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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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Das Rcizipsche Abenteuer

verdunkelt war. Mancher tapfere Frontosfizicr, der sich oft mit zahlreicher
Familie im reifen Mannesalter mit kärglichsten Ruhegehalt aufs Pflaster
geworfen sah, hoffte von der neuen Negierung eine ähnliche Fürsorge, wie sie
nach der Novemberrevolution anderen Volksschichten reichlich zuteil geworden
war. Solche Zurückgesetzten drängten sich jetzt heran. Sie sahen in den
Generalen von Seeckt, von Loßberg und den übrigen Ebert treu gebliebenen
Offizieren nur Verräter, denen das Erhalten' der eigenen Stellung über dem
kameradschaftlichen Gemeingeist stand. Neben diesen bedauernswerten, nach
neuer Verwendung dürstenden "Enterbten" standen andere, welche nur die
vaterländische Pflicht, wie sie sie verstanden, an die Seite der Verschwörer riß.
Irregeführter Gehorsam und Treue wirkten bei den meisten stärker als eigensüchtige
Gründe. Im allgemeinen ist wohl nie eine Revolution ehrenamtlicher und dabei
kurzsichtiger mit allen guten aber auch unzulänglichen Eigenschaften des alten
Deutschlands unternommen worden. Die militärische Machtentfaltung, obwohl
sie sich im ganzen auf die Besetzung der Wilhelmstraße und die Entrollung
schwarzweißroter Fahnen beschränkte, berauschte diese Unglücklichen so, daß sie
ein neues Heranbrechen des erst vor wenigen Jahren entschwundenen mächtigen
Deutschen Reiches erhofften. In Wirklichkeit war es ein letztes Aufflackern,
das niemand mehr schaden mußte, als dem Nest des alten Deutschlands selbst.
Diese Schwärmer redeten sich aber in solche Selbsttäuschung über die Lage
hinein, daß am Sonntag abend die Aussicht auf ein rechtzeitiges Einbiegen
der Putschisten erlosch.

Als das günstige Moment zur Entwirrung der Lage sahen Trotha,
Hünern und Karmann den Umstand an, daß die größten Teile der Reichs¬
wehr, darunter ihre eigentlichen Köpfe, der alten Regierung treu geblieben
waren und ihr auch, soweit sie in der Provinz standen, viel offenkundiger treu
bleiben konnten als die in Berlin befindlichen Herren, welche selbstverständlich
einen Bruderkrieg in der Stadt Berlin vermeiden mußten. Da die Reichs¬
wehr nicht aufeinander zu schießen gewillt war, so hofften die vernünftigen
Elemente in Berlin darauf, daß Loßberg und Seeckt die Anhänger Lüttwitz'
bald zu sich herüberziehen würden. Andererseits rechneten die Desperados vom
Lüttwitzstab auf die Chancen einer energischen Minderheit. Sie erklärten,
wenn es zur Belagerung Berlins käme, so würden sie als die Entschlosseneren
zweifellos schießen, die andern nicht, und so würde die Reichswehr trotz der
"verräterischen" Haltung vieler Generale zu jener Einigkeit zurückkehren, welche
den Erfolg verbürgt. Diese Berechnung mit die Ausschaltung aller nicht mili¬
tärischen Momente der Lage kennzeichnet zur Genüge ihren geistigen Horizont.


V.

Endlich amMontag, den 15.März, vormittags, gelang es KapitänHumann,
Herrn Kapp über den wirklichen Stand der Dinge aufzuklären. Er begab steh
mit dem Karmannschen Material zu Kapp, obwohl Pabst auch ihn wiederum


Das Rcizipsche Abenteuer

verdunkelt war. Mancher tapfere Frontosfizicr, der sich oft mit zahlreicher
Familie im reifen Mannesalter mit kärglichsten Ruhegehalt aufs Pflaster
geworfen sah, hoffte von der neuen Negierung eine ähnliche Fürsorge, wie sie
nach der Novemberrevolution anderen Volksschichten reichlich zuteil geworden
war. Solche Zurückgesetzten drängten sich jetzt heran. Sie sahen in den
Generalen von Seeckt, von Loßberg und den übrigen Ebert treu gebliebenen
Offizieren nur Verräter, denen das Erhalten' der eigenen Stellung über dem
kameradschaftlichen Gemeingeist stand. Neben diesen bedauernswerten, nach
neuer Verwendung dürstenden „Enterbten" standen andere, welche nur die
vaterländische Pflicht, wie sie sie verstanden, an die Seite der Verschwörer riß.
Irregeführter Gehorsam und Treue wirkten bei den meisten stärker als eigensüchtige
Gründe. Im allgemeinen ist wohl nie eine Revolution ehrenamtlicher und dabei
kurzsichtiger mit allen guten aber auch unzulänglichen Eigenschaften des alten
Deutschlands unternommen worden. Die militärische Machtentfaltung, obwohl
sie sich im ganzen auf die Besetzung der Wilhelmstraße und die Entrollung
schwarzweißroter Fahnen beschränkte, berauschte diese Unglücklichen so, daß sie
ein neues Heranbrechen des erst vor wenigen Jahren entschwundenen mächtigen
Deutschen Reiches erhofften. In Wirklichkeit war es ein letztes Aufflackern,
das niemand mehr schaden mußte, als dem Nest des alten Deutschlands selbst.
Diese Schwärmer redeten sich aber in solche Selbsttäuschung über die Lage
hinein, daß am Sonntag abend die Aussicht auf ein rechtzeitiges Einbiegen
der Putschisten erlosch.

