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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Pressestimmen

[Beginn Spaltensatz]

schriften wurden beschlagnahmt zwecks Ver¬
nichtung. Lubelski hat sich, wie aus den
Beweispapieren zu ersehen ist, eben erst aus
Dombrowa-Cürnieza ähnelten lassen.
Gazeta Polska .Kosten) Ur. 82 vom 4. April.

Entdeckung einer bolschewistischen Or¬
ganisation. In Landtagskreisen wurde vor¬
gestern erzählt, daß auf einer der Stationen
bei Kowel vier verdächtige Personen, darunter
eine Frau, auf dem Wege aus Kiew von
den Behörden angehalten wurde. Die vor¬
genommene Revision brachte eine ganze
Menge belastender Beweise und Korre¬
spondenzen an verschiedene Personen in
Warschau, Ludim und im Dombrower
Kohlenbecken zutage. Man hat auf diese
Weise die Spur einer Organisation der
Sowjetagitatoren entdeckt, die in Polen tätig
sind. In Verbindung mit dieser Entdeckung
sind viele Verhaftungen vorgenommen worden.

Dziennik Poznanski (Posen) Ur. 88 vom
15. April.

DieZeitung berichtet über die Gründungs-
versttmmlung einer bürgerlichen Partei, die

am 14. April stattfand. Das Programm in
der Nationalitätenfrage lautet: Gegenüber
der deutschen Bevölkerung und nationalen
Minderheiten in Polen werden wir uns
durch eine Toleranz in Präzise um¬
schriebenen Grenzen leiten lassen, damit nicht
irgend ein Schade für das Interesse der
Nation entsteht. Wir verlangen 1. voll¬
ständige innerlich geistige und äußere Polo-
nisierung unserer Städte, 2. Entfernung der
deutschen Beamten und Ersetzung derselben
durch Pslen. Wir fordern schleunigste Po-
Ionisierung der Schulen durch Entfernung
aller Lehrer, welche die Sprache nicht be¬
herrschen, oder uns feindlich gesinnt sind.
(Toleranz in Präzise umschriebenen Grenzen
ist ein sehr hübscher Begriff Anm. d. Red.)

Bestechung "ut Protektion. Die in
Warschau erscheinende neue Wochenschrift
"Sprawa" charakterisiert die polnischen Be¬
amtenzustände folgendermaßen:

Das Bestechertum vernichtet unseren
Volksorganismus. Unsere Ämter, besonders
die Approvisationsämter, sind gefüllt mit
merkwürdigen Individuen, die bescheidene
Beamtengehältsr beziehen, trotzdem aber über
ihren Stand leben und Tausende für Luxus-

[Spaltenumbruch]

und Genußmittel ausgeben. Noch mehr die¬
jenigen, welche während der moskowitischen
Zeiten Mietlinge waren und dann in den
Preußischen Dienst traten, spielen heute in
den Polnischen Ämtern eine Rolle und rauben
alles, was sich rauben läßt. Es ist ein
öffentliches Geheimnis, daß viel Staatsgut,
welches sich in den Händen des Staates
befinden müßte, Privatleute besitzen und
dasselbe zu hohen Preisen dem Staate zu¬
rückverkaufen. (Militärmützen aus Stoffen,
die nur die Polnischen Ämter besitzen ) Es
ist möglich, daß die höheren Beamten sich
keine Mißgriffe zu schulden kommen lassen.
Sie achten aber zu wenig energisch darauf,
daß andere diese Mißgriffe nicht verschulden.

Der Bestechung folgt der Nepotismus.
Zu Zeiten der Moskowiter und Deutschen
konnte man eine Stellung nur durch Protek¬
tion erhalten. Dasselbe ist auch heute der
Fall. Eine Stellung ohne Protektion zu
erhalten, ist gar nicht denkbar. Nicht Quali¬
fikation, nicht Befähigung, sondern Bekannt¬
schaften und gute Verbindungen, oft auch
Parteizugehörigkeit, spielen die erste Rolle
und dienen als Beweis der besten Befähi¬
gung und Redlichkeit.

Ein schlechtes System reißt auf ver¬
schiedenen unsererNmter ein. Die Funktionäre,
die sich Mißgriffe zu schulden kommen lassen,
werden nicht ihrer Stellung enthoben, sondern
versetzt. -- Vielleicht zur Strafe auf schlechtere
Posten? -- Keineswegs. Mit größter Sorg¬
falt wird darauf geachtet, daß der redliche
Beamte auf den bisherigen Etat gestellt
bleibt. Noch ein Schritt und wir kommen
dahin, daß es bei uns so zugeht, wie im
zaristischen Rußland, daß die Übergriffe zu
Beförderungen führten, denn der angeklagte
Beamte wurde natürlich auf einen höheren
Posten versetzt. Angeblich soll einer unserer
Minister gesagt haben, als man ihn auf
diese Angelegenheit aufmerksam machte:
Wenn ich alle für Bestechung und Diebstahl
entfernen wollte, so bleibe ich ohne Beamte.

