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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr.

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[Beginn Spaltensatz]

B. W. v. Bülow, Die Grundlinien der
diplomatischen Verhandlungen bei Kriegs¬
ausbruch. Deutsche Verlagsgesellschaft für
Politik und Geschichte in, b. H. Char¬
lottenburg 1920.

Wir lernen allmählich die Ereignisse von
1914 geschichtlich betrachten. Sie liegen fast
sechs Jahre zurück, entfernen sich täglich
weiter und werden -- erläutert und er¬
gänzt durch allerhand neue Urkunden --
immer sichtbarer. Es ist gut, daß im Be¬
ginn deS Krieges seine Ursachen stehen und
in dem Bestreben, Versailles zu begründen,
das Trachten unserer Feinde, uns die
alleinige Schuld an dem Weltunglück zu¬
zudiktieren. Von der Schuldfrage mußte
deshalb die Entente viel, etwas zu viel
sprechen. Wir Deutschen können nicht genug
davon reden. Wenn auch die feindlichen
Akten der Welt wohlweislich vorbehalten
bleiben -- auch in der unglücklichen Lage
des Spielers, der all seine Karten aufgedeckt
hat, sind wir immer noch stark genug, an
den Voraussetzungen von Versailles aufs
stärkste zu rütteln. Das tut B. W. v. Bülow
in der vorliegenden, soeben erschienenen
Schrift.

Zwingend wird darin der sachliche, ge-
schichtsklärende, wohldisponierte, fast zu un¬
parteiische Nachweis geführt, daß zwar die
Negierung 1914 Fehler begangen, aber nicht
eine strafbare Schuld auf sich geladen hat.
Der äolus war zweifellos gerade bei den
leitenden Staatsmännern nicht vorhanden.

Nach einer ausführlichen, zwingenden
Darstellung derdiplomatischenVerhandlungen
zwischen Österreich und Serbien, dem Ver¬
halten der Mächte, den einsetzenden Kriegs¬
krisen und dem Verhalten Englands, schreibt
Bülow: "Wegen der Feindschaften, die sich
Deutschland durch seinen natürlichen AuS-
dehnungSdrang zugezogen hatte, und ange¬
sichts der vollzogenen Einkreisung gab es
für eine folgerichtige Politik nur zwei Wege:

[Spaltenumbruch]

ES galt entweder abzuwarten, sich ganz
ruhig zu Verhalten, bis sich die Koalition
der Gegner lockerte, und die Gesundung der
Beziehungen zu England, Rußland oder
Frankreich durch große Opfer zu erkaufen.

Oder aber, es mußte zu einem selbst¬
gewählten Zeitpunkt ein Präventivkrieg ge¬
führt werden, nachdem ein Höhepunkt Pol

ischer, wirtschaftlicher und militärischer Vor¬
bereitung erreicht war. Dies wäre eine
schlechte Politik gewesen, aber immerhin Politik.

Die deutsche Regierung suchte aber einen
Mittelweg einzuschlagen, um eine dritte Lösung
zu finden, die es nicht gab."

Der erstvorgeschlagenen Möglichkeit kann
ich nicht in vollem Umfange beipflichten:
"uns ganz ruhig verhalten", nein -- wir
mußten in aller Zurückhaltung aber auch mit
aller Tatkraft, mit allen Mitteln, die ein
ehrlich denkender, furchtloser und freundlich
werdender Geist ersinnen mag, für eine
Sprengung der Koalition und nützlich-'
nützende Freundschaften sorgen. Gerade in
unserer Ostasienpolitik scheinen mir in dieser
Hinsicht schwere Unterlassungssünden be¬
gangen zu sein.

Sehr richtig hebt im Schlußsatz der Ver¬
fasser eins hervor, daß der Krieg vor allem
seinen Ausbruch dem Willen zum Kriege
verdankt. Wir konnten ihn nicht wollen,
weil es uns nichts einzutragen vermochte.
Die uns untergeschobenen Welteroberungs-
Pläne erscheinen bei unserer Politischen Un-
vorbereitetheit und der unmittelbaren Gegner¬
schaft der stärksten Militärmächte mit sehr
ausgesprochenen und eingestandenen Kriegs
zielen grotesk. Zu allem haben die Feinde
eine vollendete ma^na cnarra ihrer Kriegs¬
ziele aufgestellt -- den Versailler Vertrag-
Bei ihm endet alle Erörterung. Er ist der
beste Beweis der Stärke unserer Stellung-
Wie er Kriegsziel der Feinde war, so ist
seine Revision unser Friedensziel, das
Friedensziel der Einsichtigen aller Lag"
w. C>, v. H. und Länder.

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Verantwortlich: Dr. Max Hildcbert Bocljm tu Berlin-Friedennu,.
Schristleitung und Verlag: Berlin SW 11, Tempelhofer Ufer 3S->. Fernruf: Lützow K510.
Verlag: K, F. Koester, Abteilung Grenzboten, Berlin.
Druck: "Der Reichsbol-" G. in, b. H, in Berlin SW 1t, Dessauer Straße 3K/37,

Rücksendung von Manuskripten erfolgt nur gegen beigefügtes Rückporto.
Nachdruck sämtlicher Aufsätze ist nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Verlages gestattet.