Als das günstige Moment zur Entwirrung der Lage sahen Trotha,
Hünern und Karmann den Umstand an, daß die größten Teile der Reichs¬
wehr, darunter ihre eigentlichen Köpfe, der alten Regierung treu geblieben
waren und ihr auch, soweit sie in der Provinz standen, viel offenkundiger treu
bleiben konnten als die in Berlin befindlichen Herren, welche selbstverständlich
einen Bruderkrieg in der Stadt Berlin vermeiden mußten. Da die Reichs¬
wehr nicht aufeinander zu schießen gewillt war, so hofften die vernünftigen
Elemente in Berlin darauf, daß Loßberg und Seeckt die Anhänger Lüttwitz'
bald zu sich herüberziehen würden. Andererseits rechneten die Desperados vom
Lüttwitzstab auf die Chancen einer energischen Minderheit. Sie erklärten,
wenn es zur Belagerung Berlins käme, so würden sie als die Entschlosseneren
zweifellos schießen, die andern nicht, und so würde die Reichswehr trotz der
„verräterischen" Haltung vieler Generale zu jener Einigkeit zurückkehren, welche
den Erfolg verbürgt. Diese Berechnung mit die Ausschaltung aller nicht mili¬
tärischen Momente der Lage kennzeichnet zur Genüge ihren geistigen Horizont.


V.

Endlich amMontag, den 15.März, vormittags, gelang es KapitänHumann,
Herrn Kapp über den wirklichen Stand der Dinge aufzuklären. Er begab steh
mit dem Karmannschen Material zu Kapp, obwohl Pabst auch ihn wiederum


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[0352] Das Rcizipsche Abenteuer verdunkelt war. Mancher tapfere Frontosfizicr, der sich oft mit zahlreicher Familie im reifen Mannesalter mit kärglichsten Ruhegehalt aufs Pflaster geworfen sah, hoffte von der neuen Negierung eine ähnliche Fürsorge, wie sie nach der Novemberrevolution anderen Volksschichten reichlich zuteil geworden war. Solche Zurückgesetzten drängten sich jetzt heran. Sie sahen in den Generalen von Seeckt, von Loßberg und den übrigen Ebert treu gebliebenen Offizieren nur Verräter, denen das Erhalten' der eigenen Stellung über dem kameradschaftlichen Gemeingeist stand. Neben diesen bedauernswerten, nach neuer Verwendung dürstenden „Enterbten" standen andere, welche nur die vaterländische Pflicht, wie sie sie verstanden, an die Seite der Verschwörer riß. Irregeführter Gehorsam und Treue wirkten bei den meisten stärker als eigensüchtige Gründe. Im allgemeinen ist wohl nie eine Revolution ehrenamtlicher und dabei kurzsichtiger mit allen guten aber auch unzulänglichen Eigenschaften des alten Deutschlands unternommen worden. Die militärische Machtentfaltung, obwohl sie sich im ganzen auf die Besetzung der Wilhelmstraße und die Entrollung schwarzweißroter Fahnen beschränkte, berauschte diese Unglücklichen so, daß sie ein neues Heranbrechen des erst vor wenigen Jahren entschwundenen mächtigen Deutschen Reiches erhofften. In Wirklichkeit war es ein letztes Aufflackern, das niemand mehr schaden mußte, als dem Nest des alten Deutschlands selbst. Diese Schwärmer redeten sich aber in solche Selbsttäuschung über die Lage hinein, daß am Sonntag abend die Aussicht auf ein rechtzeitiges Einbiegen der Putschisten erlosch. Als das günstige Moment zur Entwirrung der Lage sahen Trotha, Hünern und Karmann den Umstand an, daß die größten Teile der Reichs¬ wehr, darunter ihre eigentlichen Köpfe, der alten Regierung treu geblieben waren und ihr auch, soweit sie in der Provinz standen, viel offenkundiger treu bleiben konnten als die in Berlin befindlichen Herren, welche selbstverständlich einen Bruderkrieg in der Stadt Berlin vermeiden mußten. Da die Reichs¬ wehr nicht aufeinander zu schießen gewillt war, so hofften die vernünftigen Elemente in Berlin darauf, daß Loßberg und Seeckt die Anhänger Lüttwitz' bald zu sich herüberziehen würden. Andererseits rechneten die Desperados vom Lüttwitzstab auf die Chancen einer energischen Minderheit. Sie erklärten, wenn es zur Belagerung Berlins käme, so würden sie als die Entschlosseneren zweifellos schießen, die andern nicht, und so würde die Reichswehr trotz der „verräterischen" Haltung vieler Generale zu jener Einigkeit zurückkehren, welche den Erfolg verbürgt. Diese Berechnung mit die Ausschaltung aller nicht mili¬ tärischen Momente der Lage kennzeichnet zur Genüge ihren geistigen Horizont. V. Endlich amMontag, den 15.März, vormittags, gelang es KapitänHumann, Herrn Kapp über den wirklichen Stand der Dinge aufzuklären. Er begab steh mit dem Karmannschen Material zu Kapp, obwohl Pabst auch ihn wiederum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/352>, abgerufen am 02.05.2024.