2. Auslandspresse

Der "Manchester Guardian" gegen die
polnischen Machtanspriiche. In der deutschen
Presse ist in einem kurzen Auszüge ein Ar¬
tikel des "Manchester Guardian" vom 15. März

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Pressestimmen

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schriften wurden beschlagnahmt zwecks Ver¬
nichtung. Lubelski hat sich, wie aus den
Beweispapieren zu ersehen ist, eben erst aus
Dombrowa-Cürnieza ähnelten lassen.
Gazeta Polska .Kosten) Ur. 82 vom 4. April.

Entdeckung einer bolschewistischen Or¬
ganisation. In Landtagskreisen wurde vor¬
gestern erzählt, daß auf einer der Stationen
bei Kowel vier verdächtige Personen, darunter
eine Frau, auf dem Wege aus Kiew von
den Behörden angehalten wurde. Die vor¬
genommene Revision brachte eine ganze
Menge belastender Beweise und Korre¬
spondenzen an verschiedene Personen in
Warschau, Ludim und im Dombrower
Kohlenbecken zutage. Man hat auf diese
Weise die Spur einer Organisation der
Sowjetagitatoren entdeckt, die in Polen tätig
sind. In Verbindung mit dieser Entdeckung
sind viele Verhaftungen vorgenommen worden.

Dziennik Poznanski (Posen) Ur. 88 vom
15. April.

DieZeitung berichtet über die Gründungs-
versttmmlung einer bürgerlichen Partei, die

am 14. April stattfand. Das Programm in
der Nationalitätenfrage lautet: Gegenüber
der deutschen Bevölkerung und nationalen
Minderheiten in Polen werden wir uns
durch eine Toleranz in Präzise um¬
schriebenen Grenzen leiten lassen, damit nicht
irgend ein Schade für das Interesse der
Nation entsteht. Wir verlangen 1. voll¬
ständige innerlich geistige und äußere Polo-
nisierung unserer Städte, 2. Entfernung der
deutschen Beamten und Ersetzung derselben
durch Pslen. Wir fordern schleunigste Po-
Ionisierung der Schulen durch Entfernung
aller Lehrer, welche die Sprache nicht be¬
herrschen, oder uns feindlich gesinnt sind.
(Toleranz in Präzise umschriebenen Grenzen
ist ein sehr hübscher Begriff Anm. d. Red.)

Bestechung «ut Protektion. Die in
Warschau erscheinende neue Wochenschrift
„Sprawa" charakterisiert die polnischen Be¬
amtenzustände folgendermaßen:

Das Bestechertum vernichtet unseren
Volksorganismus. Unsere Ämter, besonders
die Approvisationsämter, sind gefüllt mit
merkwürdigen Individuen, die bescheidene
Beamtengehältsr beziehen, trotzdem aber über
ihren Stand leben und Tausende für Luxus-

[Spaltenumbruch]

und Genußmittel ausgeben. Noch mehr die¬
jenigen, welche während der moskowitischen
Zeiten Mietlinge waren und dann in den
Preußischen Dienst traten, spielen heute in
den Polnischen Ämtern eine Rolle und rauben
alles, was sich rauben läßt. Es ist ein
öffentliches Geheimnis, daß viel Staatsgut,
welches sich in den Händen des Staates
befinden müßte, Privatleute besitzen und
dasselbe zu hohen Preisen dem Staate zu¬
rückverkaufen. (Militärmützen aus Stoffen,
die nur die Polnischen Ämter besitzen ) Es
ist möglich, daß die höheren Beamten sich
keine Mißgriffe zu schulden kommen lassen.
Sie achten aber zu wenig energisch darauf,
daß andere diese Mißgriffe nicht verschulden.

Der Bestechung folgt der Nepotismus.
Zu Zeiten der Moskowiter und Deutschen
konnte man eine Stellung nur durch Protek¬
tion erhalten. Dasselbe ist auch heute der
Fall. Eine Stellung ohne Protektion zu
erhalten, ist gar nicht denkbar. Nicht Quali¬
fikation, nicht Befähigung, sondern Bekannt¬
schaften und gute Verbindungen, oft auch
Parteizugehörigkeit, spielen die erste Rolle
und dienen als Beweis der besten Befähi¬
gung und Redlichkeit.

Ein schlechtes System reißt auf ver¬
schiedenen unsererNmter ein. Die Funktionäre,
die sich Mißgriffe zu schulden kommen lassen,
werden nicht ihrer Stellung enthoben, sondern
versetzt. — Vielleicht zur Strafe auf schlechtere
Posten? — Keineswegs. Mit größter Sorg¬
falt wird darauf geachtet, daß der redliche
Beamte auf den bisherigen Etat gestellt
bleibt. Noch ein Schritt und wir kommen
dahin, daß es bei uns so zugeht, wie im
zaristischen Rußland, daß die Übergriffe zu
Beförderungen führten, denn der angeklagte
Beamte wurde natürlich auf einen höheren
Posten versetzt. Angeblich soll einer unserer
Minister gesagt haben, als man ihn auf
diese Angelegenheit aufmerksam machte:
Wenn ich alle für Bestechung und Diebstahl
entfernen wollte, so bleibe ich ohne Beamte.

2. Auslandspresse

Der „Manchester Guardian" gegen die
polnischen Machtanspriiche. In der deutschen
Presse ist in einem kurzen Auszüge ein Ar¬
tikel des „Manchester Guardian" vom 15. März

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/460>, abgerufen am 29.04.2024.