulänglichen zu setzen, ist zum Scheitern verurteilt; es führt
uiid unentrinnbarer Notwendigkeit zur „Krisis der Revolution": der Widerstreit
des geschichtlichen Lebens vervielfältigt und steigert sich in ihr so, daß sie sich selbst
ni ihrem Wesen zerstören muß. Zersetzung droht ihr von der Ausartung ihrer
»aturhaften Triebkräfte in Zügellosigkeit, durch deren Folgen alle Ordnung zer-


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[0267] Neue Bücher Dr. Arthur Liefert, „Vom Geist der Revolutionen." Berlin, Verlag Arthur Collignon. 74 S. 3.50 M. Man könnte wohl heute versucht sein, zu der alten Lehre zurückzukehren, die, an dein Sinn und der Erkennbarkeit des disharmonischen, verworrenen Menschengetriebes verzweifelnd, Ordnung und Gesetz nur in dem großen, ruhigen Gang der Gestirne sieht. Indessen wir leben in jenem, es bedrängt und erregt uns durch seine Gegenwart, und so müssen wir mit ihn: fertig zu werden, dazu aber es geistig zu bewältigen suchen. Dies jedoch ist uur möglich, wenn wir es nach Ideen beurteilen, d. h. trotz allem einen Sinn der Menschengeschichte voraus¬ setzen. Solcher Sinn, solche Vernunft in der Geschichte war schon vor hundert Jahren in großartigen Werken der deutschen Philosophie, besonders Fichtes und Hegels, gelehrt worden; von ihnen befruchtet, entwickelt Lieberes Schrift die Grundzüge einer Geschichtsphilosophie, um durch 'sie das Problem der Revolution zu verstehen. Das durch Gedankenreichtum wie durch bildhaften, schwungvollen Stil packende Büchlein bekennt sich auch wie jene Nachfolger Kants zur Meta¬ physik; es erhält sein besonderes Gepräge durch Verarbeitung einer wohlbegreif¬ lichen Stimmung, indem es, von der Zwiespältigkeit und Tragik alles Mensch¬ lichen durchdrungen, (mit Ed. v. Hartmann sich berührend) selbst im Urgrund alles Seins einen Widerstreit der Vernunft und des Willens gründet. " Den „Geist der Revolutionen erfassen, kann hiernach nicht bedeuten: die jüngst von uns erlebte oder sonst eine Revolution geschichtlich ableiten, sondern ein Verständnis des Sinns der Revolution überhaupt (auch jeder nichtpolitischen) vermitteln und zwar durch eine Metaphysik, die man Pantragismus nennen könnte. Demgemäß werden unversöhnliche Gegensätze im Wesen deS geschichtlichen Lebens wie in dein der Revolution herausgearbeitet und in kunst- und wirkungs¬ vollster Verschlingung vorgeführt: so, daß jenes bei unerträglicher Steigerung des ihm inwohnenden Widerstreits durch die Revolution zerrissen wird, diese aber sowohl durch ihre eigenen Kräfte als durch ihre Auflehnung gegen jenes sich selbst zerstört. Das geschichtliche Leben ist in seinem Wesen ein unaufhebbarer Kampf zwischen Relativem, Endlichen und Absoluten, Unendlichen, das in >hin wirkt, erscheint und ihm erst Sinn verleiht. Das Relativ.', verkörpert w Überlieferungen, Vereinbarungen, Einrichtungen und Bindungen aller ^>re, „deren Recht lediglich in dein Umstand ihres Vorhandenseins und ihres Ge¬ brauchs liegt', naße sich mehr und mehr absolute Geltung an und verdrängt so mit unentrinnbarer Dialektik allmählich die ewigen Werte und das ursprüngliche Leben. Gegen diesen widersinnigen Zustand stürmen die Wogen der Revolution, die aber aus zwei wesenhaften, in aller Geschichte wirksamen, jeweils in ganz verschiedenem Stärleverhnltnis sich mischenden „Urquellen" im Absoluten ent¬ springen: aus dein noch ungeistigcn, an sich nicht werthaften Willen zum Leben "der zur Macht, der nun als elementare, bald Bewunderung, bald Entsetzen er¬ regende Naturkraft dahinbrnust, und der Selbstgesetzgebung der Vernunft als der Einheit der Kulturwertc, die, als absoluter Wert, nach ihren geistigen, insbesondere mttlichen Normen das Leben erneuern, die Kultur neu erbauen will. In zweierlei Gestalt wiederum waltet diese absolute Vernunft, jeden Menschen im Kleinsten wie im Größten beherrschend, in der Geschichte: als Weltanschauung und als Schicksalsmäßige Macht. Beide beherrschen und leiten den einzelnen wie die Ge¬ samtheit auf Sckritt und Tritt. Jede Revolution aber ist hinsichtlich ihrer Leistung gemäß diesen beiden Formen nach ihrem Gehalte an Vernunft zu beurteilen. Allein das Unternehmen der Revolution, das Unbedingte, Vollendete an die stelle des. Relativen, Unzulänglichen zu setzen, ist zum Scheitern verurteilt; es führt uiid unentrinnbarer Notwendigkeit zur „Krisis der Revolution": der Widerstreit des geschichtlichen Lebens vervielfältigt und steigert sich in ihr so, daß sie sich selbst ni ihrem Wesen zerstören muß. Zersetzung droht ihr von der Ausartung ihrer »aturhaften Triebkräfte in Zügellosigkeit, durch deren Folgen alle Ordnung zer-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/267>, abgerufen am 29.04.2024.