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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr.

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Der elsaß-loihringische und der französische Regionalismus

Der elsaß-lothringische und der französische
Regionalismus
Fritz König von

Hin Kampf gegen den französischen Unitarismus und Zentralismus
flüchtete sich der elsaß-lothringische Partikularismus schon in den
ersten Monaten nach dem Einmarsch der Franzosen zum regio-
! ncilistischen Gedanken, der auch in Jnnerfwnkreich eine be¬
trächtliche Anhängerschaft hat. Dieser Gedanke erschien als der
Sirohhalm, an den man sich anklammern könne, um nicht ganz unier die Näder
der zsntralistischen Verwaltungsmaschine Frankreichs zu geraten, die einen einfach
zu drei Departements zurechtgewalzt hätte, in denen die elsässische Eigenart er¬
stickt worden wäre, und so wurde denn unter der Flagge des Regionalisums
vor allem von der "Republikanischen Volkspartei", dem ehemaligen Zentrum, ein
Programm entwickelt, das zwar der Liebesbeteusrungen gegenüber Frankreich voll
war, im übrigen aber einen Strauß von Forderungen erhielt, die im Grunde
genommen auf nichts anderes hinausliefen als auf die Forderung der
Autonomie im Rahmen Frankreichs.

Die französischen Herren waren mit der Überzeugung ins Land gekommen,
den elsaß-lothringischen Staat, der unter deutscher Herrschaft entstanden war, ein-
fach von seinem Fundamente abheben zu können, indem sie den deutschen Ver¬
waltungsapparat zerstörten und den "Nationalrat", den legitimen Erben des alten
Landtages, stillschweigend erdrosselten. Immerhin hat dieser sich beim Einrücken
der Franzosen, die auch er als "Befreier" begrüßte, dazu aufgeschwungen, die
Achiung vor den Eigenrechten des elsaß-lothringischen Volkes zu fordern,
und hat so die Welt vor die bedeutsame Tatsache gestellt, daß der elsaß-
lothringische Partikularismus sich schon während der Feste des Einzuges auch den
Franzosen gegenüber zum Worte meldete.

Im Überschwang ihres Siegestaumels achteten die Franzosen darauf nicht,
sondern versuchten, ihrer nationalistischen Legende von der Sehnsucht der unter¬
drückten elsässischen und lothringischen Brüder nach restloser Rückkehr zum Mutter¬
lande gemäß einfach da wieder anzuknüpfen, wo sie 1870 aufgehört halten. Die
Folge aber war, daß sie den empfindlichen Nerv des elsässischen Selbstgefühls
berührten; sie stießen daher bald auf einen Widerstand, den sie nicht brechen
konnten, ohne noch vor Friedensschluß die Aufmerksamkeit erneut auf die elsciß"
lothringische Frage zu lenken.-

So mußten sie denn sehr schnell zu dem System der BerwaltungZ
autonomie in Elsaß-Lothringen zurückkehren. Herr Millerand wurde als
"Lommissairs Zenöral cle 1a Kepublique" der erste "Statthalter" Frankreichs
in Elsaß-Lothringen. Die Tatsache seiner Ernennung schloß das widerwillig ge¬
gebene Zugeständnis ein, daß Elsaß-Lothringen seiner ganzen staatlichen und
wirtschaftlichen Struktur nach ein in sich geschlossenes Gebilde ist, das der Ein¬
gliederung in Frankreich die größten Schwierigkeiten bereitet.

Das war aber nicht das einzige Zugeständnis, das die "rchublique une et
inäivisiblo" machen mußte. In jenen Tagen der ersten Enttäuschung -- es war


Der elsaß-loihringische und der französische Regionalismus

Der elsaß-lothringische und der französische
Regionalismus
Fritz König von

Hin Kampf gegen den französischen Unitarismus und Zentralismus
flüchtete sich der elsaß-lothringische Partikularismus schon in den
ersten Monaten nach dem Einmarsch der Franzosen zum regio-
! ncilistischen Gedanken, der auch in Jnnerfwnkreich eine be¬
trächtliche Anhängerschaft hat. Dieser Gedanke erschien als der
Sirohhalm, an den man sich anklammern könne, um nicht ganz unier die Näder
der zsntralistischen Verwaltungsmaschine Frankreichs zu geraten, die einen einfach
zu drei Departements zurechtgewalzt hätte, in denen die elsässische Eigenart er¬
stickt worden wäre, und so wurde denn unter der Flagge des Regionalisums
vor allem von der „Republikanischen Volkspartei", dem ehemaligen Zentrum, ein
Programm entwickelt, das zwar der Liebesbeteusrungen gegenüber Frankreich voll
war, im übrigen aber einen Strauß von Forderungen erhielt, die im Grunde
genommen auf nichts anderes hinausliefen als auf die Forderung der
Autonomie im Rahmen Frankreichs.

Die französischen Herren waren mit der Überzeugung ins Land gekommen,
den elsaß-lothringischen Staat, der unter deutscher Herrschaft entstanden war, ein-
fach von seinem Fundamente abheben zu können, indem sie den deutschen Ver¬
waltungsapparat zerstörten und den „Nationalrat", den legitimen Erben des alten
Landtages, stillschweigend erdrosselten. Immerhin hat dieser sich beim Einrücken
der Franzosen, die auch er als „Befreier" begrüßte, dazu aufgeschwungen, die
Achiung vor den Eigenrechten des elsaß-lothringischen Volkes zu fordern,
und hat so die Welt vor die bedeutsame Tatsache gestellt, daß der elsaß-
lothringische Partikularismus sich schon während der Feste des Einzuges auch den
Franzosen gegenüber zum Worte meldete.

