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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr.

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Oesterreichs Balkanpolitik und der Kriegsausbruch

Und nun der Krieg, der von dem Kaiser nicht gewollte Krieg mit seinen
das Menschenmögliche übersteigenden Anforderungen an die geistigen und seelischen
Kräfte des Staatsoberhauptes. Einer nach dem anderen seiner Ratgeber aus
dem Jahre 1914 spannte aus oder wurde beiseite geschoben. Am Schlüsse des
Krieges arbeitete er mit dem vierten Reichskanzler und Staatssekretär des Aus¬
wärtigen Amtes, dem dritten Chef des Generalstabes, dem vierten des Admiral-
stabes, dem vierten Flottenchef, dem vierten Kriegsminister, dem dritten Staats¬
sekretär des Reichsmarineamts, dem dritten Chef des Zivilkabinetts und dem
zweiten des Militärkabinetts. Der Chef des Marinekabinetts blieb bis zum
Praktischen Schluß des Krieges, vielleicht weil er zu belanglos war, vielleicht weil
er stets bemüht war, sich in den Grenzen seines Dienstgebietes zu halten. Aber
das hatten die beiden anderen Kabinettschefs auch getan. An uns dreien und
an der "Kabinettswirtschaft" lag es nicht, daß der Krieg verloren ging und das
Reich zusammenbrach.




Österreichs Valkanpolitik und der Kriegsausbruch
Umvcrsitätsprofessor Dr. R. F. Raindl von

>urch die Wiener und Berliner Veröffentlichungen ist wieder einmal
die Frage auf die Tagesordnung gekommen, ob durch ein Nach¬
geben oder doch durch größere Zurückhaltung Österreichs gegen
Serbien nach der Ermordung deS Erzherzog.Thronfolgers der
l Krieg hätte vermieden werden können.

Nun steht die Sache zunächst so, daß bekanntlich Serbien gar nicht der
Hauptfaktor war. Seit Jahren wußte jeder Kundige, daß Serbien den Krieg
^w Zaun brechen würde, wenn Nußland es wünschen werde. Hätte also
Rußlands Drang zum warmen Meere, Rußlands Plan, nach Konstantinopel zu
kommen, damit aufgehört, daß Osterreich nochmals nachgegeben hätte? Wäre
°amie aber auch Italiens Absicht, die Adria völlig in seine Gewalt zu bringen,
aus der Welt geschafft worden? Hätten Frankreichs Revanchepläne und
Englands Umkreisungspolitik aufgehört? Man weiß doch, daß der Krieg nicht
Österreich allein galt, sondern daß es über Wien auch nach Berlin ging. Man
Mlle nur den Brand am Balkan losbrechen lassen, weil es hier im Wetierwinkel
Europas am bequemsten war.

Aber gesetzt den Fall, Österreich hätte nachgegeben und die anderen Mächte
halten nicht die Absicht gehabt, für den Augenblick den Krieg auf andere Weise
SU verblassen. Glaubt man, daß Serbien sich beruhigt hätte? Da muß man
pas daran erinnern, was Montenegro 1N13 getan hat. Trotz aller Kundgebungen
^er Großmächte, Nußland mit eingerechnet, belagerte es Skutari. Auch die
^lvckienmg der Küste Montenegros durch die Großmächte schreckte nitida nicht ab.
brachte Skutari zu Fall und schickte sich an, es zum Mittelpunkt Monte-
"egros zu machen. So spottete der winzige Bergstaat der sechs Großmächte,
will er genau wußte, daß sie alle zusammen wegen ihres gegenseitigen Miß-


Grenzboten II 1920 2
Oesterreichs Balkanpolitik und der Kriegsausbruch

Und nun der Krieg, der von dem Kaiser nicht gewollte Krieg mit seinen
das Menschenmögliche übersteigenden Anforderungen an die geistigen und seelischen
Kräfte des Staatsoberhauptes. Einer nach dem anderen seiner Ratgeber aus
dem Jahre 1914 spannte aus oder wurde beiseite geschoben. Am Schlüsse des
Krieges arbeitete er mit dem vierten Reichskanzler und Staatssekretär des Aus¬
wärtigen Amtes, dem dritten Chef des Generalstabes, dem vierten des Admiral-
stabes, dem vierten Flottenchef, dem vierten Kriegsminister, dem dritten Staats¬
sekretär des Reichsmarineamts, dem dritten Chef des Zivilkabinetts und dem
zweiten des Militärkabinetts. Der Chef des Marinekabinetts blieb bis zum
Praktischen Schluß des Krieges, vielleicht weil er zu belanglos war, vielleicht weil
er stets bemüht war, sich in den Grenzen seines Dienstgebietes zu halten. Aber
das hatten die beiden anderen Kabinettschefs auch getan. An uns dreien und
an der „Kabinettswirtschaft" lag es nicht, daß der Krieg verloren ging und das
Reich zusammenbrach.




Österreichs Valkanpolitik und der Kriegsausbruch
Umvcrsitätsprofessor Dr. R. F. Raindl von

>urch die Wiener und Berliner Veröffentlichungen ist wieder einmal
die Frage auf die Tagesordnung gekommen, ob durch ein Nach¬
geben oder doch durch größere Zurückhaltung Österreichs gegen
Serbien nach der Ermordung deS Erzherzog.Thronfolgers der
l Krieg hätte vermieden werden können.