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B. W. v. Bülow, Die Grundlinien der
diplomatischen Verhandlungen bei Kriegs¬
ausbruch. Deutsche Verlagsgesellschaft für
Politik und Geschichte in, b. H. Char¬
lottenburg 1920.

Wir lernen allmählich die Ereignisse von
1914 geschichtlich betrachten. Sie liegen fast
sechs Jahre zurück, entfernen sich täglich
weiter und werden — erläutert und er¬
gänzt durch allerhand neue Urkunden —
immer sichtbarer. Es ist gut, daß im Be¬
ginn deS Krieges seine Ursachen stehen und
in dem Bestreben, Versailles zu begründen,
das Trachten unserer Feinde, uns die
alleinige Schuld an dem Weltunglück zu¬
zudiktieren. Von der Schuldfrage mußte
deshalb die Entente viel, etwas zu viel
sprechen. Wir Deutschen können nicht genug
davon reden. Wenn auch die feindlichen
Akten der Welt wohlweislich vorbehalten
bleiben — auch in der unglücklichen Lage
des Spielers, der all seine Karten aufgedeckt
hat, sind wir immer noch stark genug, an
den Voraussetzungen von Versailles aufs
stärkste zu rütteln. Das tut B. W. v. Bülow
in der vorliegenden, soeben erschienenen
Schrift.

Zwingend wird darin der sachliche, ge-
schichtsklärende, wohldisponierte, fast zu un¬
parteiische Nachweis geführt, daß zwar die
Negierung 1914 Fehler begangen, aber nicht
eine strafbare Schuld auf sich geladen hat.
Der äolus war zweifellos gerade bei den
leitenden Staatsmännern nicht vorhanden.

Nach einer ausführlichen, zwingenden
Darstellung derdiplomatischenVerhandlungen
zwischen Österreich und Serbien, dem Ver¬
halten der Mächte, den einsetzenden Kriegs¬
krisen und dem Verhalten Englands, schreibt
Bülow: „Wegen der Feindschaften, die sich
Deutschland durch seinen natürlichen AuS-
dehnungSdrang zugezogen hatte, und ange¬
sichts der vollzogenen Einkreisung gab es
für eine folgerichtige Politik nur zwei Wege:

[Spaltenumbruch]

ES galt entweder abzuwarten, sich ganz
ruhig zu Verhalten, bis sich die Koalition
der Gegner lockerte, und die Gesundung der
Beziehungen zu England, Rußland oder
Frankreich durch große Opfer zu erkaufen.

Oder aber, es mußte zu einem selbst¬
gewählten Zeitpunkt ein Präventivkrieg ge¬
führt werden, nachdem ein Höhepunkt Pol

ischer, wirtschaftlicher und militärischer Vor¬
bereitung erreicht war. Dies wäre eine
schlechte Politik gewesen, aber immerhin Politik.

Die deutsche Regierung suchte aber einen
Mittelweg einzuschlagen, um eine dritte Lösung
zu finden, die es nicht gab."

Der erstvorgeschlagenen Möglichkeit kann
ich nicht in vollem Umfange beipflichten:
„uns ganz ruhig verhalten", nein — wir
mußten in aller Zurückhaltung aber auch mit
aller Tatkraft, mit allen Mitteln, die ein
ehrlich denkender, furchtloser und freundlich
werdender Geist ersinnen mag, für eine
Sprengung der Koalition und nützlich-'
nützende Freundschaften sorgen. Gerade in
unserer Ostasienpolitik scheinen mir in dieser
Hinsicht schwere Unterlassungssünden be¬
gangen zu sein.

Sehr richtig hebt im Schlußsatz der Ver¬
fasser eins hervor, daß der Krieg vor allem
seinen Ausbruch dem Willen zum Kriege
verdankt. Wir konnten ihn nicht wollen,
weil es uns nichts einzutragen vermochte.
Die uns untergeschobenen Welteroberungs-
Pläne erscheinen bei unserer Politischen Un-
vorbereitetheit und der unmittelbaren Gegner¬
schaft der stärksten Militärmächte mit sehr
ausgesprochenen und eingestandenen Kriegs
zielen grotesk. Zu allem haben die Feinde
eine vollendete ma^na cnarra ihrer Kriegs¬
ziele aufgestellt — den Versailler Vertrag-
Bei ihm endet alle Erörterung. Er ist der
beste Beweis der Stärke unserer Stellung-
Wie er Kriegsziel der Feinde war, so ist
seine Revision unser Friedensziel, das
Friedensziel der Einsichtigen aller Lag«
w. C>, v. H. und Länder.