Im Überschwang ihres Siegestaumels achteten die Franzosen darauf nicht,
sondern versuchten, ihrer nationalistischen Legende von der Sehnsucht der unter¬
drückten elsässischen und lothringischen Brüder nach restloser Rückkehr zum Mutter¬
lande gemäß einfach da wieder anzuknüpfen, wo sie 1870 aufgehört halten. Die
Folge aber war, daß sie den empfindlichen Nerv des elsässischen Selbstgefühls
berührten; sie stießen daher bald auf einen Widerstand, den sie nicht brechen
konnten, ohne noch vor Friedensschluß die Aufmerksamkeit erneut auf die elsciß"
lothringische Frage zu lenken.-

So mußten sie denn sehr schnell zu dem System der BerwaltungZ
autonomie in Elsaß-Lothringen zurückkehren. Herr Millerand wurde als
„Lommissairs Zenöral cle 1a Kepublique« der erste „Statthalter" Frankreichs
in Elsaß-Lothringen. Die Tatsache seiner Ernennung schloß das widerwillig ge¬
gebene Zugeständnis ein, daß Elsaß-Lothringen seiner ganzen staatlichen und
wirtschaftlichen Struktur nach ein in sich geschlossenes Gebilde ist, das der Ein¬
gliederung in Frankreich die größten Schwierigkeiten bereitet.

Das war aber nicht das einzige Zugeständnis, das die „rchublique une et
inäivisiblo« machen mußte. In jenen Tagen der ersten Enttäuschung — es war


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[0134] Der elsaß-loihringische und der französische Regionalismus Der elsaß-lothringische und der französische Regionalismus Fritz König von Hin Kampf gegen den französischen Unitarismus und Zentralismus flüchtete sich der elsaß-lothringische Partikularismus schon in den ersten Monaten nach dem Einmarsch der Franzosen zum regio- ! ncilistischen Gedanken, der auch in Jnnerfwnkreich eine be¬ trächtliche Anhängerschaft hat. Dieser Gedanke erschien als der Sirohhalm, an den man sich anklammern könne, um nicht ganz unier die Näder der zsntralistischen Verwaltungsmaschine Frankreichs zu geraten, die einen einfach zu drei Departements zurechtgewalzt hätte, in denen die elsässische Eigenart er¬ stickt worden wäre, und so wurde denn unter der Flagge des Regionalisums vor allem von der „Republikanischen Volkspartei", dem ehemaligen Zentrum, ein Programm entwickelt, das zwar der Liebesbeteusrungen gegenüber Frankreich voll war, im übrigen aber einen Strauß von Forderungen erhielt, die im Grunde genommen auf nichts anderes hinausliefen als auf die Forderung der Autonomie im Rahmen Frankreichs. Die französischen Herren waren mit der Überzeugung ins Land gekommen, den elsaß-lothringischen Staat, der unter deutscher Herrschaft entstanden war, ein- fach von seinem Fundamente abheben zu können, indem sie den deutschen Ver¬ waltungsapparat zerstörten und den „Nationalrat", den legitimen Erben des alten Landtages, stillschweigend erdrosselten. Immerhin hat dieser sich beim Einrücken der Franzosen, die auch er als „Befreier" begrüßte, dazu aufgeschwungen, die Achiung vor den Eigenrechten des elsaß-lothringischen Volkes zu fordern, und hat so die Welt vor die bedeutsame Tatsache gestellt, daß der elsaß- lothringische Partikularismus sich schon während der Feste des Einzuges auch den Franzosen gegenüber zum Worte meldete. Im Überschwang ihres Siegestaumels achteten die Franzosen darauf nicht, sondern versuchten, ihrer nationalistischen Legende von der Sehnsucht der unter¬ drückten elsässischen und lothringischen Brüder nach restloser Rückkehr zum Mutter¬ lande gemäß einfach da wieder anzuknüpfen, wo sie 1870 aufgehört halten. Die Folge aber war, daß sie den empfindlichen Nerv des elsässischen Selbstgefühls berührten; sie stießen daher bald auf einen Widerstand, den sie nicht brechen konnten, ohne noch vor Friedensschluß die Aufmerksamkeit erneut auf die elsciß" lothringische Frage zu lenken.- So mußten sie denn sehr schnell zu dem System der BerwaltungZ autonomie in Elsaß-Lothringen zurückkehren. Herr Millerand wurde als „Lommissairs Zenöral cle 1a Kepublique« der erste „Statthalter" Frankreichs in Elsaß-Lothringen. Die Tatsache seiner Ernennung schloß das widerwillig ge¬ gebene Zugeständnis ein, daß Elsaß-Lothringen seiner ganzen staatlichen und wirtschaftlichen Struktur nach ein in sich geschlossenes Gebilde ist, das der Ein¬ gliederung in Frankreich die größten Schwierigkeiten bereitet. Das war aber nicht das einzige Zugeständnis, das die „rchublique une et inäivisiblo« machen mußte. In jenen Tagen der ersten Enttäuschung — es war

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337236/134>, abgerufen am 05.05.2024.