Nun steht die Sache zunächst so, daß bekanntlich Serbien gar nicht der
Hauptfaktor war. Seit Jahren wußte jeder Kundige, daß Serbien den Krieg
^w Zaun brechen würde, wenn Nußland es wünschen werde. Hätte also
Rußlands Drang zum warmen Meere, Rußlands Plan, nach Konstantinopel zu
kommen, damit aufgehört, daß Osterreich nochmals nachgegeben hätte? Wäre
°amie aber auch Italiens Absicht, die Adria völlig in seine Gewalt zu bringen,
aus der Welt geschafft worden? Hätten Frankreichs Revanchepläne und
Englands Umkreisungspolitik aufgehört? Man weiß doch, daß der Krieg nicht
Österreich allein galt, sondern daß es über Wien auch nach Berlin ging. Man
Mlle nur den Brand am Balkan losbrechen lassen, weil es hier im Wetierwinkel
Europas am bequemsten war.

Aber gesetzt den Fall, Österreich hätte nachgegeben und die anderen Mächte
halten nicht die Absicht gehabt, für den Augenblick den Krieg auf andere Weise
SU verblassen. Glaubt man, daß Serbien sich beruhigt hätte? Da muß man
pas daran erinnern, was Montenegro 1N13 getan hat. Trotz aller Kundgebungen
^er Großmächte, Nußland mit eingerechnet, belagerte es Skutari. Auch die
^lvckienmg der Küste Montenegros durch die Großmächte schreckte nitida nicht ab.
brachte Skutari zu Fall und schickte sich an, es zum Mittelpunkt Monte-
"egros zu machen. So spottete der winzige Bergstaat der sechs Großmächte,
will er genau wußte, daß sie alle zusammen wegen ihres gegenseitigen Miß-


Grenzboten II 1920 2
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[0023] Oesterreichs Balkanpolitik und der Kriegsausbruch Und nun der Krieg, der von dem Kaiser nicht gewollte Krieg mit seinen das Menschenmögliche übersteigenden Anforderungen an die geistigen und seelischen Kräfte des Staatsoberhauptes. Einer nach dem anderen seiner Ratgeber aus dem Jahre 1914 spannte aus oder wurde beiseite geschoben. Am Schlüsse des Krieges arbeitete er mit dem vierten Reichskanzler und Staatssekretär des Aus¬ wärtigen Amtes, dem dritten Chef des Generalstabes, dem vierten des Admiral- stabes, dem vierten Flottenchef, dem vierten Kriegsminister, dem dritten Staats¬ sekretär des Reichsmarineamts, dem dritten Chef des Zivilkabinetts und dem zweiten des Militärkabinetts. Der Chef des Marinekabinetts blieb bis zum Praktischen Schluß des Krieges, vielleicht weil er zu belanglos war, vielleicht weil er stets bemüht war, sich in den Grenzen seines Dienstgebietes zu halten. Aber das hatten die beiden anderen Kabinettschefs auch getan. An uns dreien und an der „Kabinettswirtschaft" lag es nicht, daß der Krieg verloren ging und das Reich zusammenbrach. Österreichs Valkanpolitik und der Kriegsausbruch Umvcrsitätsprofessor Dr. R. F. Raindl von >urch die Wiener und Berliner Veröffentlichungen ist wieder einmal die Frage auf die Tagesordnung gekommen, ob durch ein Nach¬ geben oder doch durch größere Zurückhaltung Österreichs gegen Serbien nach der Ermordung deS Erzherzog.Thronfolgers der l Krieg hätte vermieden werden können. Nun steht die Sache zunächst so, daß bekanntlich Serbien gar nicht der Hauptfaktor war. Seit Jahren wußte jeder Kundige, daß Serbien den Krieg ^w Zaun brechen würde, wenn Nußland es wünschen werde. Hätte also Rußlands Drang zum warmen Meere, Rußlands Plan, nach Konstantinopel zu kommen, damit aufgehört, daß Osterreich nochmals nachgegeben hätte? Wäre °amie aber auch Italiens Absicht, die Adria völlig in seine Gewalt zu bringen, aus der Welt geschafft worden? Hätten Frankreichs Revanchepläne und Englands Umkreisungspolitik aufgehört? Man weiß doch, daß der Krieg nicht Österreich allein galt, sondern daß es über Wien auch nach Berlin ging. Man Mlle nur den Brand am Balkan losbrechen lassen, weil es hier im Wetierwinkel Europas am bequemsten war. Aber gesetzt den Fall, Österreich hätte nachgegeben und die anderen Mächte halten nicht die Absicht gehabt, für den Augenblick den Krieg auf andere Weise SU verblassen. Glaubt man, daß Serbien sich beruhigt hätte? Da muß man pas daran erinnern, was Montenegro 1N13 getan hat. Trotz aller Kundgebungen ^er Großmächte, Nußland mit eingerechnet, belagerte es Skutari. Auch die ^lvckienmg der Küste Montenegros durch die Großmächte schreckte nitida nicht ab. brachte Skutari zu Fall und schickte sich an, es zum Mittelpunkt Monte- "egros zu machen. So spottete der winzige Bergstaat der sechs Großmächte, will er genau wußte, daß sie alle zusammen wegen ihres gegenseitigen Miß- Grenzboten II 1920 2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337236/23>, abgerufen am 05.05.2024.