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[0210] Bücherschau Vücherschau B. W. v. Bülow, Die Grundlinien der diplomatischen Verhandlungen bei Kriegs¬ ausbruch. Deutsche Verlagsgesellschaft für Politik und Geschichte in, b. H. Char¬ lottenburg 1920. Wir lernen allmählich die Ereignisse von 1914 geschichtlich betrachten. Sie liegen fast sechs Jahre zurück, entfernen sich täglich weiter und werden — erläutert und er¬ gänzt durch allerhand neue Urkunden — immer sichtbarer. Es ist gut, daß im Be¬ ginn deS Krieges seine Ursachen stehen und in dem Bestreben, Versailles zu begründen, das Trachten unserer Feinde, uns die alleinige Schuld an dem Weltunglück zu¬ zudiktieren. Von der Schuldfrage mußte deshalb die Entente viel, etwas zu viel sprechen. Wir Deutschen können nicht genug davon reden. Wenn auch die feindlichen Akten der Welt wohlweislich vorbehalten bleiben — auch in der unglücklichen Lage des Spielers, der all seine Karten aufgedeckt hat, sind wir immer noch stark genug, an den Voraussetzungen von Versailles aufs stärkste zu rütteln. Das tut B. W. v. Bülow in der vorliegenden, soeben erschienenen Schrift. Zwingend wird darin der sachliche, ge- schichtsklärende, wohldisponierte, fast zu un¬ parteiische Nachweis geführt, daß zwar die Negierung 1914 Fehler begangen, aber nicht eine strafbare Schuld auf sich geladen hat. Der äolus war zweifellos gerade bei den leitenden Staatsmännern nicht vorhanden. Nach einer ausführlichen, zwingenden Darstellung derdiplomatischenVerhandlungen zwischen Österreich und Serbien, dem Ver¬ halten der Mächte, den einsetzenden Kriegs¬ krisen und dem Verhalten Englands, schreibt Bülow: „Wegen der Feindschaften, die sich Deutschland durch seinen natürlichen AuS- dehnungSdrang zugezogen hatte, und ange¬ sichts der vollzogenen Einkreisung gab es für eine folgerichtige Politik nur zwei Wege: ES galt entweder abzuwarten, sich ganz ruhig zu Verhalten, bis sich die Koalition der Gegner lockerte, und die Gesundung der Beziehungen zu England, Rußland oder Frankreich durch große Opfer zu erkaufen. Oder aber, es mußte zu einem selbst¬ gewählten Zeitpunkt ein Präventivkrieg ge¬ führt werden, nachdem ein Höhepunkt Pol n¬ ischer, wirtschaftlicher und militärischer Vor¬ bereitung erreicht war. Dies wäre eine schlechte Politik gewesen, aber immerhin Politik. Die deutsche Regierung suchte aber einen Mittelweg einzuschlagen, um eine dritte Lösung zu finden, die es nicht gab." Der erstvorgeschlagenen Möglichkeit kann ich nicht in vollem Umfange beipflichten: „uns ganz ruhig verhalten", nein — wir mußten in aller Zurückhaltung aber auch mit aller Tatkraft, mit allen Mitteln, die ein ehrlich denkender, furchtloser und freundlich werdender Geist ersinnen mag, für eine Sprengung der Koalition und nützlich-' nützende Freundschaften sorgen. Gerade in unserer Ostasienpolitik scheinen mir in dieser Hinsicht schwere Unterlassungssünden be¬ gangen zu sein. Sehr richtig hebt im Schlußsatz der Ver¬ fasser eins hervor, daß der Krieg vor allem seinen Ausbruch dem Willen zum Kriege verdankt. Wir konnten ihn nicht wollen, weil es uns nichts einzutragen vermochte. Die uns untergeschobenen Welteroberungs- Pläne erscheinen bei unserer Politischen Un- vorbereitetheit und der unmittelbaren Gegner¬ schaft der stärksten Militärmächte mit sehr ausgesprochenen und eingestandenen Kriegs zielen grotesk. Zu allem haben die Feinde eine vollendete ma^na cnarra ihrer Kriegs¬ ziele aufgestellt — den Versailler Vertrag- Bei ihm endet alle Erörterung. Er ist der beste Beweis der Stärke unserer Stellung- Wie er Kriegsziel der Feinde war, so ist seine Revision unser Friedensziel, das Friedensziel der Einsichtigen aller Lag« w. C>, v. H. und Länder. Verantwortlich: Dr. Max Hildcbert Bocljm tu Berlin-Friedennu,. Schristleitung und Verlag: Berlin SW 11, Tempelhofer Ufer 3S->. Fernruf: Lützow K510. Verlag: K, F. Koester, Abteilung Grenzboten, Berlin. Druck: „Der Reichsbol-" G. in, b. H, in Berlin SW 1t, Dessauer Straße 3K/37, Rücksendung von Manuskripten erfolgt nur gegen beigefügtes Rückporto. Nachdruck sämtlicher Aufsätze ist nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Verlages gestattet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337236/210>, abgerufen am 05.05.2024.